Hühnerstall in der Stadt gegen Klimawandel

Martin Brons, Pfarrer von St. Sebald, mit seinem Sohn Johann
© epd-bild/Jutta Olschwski/Jutta Olschewski
Die Zwerghennen der Rassen Wyandotten und Araucaner picken auf einer Wiese hinter einer Sandsteinmauer im üppigem Bauerngarten der Pfarrersfamilie Brons.
Hahnenschrei in der City
Hühnerstall in der Stadt gegen Klimawandel
Pflastersteine so heiß wie Kochplatten: Die Klimakrise lässt Städte mit ihren versiegelten Flächen und wenig Grün immer heißer werden. Ein Nürnberger Pfarrhof ist Beispiel für einen Gegenentwurf.

Der Hahn im Pfarrhof von St. Sebald in der Nürnberger Altstadt ruft seine fünf Hennen mit lauten "Kikeriki" zusammen - und irritiert die Passanten. Hühner erwartet an einem zugepflasterten Platz mit der steinernen Sebalduskirche niemand. "Das ist ungewohnt", räumt der Pfarrer der Kirche, Martin Brons, ein. "Aber im Großen geht es um die Frage: Wie leben wir in der Stadt? Und was heißt Grün in der Stadt und was heißt Lebensqualität?", erläutert Brons.

Klar, nicht jeder habe die Möglichkeiten, mitten in der Altstadt Hühner zu halten, räumt Brons ein. Seine Frau, die elfjährigen Zwillingssöhne und er tun das seit einem Jahr. Hinter einer Sandsteinmauer ist ein üppiger Bauerngarten entstanden. In Gemüsebeeten gedeihen Lauch, Zucchini und Kräuter, in zwei Stöcken produzieren Bienen Honig, die Zwerghennen der Rassen Wyandotten und Araucaner picken auf einem Stück Wiese und liefern der Pfarrersfamilie jeden Tag vier bis fünf Eier.

Die mittelalterliche Kirche St. Sebald in Nürnberg wird auch Sebalduskirche genannt.

Vor dem Zweiten Weltkrieg habe es in Nürnbergs Altstadt mehrere solcher "Gräslein" gegeben, sagt Michael Taschner vom Vorstand der Altstadtfreunde Nürnberg. Das waren Gärten hinter einem Gebäude, wenn es dort zum Nachbargrundstück noch Fläche gab. "Aber üppig war das Grün in der Innenstadt noch nie", stellt Taschner fest und ein Blick in den Bayernatlas mit einer Karte von 1860 bestätigt das.

Architekturstudent Max Kolb vergleicht die nach dem Zweiten Weltkrieg entstandene steinerne Stadt mit Disneyland: schön für die Touristen, "aber wer will da eigentlich noch leben?". Die Stadt sei zu 100 Prozent versiegelt, sagt Kolb. Eine moderne Stadt müsse aber außer Straßen und Parkplätzen für Autos und Wege für Fußgänger noch mehr bieten. Seine Kommilitonin Silvie Arndt und er waren bei dem Projekt "Entsiegelt Nürnberg" dabei, das die Kirchengemeinde zusammen mit dem Architekturprofessor Michael Stößlein von der Technischen Hochschule gestartet hat.

Längere Hitzeperioden werden erwartet

Im Jahr 2022 gab es laut Umweltbundesamt in Deutschland gemittelt mehr als 17 heiße Tage mit Temperaturen von 30 Grad oder mehr. Deutschland habe zukünftig mit länger anhaltenden Hitzeperioden und somit einer steigenden Anzahl heißer Tage zu rechnen. Besonders wirken sich die Temperaturen in dicht bebauten Städten aus. In Tropennächten kann es bis zu zehn Grad Temperaturunterschied zum Land geben. Die Stadt wird zur "Wärmeinsel".

Auf einer solchen Wärmeinsel liegt das Seniorenheim Lorenzer Stift. "Ältere Menschen können nicht gut schwitzen, die Schweißdrüsen sind mitgealtert", erklärt Heimleiterin Sabine Ramsauer. In tropischen Nächten mit über 20 Grad Celsius, in denen der Körper keine Abkühlung mehr finde, seien sie stark gefährdet. "Die Bewohnerinnen und Bewohner und die Angehörigen jammern über die Hitze und ertragen die Situation tapfer", beschreibt es Ramsauer. Leider sei das Haus nicht mit Klimaanlagen ausgestattet, "wir behelfen uns mit Ventilatoren".

Begrünung ist die Zauberformel, die Umweltforscher empfehlen, um mehr Frische in die Stadt zu bekommen. Hoffnung setzen viele Nürnberger daher auf die Landesgartenschau 2030 in ihrer Stadt. Die Anpassung an die Folgen des Klimawandels soll dann im Mittelpunkt stehen, heißt es in der Bewerbungsbroschüre der Stadt. "Maßnahmen zur Entsiegelung und Begrünung von Flächen, die Versickerung und Speicherung von Regenwasser und der Umgang mit Starkregen", werden unter anderem versprochen.

Immer mehr Wohnungsbauunternehmen versprechen, die Städte gegen Hitze und starken Regen fit zu machen. Das Evangelische Siedlungswerk (ESW) setzt beispielsweise auf Dachbegrünung, erklärt Sprecherin Elaine Eckert. Bei einem Projekt würden alle tragenden Bauteile aus zertifiziertem Holz errichtet. Dachgärten, Biotop-Anreicherung für Insekten und acht Nistkästen für Turm- und Wanderfalken sind geplant.

Das ist zwar nicht vergleichbar mit den Hühnern und dem Gemüse im Gräslein des Pfarrers von St. Sebald. Aber mit den Visionen, die als Parkplatz genutzte Freiung rund um die Kirche zu entsiegeln, dort vielleicht Kräuter anzubauen oder lauschige Ecken zu schaffen, pflanzt sich die Idee einer der Erderwärmung angepassten Stadt allmählich fort.