Bauernpfarrerin äußert sich zu Agrar-Protesten

Kundgebung auf dem Platz der Göttinger Sieben in Hannover
© Moritz Frankenberg/dpa
Zahlreiche Landwirte nahmen an einer Kundgebung in Göttingen teil.
"Mit Betroffenen reden"
Bauernpfarrerin äußert sich zu Agrar-Protesten
Die Proteste der Bauern in Deutschland reißen nicht ab. Sabine Bullinger, Bauernpfarrerin in der Württembergischen Kirche, kennt die Forderungen der Landwirte und appelliert, diese Berufsgruppe mehr wertzuschätzen.

In einer Pressemitteilung auf der Website des Evangelischen Bauernwerks Württemberg erklärt die Landesbauernpfarrerin Sabine Bullinger: "Wir brauchen die Landwirtschaft für unsere Versorgung und um dem Klimawandel gegenzusteuern." 

Sie betont: "Als Landesbauernpfarrerin stehe ich als Seelsorgerin an der Seite der Menschen aus der Landwirtschaft. Ich setze mich dafür ein, dass ihre Anliegen wahrgenommen und gehört werden. Ich wünsche mir, dass mit den Betroffenen geredet wird und nicht nur über sie." Angesichts bedrohlicher Bilder und hetzender Sprache einiger Demonstrationsmitglieder sagt Bullinger: Protestaktionen sollten verhältnismäßig bleiben und nicht eskalieren. "Dazu gehört aus meiner Sicht auch, dass sich die Bauernproteste von radikalen und rechtsextremen Gruppen und Positionen distanzieren."

In ihrem Pressestatement berichtet die Theologin: "In meinen unzähligen Gesprächen mit Landwirtinnen und Landwirten jeden Alters habe ich nicht erst jetzt Frust gehört und gespürt. Aus meiner Sicht hat das Thema Agrardiesel das Fass zum Überlaufen gebracht. Seit Jahren hat sich Ärger aufgestaut, der sich jetzt in den Bauernprotesten Bahn bricht."

Die Vorgaben von Seiten der Politik würden in manchen Fällen als Gängelung empfunden, beinahe so, als ob die Bauern fachlich nicht kompetent wären. Bullinger sagt: "Dabei sind die Menschen aus der Landwirtschaft ausgebildete Fachkräfte mit meist jahrzehntelanger Berufserfahrung."

Sie stärkt den demonstrierenden Bauern den Rücken, indem sie deren Forderungen unterstreicht: "Aus Sicht der Landwirtschaft müssten zeitliche Vorgaben, etwa beim Düngen, mehr Spielraum ermöglichen, um angemessen auf die jeweiligen Wetterverhältnisse reagieren zu können, so wie es das Jahr 2023 mit seinen extremen Regen- und Dürreperioden gezeigt hat."

Mangelnde Wertschätzung in Gesellschaft

Gleichzeitig seien die politischen Vorgaben mit erhöhtem Bürokratieaufwand verbunden. "Zeit, die Landwirte im Büro verbringen und die ihnen bei der praktischen Arbeit fehlt. Die Vorgaben verändern sich oft sehr schnell und werden gleichzeitig nur für kürzere Zeiträume festgelegt. Das gibt wenig Planungssicherheit. Wenn Landwirte aber ihre Ställe neuen Tierwohlbestimmungen anpassen möchten und umbauen oder neu bauen, brauchen sie die Sicherheit, dass die neue Bestimmung über einen längeren Zeitraum bestehen bleibt", heißt es in der Pressemitteilung. Um gut kalkulieren zu können, sei Planungssicherheit wichtig, so Bullinger.

Neben bürokratischen Auflagen beziehe sich der Ärger der Menschen aus der Landwirtschaft auch auf mangelnde Wertschätzung, weiß die Bauernpfarrerin. Die Politik ließe diese vermissen. Der Lebensmitteleinzelhandel schätze die heimischen Erzeuger nicht, sondern diktiere unfaire Abnahmepreise. Und auch die Gesellschaft zeige keine Wertschätzung. "Sonst würden ja viel mehr Menschen landwirtschaftliche Produkte regional einkaufen und einen angemessenen Preis dafür bezahlen", betont sie.

"Um unserer schöpfungsgemäßen Aufgabe nachzukommen, die Erde zu bebauen und zu bewahren, braucht es die Anstrengung aller, insbesondere die der Landwirtschaft", sagt Bullinger und verdeutlicht: "Deshalb brauchen wir eine Politik, die den wichtigen Beitrag der Landwirtschaft für die Zukunft wertschätzt und entsprechend honoriert. Wir brauchen einen Lebensmitteleinzelhandel, der seine Marktmacht nicht zu Lasten der Landwirtschaft ausnutzt. Wir brauchen Verbraucherinnen und Verbraucher, die angemessene Preise für heimische Produkte bezahlen."

In Sabine Bullingers Wahrnehmung sei in den vergangenen Jahren das Verständnis für die Landwirtschaft und die Bedeutung der Landwirtschaft für die Zukunft gestiegen. Dadurch sei Respekt füreinander gewachsen. "Er sollte nicht aufs Spiel gesetzt werden", sagt sie.