TV-Tipp: "Zwischen uns"

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18. August, Arte, 20:15 Uhr
TV-Tipp: "Zwischen uns"
Die meisten Menschen kennen Autismus nur aus Kinofilmen und Fernsehproduktionen. In dem Klassiker "Rain Man" mit Dustin Hoffman, in der ZDF-Reihe "Ella Schön" mit Annette Frier oder in der Vox-Serie "Tonis Welt" sind die Titelfiguren leicht verschroben wirkende Sonderlinge, die zwar empfindlich reagieren, wenn jemand ihre Alltagsroutine stört, aber im Großen und Ganzen ganz gut klarkommen.

Das Drama "Zwischen uns" zeigt eine andere Seite der Krankheit. Ein Dasein als alleinerziehende Mutter ist ohnehin eine permanente Herausforderung, doch Eva (Liv Lisa Fries) bewegt sich ständig an der Grenze ihrer psychischen Belastbarkeit, weil ihr dreizehnjähriger Sohn jederzeit ausrasten kann. Felix (Jona Eisenblätter) hat schon mehrfach die Schule wechseln müssen. Mittlerweile hat er zwar eine persönliche Betreuerin (Lena Urzendowsky), aber auch sie kann nicht verhindern, dass es immer wieder zu "Vorfällen" kommt. 

Schonungslos schildert Regiedebütant Max Fey, der das Drehbuch zusammen mit Michael Gutmann geschrieben hat, wie Mutter und Kind in einer Abwärtsspirale gefangen sind: Erst verliert Eva ihren Job, weil sie zu oft während der Arbeitszeit in die Schule musste, dann führt eine Attacke des Jungen zu einer Platzwunde am Kopf. Der Arzt möchte sie über Nacht im Krankenhaus behalten, aber Eva ignoriert seine Warnung, und so kommt es schließlich zum Zusammenbruch.

Der Handlungskern erinnert an "Systemsprenger", den mit Preisen überschütteten Kino-Überraschungserfolg des Jahres 2019 über ein neunjähriges Mädchen, das ebenfalls einer tickenden Zeitbombe gleichkam. Die entsprechenden Szenen in "Zwischen uns" sind allerdings nicht ganz so drastisch, zumal Fey sie zunächst nur außerhalb des Bildes stattfinden lässt: Als Felix das erste Mal explodiert, bleibt die Kamera bei Eva. Wie hilflos der Junge seiner Wut ausgeliefert ist, zeigt der insgesamt sehr ruhig gestaltete Film erst später, wenn Felix wie von Sinnen um sich schlägt und nicht mehr zu beruhigen ist. 

Fey und Gutmann haben ihrem Drehbuch, das sich an authentischen Vorbildern orientiert, aber ohne "Beipackzettel" auskommt, den Arbeitstitel "Kokon" gegeben, und tatsächlich ist die Zweisamkeit von Mutter und Sohn die einzige Zuflucht für den Jungen. Es ist Evas erklärtes Ziel, dass er irgendwann ein selbstständiges Leben führen kann, aber außerhalb der Wohnung muss der extrem lärmempfindliche Felix ständig mit Angriffen der Umwelt rechnen; meist in Gestalt von Mitmenschen, die sich durch seine spezielle Art provoziert fühlen.

Echte Nähe lässt er nur bei dem in Eva verliebten Nachbarn Pelle (Thure Lindhardt) zu; auch die Schulpsychologin (Corinna Harfouch in einer Gastrolle) gewinnt umgehend sein Vertrauen. Die Verbindung zu der von Lena Urzendowsky sehr still und zurückhaltend verkörperten Autismusexpertin Elena bleibt dagegen einseitig, obwohl die junge Frau ihn wiederholt in Schutz nimmt. Der Film thematisiert Elenas Gehbehinderung nicht weiter, aber vermutlich weiß sie, wie sich es sich anfühlt, anders zu sein als die anderen. 

Davon abgesehen ist es ziemlich mutig, wie konsequent Fey darauf verzichtet hat, Empathie für Felix zu wecken. Der Junge lebt in einer eigenen Welt, zu der niemand Zutritt hat; auch nicht seine Mutter. Mitgefühl weckt der Film daher vor allem mit Eva. Trotzdem bezeichnet der in den letzten Jahren als Schnittmeister für diverse namhafte Kino- und TV-Produktionen gefragte Regisseur "Zwischen uns" als Geschichte über Liebe, Vertrauen, Hoffnung und einen Neuanfang.

Tatsächlich gelingt es ihm wider Erwarten, das Drama zu einem versöhnlichen Schluss zu bringen, obwohl sich Eva nach ihrem Kollaps nicht mehr anders zu helfen weiß und sich zu einem folgenschweren Schritt durchringt. Es ist kein Happy End, das wäre angesichts der realitätsnah erzählten neunzig Minuten zuvor auch völlig absurd, aber eine kurze Spieluhrmelodie genügt, um Evas Herzschmerz zumindest zu lindern.

Diese Schlussszene ist die berührendste des Films, der ohne Liv Lisa Fries kaum vorstellbar wäre. Die Grimme-Preisträgerin ("Babylon Berlin", 2018) hat ohnehin Erfahrung mit Herausforderungen dieser Art. Sie hatte schon vorher auf sich aufmerksam gemacht, aber ihren Durchbruch als eine der interessantesten und spannendsten Schauspielerinnen ihrer Generation verdankte sie dem Drama "Und morgen Mittag bin ich tot" (2013). Für ihre Rolle als schwerkranke junge Frau ist sie damals gleich mehrfach als Beste Nachwuchsdarstellerin ausgezeichnet worden; ihre Leistung in "Zwischen uns" ist nicht minder preiswürdig.