Gewalt gegen Frauen auf Höchststand seit 20 Jahren

Lila Schleife
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Das Bundeskriminalamt registrierte 2022 rund 157.800 Fälle von Partnerschaftsgewalt. Das entspreche einem Anstieg der Gewalttaten durch Partner um 9,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Derzeit gibt es nur 6800 Plätze in Frauenhäusern, dabei seien mehr als 20.000 Plätze erforderlich.
14.000 Plätze fehlen in Frauenhäusern
Gewalt gegen Frauen auf Höchststand seit 20 Jahren
Die tödliche Gewalt gegen Frauen hat laut den Vereinten Nationen weltweit zugenommen. Fast 89.000 Frauen und Mädchen wurden im vergangenen Jahr aufgrund ihres Geschlechts getötet, wie aus einem Mitte der Woche vorgestellten UN-Bericht hervorgeht. In Deutschland fehlten 14.000 Plätze in Frauenhäusern, sagte eine Sprecherin der Diakonie. Nun soll ein Gewalthilfegesetz auf den Weg gebracht werden, damit Frauen, die Gewalt erfahren, einen Rechtsanspruch haben, so Bundesfamilienministerin Paus. Am 25. November ist der internationale Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen.

Laut UN ist die erfasste Zahl der getöteten Frauen die höchste in den vergangenen zwei Jahrzehnten. Das erklärten UN Women und das Büro der Vereinten Nationen für Drogen und Verbrechensbekämpfung (UNODC) zu Veröffentlichung des Reports in New York. Mehr als die Hälfte der Femizide (48.800) wurde demnach von Familienangehörigen oder Partnern der Frauen verübt. Durchschnittlich seien im Jahr 2022 damit jeden Tag mehr als 133 Frauen oder Mädchen in ihrem Wohnraum von einer ihnen nahestehenden Person getötet worden. 

In deutschen Frauenhäusern fehlen über 14.000 Plätze

Sozialverbände fordern zum "Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen" am Samstag, die Zahl der Plätze in Frauenhäusern in Deutschland deutlich zu erhöhen. Das sei wegen der "erschreckenden Zunahme häuslicher Gewalt" dringend nötig, sagte Diakonievorstand Maria Loheide am Freitag in Berlin. Auch müsse die Finanzierung der Hilfen abgesichert werden. Ähnlich äußerten sich auch die Arbeiterwohlfahrt (AWO) und der Deutsche Frauenrat.

Loheide verwies auf die Statistik des Bundeskriminalamtes, das für 2022 rund 240.500 Fälle häuslicher Gewalt registriert hat, davon etwa 157.800 im Kontext von Partnerschaftsgewalt. Das entspreche einem Anstieg der Gewalttaten durch Partner um 9,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Auch deshalb müsse die Infrastruktur bei den Hilfeeinrichtungen schnell ausgebaut werden. Derzeit fehlten 14.000 Plätze, wenn man die Empfehlung der Istanbul-Konvention, die Deutschland unterzeichnet hat, zugrunde lege. Demnach werden hierzulande mindestens 21.000 Frauenhausplätze benötigt. Laut Frauenhausstatistik 2022 gibt es aktuell nur 6.800 Plätze.

Schutzsuchende Frauen werden aus Platzmangel abgewiesen

"Frauenhäuser müssen schutzsuchende Frauen und ihre Kinder abweisen, weil keine Plätze frei sind. Das ist ein Skandal", sagte Loheide. Der Bund müsse sein Versprechen aus dem Koalitionsvertrag zügig umsetzen und gemeinsam mit den Ländern eine einheitliche gesetzliche Regelung zur Finanzierung von Schutz und Hilfe bei Gewalt schaffen.

"Ein bedarfsgerechtes Hilfesystem für gewaltbetroffene Frauen existiert bis heute nicht in Deutschland", erklärte AWO-Präsidentin Kathrin Sonnenholzner: "Voll belegte Frauenhäuser, weit entfernte Beratungsstellen, langwierige Gerichtsverfahren, das sind riesengroße Hürden für Frauen." Sie forderte den Ausbau des Gewaltschutzsystems und gleichzeitig einen bundeseinheitlichen Rechtsrahmen, um Schutz, Hilfe und Beratung verlässlich finanziell abzusichern.
Sylvia Haller, Vorstand des Deutschen Frauenrats, sagte, die Unterfinanzierung der Hilfestrukturen "sollte in einem reichen Land wie Deutschland längst überwunden sein". Die Koalitionspartner seien jetzt gefragt, ein wirksames Gesetz auszuarbeiten, das alle Frauen schütze und Betroffene stärke.

Paus will Rechtsanspruch auf Schutz und Hilfe

Unterdessen plant Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) einen Rechtsanspruch auf Beratung und Schutz für Frauen, die Gewalt ausgesetzt sind. Paus erklärte in Berlin, sie wolle im kommenden Jahr ein Gewalthilfegesetz vorlegen. Eckpunkte seien bereits erarbeitet.

Im Kern würde ein Gewalthilfegesetz, wie es Paus vorschlägt, dazu führen, dass Deutschland genügend Plätze in Frauenhäusern und Schutzwohnungen sowie Beratungsstellen schafft. Nach der Istanbul-Konvention sind Bund und Länder dazu verpflichtet. Die Istanbul-Konvention des Europarats zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt verpflichtet die Unterzeichner-Staaten, "Schutzunterkünfte in ausreichender Zahl zu ermöglichen, um Opfern, insbesondere Frauen und ihren Kindern, eine sichere Unterkunft zur Verfügung zu stellen".

Paus zufolge gibt es hierzulande 350 Frauenhäuser, 100 Schutzwohnungen und 600 Beratungsstellen - ein Angebot, das leider nicht ausreiche, sagte sie. Derzeit läuft ein 30-Millionen-Bundesprogramm für Investitionen in Frauenhäuser. Nach Angaben des Familienministeriums sind 21 Millionen Euro bereits bewilligt und auch von der aktuellen Haushaltssperre nicht betroffen.

Paus hatte sich mit den Initiatorinnen von #Die Nächste getroffen, einem Zusammenschluss von Frauen, die offen über ihre eigenen Gewalt-Erfahrungen sprechen. Gründerin Anna Sophie Herken betonte, Gewalt sei kein Randthema und dürfe nicht tabu sein. In Deutschland werden jedes Jahr rund 100 Frauen von ihrem aktuellen oder ehemaligen Partner ermordet. Jede vierte Frau in Partnerbeziehungen wird mindestens einmal im Leben Opfer häuslicher Gewalt.

Info zum Hilfetelefon:
Das Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen" berät von Gewalt betroffene Frauen unter der Rufnummer 116 016 und online auf www.hilfetelefon.de zu allen Formen von Gewalt - rund um die Uhr und kostenfrei. Die Beratung erfolgt anonym, vertraulich, barrierefrei und in 18 Fremdsprachen. Auf Wunsch vermitteln die Beraterinnen an eine Unterstützungseinrichtung vor Ort.