"Ein 'Weiter so' kann ich mir nicht vorstellen"

Christoph Pistorius
© epd-bild/Oliver Dietze
Christoph Pistorius, Vizepraeses der rheinischen Landeskirche, spricht am Samstag (14.04.2018) waehrend des Eroeffnungsgottesdienstes der diesjaehrigen oekumenischen "Woche fuer das Leben" im Dom zu Trier. (Foto hinten v.li.: der Trierer Superintendent Joerg (Jörg) Weber, der Trierer Bischof Stephan Ackermann, der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, und Stadtdechant Ralf Schmitz) Die Praenataldiagnostik steht im Mittelpunkt der diesjaehrigen oekumenischen "Woche fuer das Leben". Ausrichter sind die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und die katholische Deutsche Bischofskonferenz. Die Initiative fuer den Lebensschutz steht unter dem Motto "Kinderwunsch. Wunschkind. Unser Kind!". Die Aktionswoche dauert bis zum 21. April. (Siehe epd-Bericht vom 14.04.2018) ↑ weniger
Forum-Studie
"Ein 'Weiter so' kann ich mir nicht vorstellen"
Nach Bekanntwerden des Ausmaßes sexualisierter Gewalt in evangelischer Kirche und Diakonie fordert der rheinische Vizepräses Christoph Pistorius ein Bündel an Maßnahmen von Kirche und Staat. "Ein 'Weiter so' wie bisher kann ich mir nicht vorstellen", sagte der Personalchef.

In den 20 Landeskirchen in Deutschland brauche es in jedem Fall Einheitlichkeit und Verbindlichkeit, Standards müssten auf allen Ebenen umgesetzt werden. Er unterstütze auch eine gesetzliche Grundlage des Staates.

"Der Staat hat die Pflicht, seine Bürgerinnen und Bürger zu schützen, und sollte bei diesem Thema eine stärkere Rolle spielen", betonte der Theologe. Deshalb begrüße er auch die bundesweit neun regionalen Aufarbeitungskommissionen für den Bereich der evangelischen Kirchen, die nach einheitlichen Standards unter den Augen der Bundesländer gebildet würden. "Perspektivisch brauchen wir für unsere Gesellschaft zudem eine Dunkelfeld-Studie, die aus meiner Sicht auch Aufgabe des Staates ist", sagte Pistorius. Er koordiniert die Steuerungsgruppe für die Einsetzung der regionalen Kommission für die drei Landeskirchen und die Diakonie in Rheinland, Westfalen und Lippe.

In allen Landeskirchen müssten bundesweit verbindliche Standards zu Aktenführung, Aufarbeitung und Anerkennungsleistungen eins zu eins übernommen werden, wie sie etwa von einer Arbeitsgruppe des Beteiligungsforums entwickelt würden, fordert Pistorius. "Ich kann mir auch vorstellen, dass es ein zentrales Monitoring des Umgangs mit Verdachtsmeldungen in den Landeskirchen gibt." Ebenfalls sinnvoll wäre eine externe zentrale Ombudsstelle, an die sich Betroffene wenden können.

Handlungsbedarf sieht der 62-jährige Theologe zudem im Blick auf strukturelle Gewalt, die Missbrauch begünstigt. "Auch in der Kirche gibt es Macht, über die wir reden müssen", sagte er. Eine besondere Rolle spiele der Pfarrberuf: "Wir müssen uns fragen, wie wir ihn etwa im Blick auf die Trennung von Beruflichem und Privatem und die besondere Situation des Pfarrhauses verändern müssen." Als erste Landeskirche habe die rheinische Kirche eine Arbeitszeitregelung für Pfarrerinnen und Pfarrer eingeführt "und den Beruf damit auch etwas vom Sockel geholt". "Damit verbindet sich für mich auch der Anspruch der Professionalität."

Ein von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) beauftragtes Forscherteam hatte am Donnerstag seine Erkenntnisse über sexualisierte Gewalt in evangelischer Kirche und Diakonie vorgestellt. Die sogenannte ForuM-Studie ermittelte für den Zeitraum von 1946 bis 2020 mindestens 2.225 Betroffene und 1.259 mutmaßliche Täter. Das Erschrecken über diese Studie führe dazu, "dass niemand in unserer Kirche sagen kann, um dieses Thema müsse man sich nicht kümmern", sagte Pistorius. "Es gehört auf allen Ebenen auf die Agenda."

Irritiert zeigte sich der Vizepräses der zweitgrößten Landeskirche mit knapp 2,2 Millionen Mitgliedern über die Klage des Forschungsverbunds, für die Studie hätten bis auf eine Landeskirche keine Personalakten vorgelegen, Unterlagen seien verzögert bereitgestellt worden. "Wir haben alle Personalakten auf landeskirchlicher Ebene gescannt", sagte er. "Es hat dann aber keinerlei Anfrage auf Akteneinsicht gegeben." Verzögerungen hätten sich durch Nacharbeit ergeben, weil im über 100 Seiten dicken Fragebogen auch unpassende Fragen aus dem katholischen Kontext gestanden hätten. "Insofern gibt es eine Differenz zwischen der Darstellung der Forschenden und dem, was wir tatsächlich beigetragen haben."

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