TV-Tipp: "Ich war eine glückliche Frau" (ARD)

Foto: Getty Images/iStockphoto/vicnt
TV-Tipp: "Ich war eine glückliche Frau" (ARD)
18.10., ARD, 20.15 Uhr: "Ich war eine glückliche Frau"
Dieses Drama ist ein Film wie ein Vexierbild: Auf den ersten Blick ist die Geschichte leicht zu durchschauen. Aber dann wechselt die Perspektive, und es zeigt sich: In Wirklichkeit war alles ganz anders.

So erklärt sich auch im Nachhinein, warum die Kamera bei den Aufnahmen zu Beginn auf dem Kopf steht: weil den Bildern nicht zu trauen ist. Die Handlung  beginnt mit einem dringenden Anliegen. Eva Sanders (Petra Schmidt-Schaller) genießt die Spätsommersonne, als sie den Anruf eines früheren Nachbarn erhält: Der kürzlich verwitwete Herr Blok (Rainer Bock) muss mit ihr sprechen, über sie und seine Frau, die beiden hätten sich doch sehr nahe gestanden. Eva ist überrascht, eigentlich kannte sie Frau Blok kaum, aber sie lässt sich überreden. Hermann Blok wirkt mit seinen altmodischen Hosenträgern ein bisschen wie aus der Zeit gefallen, er deutet zur Begrüßung eine Verbeugung an, und wenn er auf die Straße geht, dann nur mit Hut, den er höflich lupft, wenn er jemandem begegnet. Die Geschichte, die er Eva erzählt, entpuppt sich schließlich als ähnlich unwirklich, aber zunächst ist sie vor allem betrüblich: Das Ehepaar Blok hatte sich auf den gemeinsamen Lebensabend gefreut, aber Sylvia (Imogen Kogge) wurde just zu Hermanns Pensionierung von einer rätselhaften Lethargie ergriffen.

Bis zu diesem Punkt fragt sich nicht nur Eva Sanders, warum Herr Blok um das Gespräch gebeten hat, doch dann nehmen seine Erzählungen eine entscheidende Wende: Eines Tages erwachte seine Frau zu neuem Leben. Ihre Antriebslosigkeit verflog, als Familie Sanders die Buche verpflanzen ließ, die den Bloks bislang den Blick aufs Nachbarhaus verwehrt hatte. Fortan verbrachte Sylvia ihre Tage damit, aus der Distanz an der familiären Idylle von Eva, Jan (Marc Hosemann) und ihren beiden Kindern teilzunehmen. Wie andere Frauen in ihrem Alter von den Enkeln schwärmen, so berichtete sie Hermann abends in den schönsten Farben, was es nebenan Neues gab und wie Eva bei einer Gartenparty gestrahlt habe. Dabei ließ sie ihrer Fantasie freien Lauf; auf diese Weise wurde unter anderem Jan, in Wirklichkeit Autohändler, zum Staatsdiener.

Die Geschichte hat nur einen Fehler: Sie ist nicht wahr; und nun erzählt Eva, was sich im Nachbarhaus wirklich zugetragen hat, warum die Verpflanzung der Buche, wie ihr später klar wurde, der Anfang vom Ende und das Gartenfest eine Qual war. Beinahe unmerklich streut Martin Enlen von Beginn an Details ein, deren Bedeutung sich zwar erst später erschließt, die aber schon früh erahnen lassen, dass irgendwas nicht stimmt; das gilt neben den irritierenden ersten Bildern auch für den seitenverkehrten Vorspann. Dank der vielen kunstvoll miteinander verknüpften Rückblenden treibt der Regisseur ein ausgesprochen cleveres Spiel mit dem Publikum: weil sich bedrohliche Aufnahmen als völlig harmlos entpuppen, während die Idylle pure Fantasie ist. Der gelegentlichen Kommentarsätze, die Petra Schmidt-Schaller sprechen muss und die allzu literarisch klingen, hätte es überhaupt nicht bedurft.

Allerdings stören sie auch nicht weiter, denn Enlens größte Leistung besteht darin, dass dieses bühnenhafte Drama, in dem die ganze Zeit geredet wird, dennoch vor allem über die optische Ebene funktioniert. Das gilt nicht nur für die schönen kurzen Einstellungen, die beim Blick aus dem Fenster den Wechsel der Jahreszeiten zeigen, sondern vor allem für das Spiel von Petra Schmidt-Schaller, die gewissermaßen eine Doppelrolle verkörpert: In Sylvias Erzählungen ist sie eine offene, lebensbejahende und in der Tat strahlende junge Frau und Mutter; zeigt Enlen ihre Sicht der Dinge, schleichen sich zunehmend Trauer und Wut in die Idylle. Viele Szenen funktionieren zudem auch ohne Worte. Als selbst Sylvia nicht länger verborgen bleibt, dass das harmonische Dasein nebenan Risse bekommen hat, tut Hermann alles, um die Illusion aufrechtzuerhalten, doch es hilft alles nichts. Schließlich muss seine Frau ins Krankenhaus. Die Kamera bleibt auf Distanz, als der Arzt den Gatten informiert, aber Rainer Bocks Körpersprache lässt keinen Zweifel an der Diagnose. Kurz drauf steht Hermann draußen, der Wind reißt ihm den Hut vom Kopf, er reagiert überhaupt nicht; so einfach kann es einfach sein, seelischen Schmerz zu vermitteln. Die letzten Szenen zeigen seine ebenso hilflosen wie vergeblichen Versuche, das Paar dazu zu bewegen, sich wieder zu versöhnen; umso grimmiger ist die Schlusspointe. 

Das Drehbuch ist von der Schauspielerin Edda Leesch, die sich seit einigen Jahren fast nur noch aufs Schreiben beschränkt. Ihre Geschichten, zuletzt zum Beispiel "Zwei verlorene Schafe" über einen  zweifelnden Priester, kommen gern komisch daher, behandeln aber fast immer ernste Themen. Von Komödie kann in diesem Fall keine Rede sein; aber dafür ist das Vier-Personen-Stück eine vorzüglich gespielte Parabel über Schein und Sein.