Gewalt in Familien und Partnerschaften nimmt zu

Häusliche Gewalt
© epd-bild/Steffen Schellhorn
Aus dem Lagebericht Häusliche Gewalt, der am Dienstag (11.07.2023) in Berlin vorgestellt wurde, geht hervor, dass die Zahl der registrierten Opfer von häuslicher Gewalt in den vergangenen fünf Jahren um 13 Prozent gestiegen ist.
Lagebericht Häusliche Gewalt
Gewalt in Familien und Partnerschaften nimmt zu
Seit Jahren registriert die Polizei eine wachsende Zahl von Gewalttaten in Partnerschaften und Familien. Es steigt aber auch die Aufmerksamkeit für das Leid hinter verschlossenen Türen. Eine große Studie soll mehr Licht in dieses Dunkelfeld bringen.

Gewalt im eigenen Zuhause ist Alltag in Deutschland, und die Zahlen steigen weiter. Das geht aus dem Lagebericht Häusliche Gewalt hervor, der am Dienstag (11.07.2023) in Berlin von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), Familienministerin Lisa Paus (Grüne) und dem BKA-Präsidenten Holger Münch vorgestellt wurde.

Danach ist die Zahl der registrierten Opfer von häuslicher Gewalt in den vergangenen fünf Jahren um 13 Prozent gestiegen. Neu an dem Lagebericht ist, dass nicht mehr nur Gewalttaten in Partnerschaften erfasst werden, sondern erstmals auch innerfamiliäre Gewalt, also Übergriffe, die sich gegen Kinder oder andere Verwandte richten. Zu sehen sei ein deutlicher Anstieg der Gewalt, sagte Faeser.

240.547 Opfer im Jahr 2022 seien 8,5 Prozent mehr als im Vorjahr: "Hinter jedem dieser Fälle verbirgt sich das Leid und der Horror, ausgerechnet im eigenen Zuhause oder im engsten Umfeld angegriffen worden zu sein."
Den stärksten Anstieg verzeichnet die Polizeistatistik bei der Partnerschaftsgewalt. Im vergangenen Jahr wurden 9,4 Prozent mehr Fälle registriert als 2021. 80 Prozent der Opfer sind Frauen. Knapp 80 Prozent der Täter sind männlich.

In fast 40 Prozent der Fälle sind es ehemalige Partner, die gewalttätig werden. In der Mehrzahl der Fälle (60 Prozent) geht es um Körperverletzung, es folgen Bedrohungen, Nötigung und Stalking. Sexuelle Übergriffe und Vergewaltigungen haben unter den bei der Polizei registrierten Straftaten einen Anteil von 2,5 Prozent: Gegenüber dem Vorjahr stieg die Zahl der Fälle um rund zehn Prozent.

In Familien leiden vor allem Kinder

Der Blick auf die innerfamiliäre Gewalt zeigt, dass in diesem Bereich eine Steigerung von 7,7 Prozent verzeichnet wurde. 54 Prozent der Opfer sind weiblich und 46 Prozent männlich. In Familien leiden vor allem Kinder, im Jahr 2022 waren 37 Prozent der Opfer die Kinder oder Enkelkinder der Täter. Weitere 18 Prozent waren "sonstige Angehörige", zu denen etwa auch Nichten und Neffen zählen. Die Hälfte der Übergriffe sind Körperverletzungen, zwölf Prozent schwere Körperverletzungen und rund fünf Prozent sexueller Missbrauch von Kindern, Jugendlichen und Schutzbefohlenen.

Der Lagebericht, der auf den Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) beruht, erfasst nur das sogenannte Hellfeld, also die angezeigten oder polizeilich bekannt gewordenen Taten - nicht das Dunkelfeld. Zu den Delikten zählen körperliche Gewalt bis hin zu Mord, psychische Gewalt wie Stalking, zunehmend auch in digitaler Form, sowie alle Formen sexueller Gewalt bis hin zu Zwangsprostitution und Missbrauch. Insgesamt ist rund jedes vierte Gewaltopfer in Deutschland ein Opfer häuslicher Gewalt. Es sei wichtig, dass diese Gewalttaten angezeigt würden, damit sie strafrechtlich verfolgt werden könnten, sagte Innenministerin Faeser.

Me-Too-Bewegung verhilft zu Aufmerksamkeit

Familienministerin Paus ergänzte, zwei Drittel der weiblichen Opfer gingen auch nach schwerster Gewalt nicht zur Polizei. Paus, Faeser und Münch stellten aber zugleich übereinstimmend fest, dass durch die Me-Too-Bewegung und die Appelle während der Corona-Pandemie insgesamt die Aufmerksamkeit für häusliche Gewalt zunehme und auch die Bereitschaft steige, bei einem Verdacht die Polizei zu informieren. Es sei auch davon auszugehen, dass häufiger Anzeige erstattet werde, sagte Münch.

Gemeinsam kündigten Faeser, Paus und Münch eine großangelegte Dunkelfeldstudie an, für die 22.000 Menschen mit Gewalterfahrungen befragt werden sollen, erstmals auch Männer. Dabei gehe es ausschließlich um Partnerschaftsgewalt, sagte BKA-Chef Münch. 15.000 Menschen würden persönlich befragt, 7.000 weitere per Online-Fragebogen. Es gehe darum, das Wissen zu erweitern und zielgenauer helfen zu können. Münch appellierte an alle Personen, die in den kommenden Wochen einen entsprechenden Brief erhalten, bei der Befragung mitzumachen.

Mitternachtsmission macht häusliche Gewalt sichtbar

Die Mitternachtsmission Heilbronn hat ein Frauen- und Kinderschutzhaus mit öffentlicher Adresse - ein "Open House" - eröffnet. Es handelt sich um das erste kirchliche Haus dieser Art mit öffentlicher Adresse in Baden-Württemberg, teilte das Diakonische Werk Heilbronn am Dienstag mit. Entstanden sei ein nicht anonymes, aber dennoch sicheres Frauen- und Kinderschutzhaus mit integriertem Beratungszentrum für Betroffene von häuslicher Gewalt.

Die Open House Mitternachtsmission in Heilbronn wurde feierlich eröffnet. Das Frauen- und Kinderschutzhaus ist ein kirchliches, aber für alle offenes Haus mit Beratungsstelle.

Die ersten Planungen reichen bis ins Jahr 2015 zurück. Bisher war das Frauen- und Kinderschutzhaus aus Sicherheitsgründen an einem anonymen Ort. Nun ist es in der Steinstraße 8 öffentlich, mit entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen. "Mit der bekannten Adresse wird sichtbar, dass häusliche Gewalt leider eine gesellschaftliche Realität ist", sagte Kathrin Geih, Bereichsleiterin des Frauen- und Kinderschutzhauses.

Die Kinder, die im Open House wohnen, sollen demnach in der neuen Schule und ihren neuen Freunden sagen können, wo sie wohnen. Die Frauen sollen ohne verdeckte Adresse bessere Möglichkeiten auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt und bessere Bedingungen bei der Integration in ein neues soziales Umfeld haben. "Kein Verstecken mehr, wo es nicht unbedingt nötig ist." Mit dem neuen Open House gebe es laut Mitteilung außerdem die erste barrierefreie Unterbringungsmöglichkeit in der Region für gewaltbetroffene Frauen und Kinder.

Das Projekt wurde vom Bundesfamilienministerium als Bundesmodellprojekt gefördert. Weitere Förderungen kamen vom Land Baden-Württemberg, von der Evangelischen Landeskirche in Württemberg und von der Aktion Mensch. 500.000 Euro muss die Diakonie aus eigener Kraft und aus Spenden finanzieren.