Als der Walzer in Wien Sünde war

Tanzen mit Tradition: Eröffnungswalzer auf dem Ball der Wiener Philharmoniker im Jahr 1959.
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Tanzen mit Tradition: Eröffnungswalzer auf dem Ball der Wiener Philharmoniker im Jahr 1959.
Als der Walzer in Wien Sünde war
Zum Reformationsjubiläum veranstalten die Evangelischen Kirchen in Österreich einen Europäischen Reformationsball mit mehr als 1.000 Teilnehmern in der Wiener Hofburg. Das Motto lautet "Die Reformation tanzt". Natürlich darf der Wiener Walzer bei einem solchen Ball nicht fehlen. Dabei galt der Walzer einst als verpönt und war sogar verboten.

Ob Martin Luther gerne getanzt hat, weiß Michael Bünker nicht. Aber zumindest dürfte Luther etwas vom Tanzen verstanden haben: "Ein jeder tanze auf den eigenen Füßen", zitiert er eine von Luthers Redensarten. Michael Bünker ist Bischof der Evangelischen Kirche A.B. in Österreich und Generalsekretär der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE). "In Österreich gibt es jedes Jahr mehrere evangelische Bälle. Und wie lassen sich Wien und das Reformationsjubiläum besser verbinden als mit einem Ball? Deshalb war für uns ziemlich schnell klar - in Wien tanzt die Reformation. Dazu haben wir auch besonders Gäste aus den Nachbarkirchen eingeladen", sagt Michael Bünker.

Doch es gab auch eine Zeit, wo Wien ohne Walzer auskommen musste. Im Jahr 1758 wurde das Walzen in Wien durch ein "höchstes Hofdeskribt" verboten, da es "der Gesundheit schädlich und auch der Sünden halber sehr gefährlich sei." Worin bestand die Sünde beim Wiener Walzer? "Damals war es unzüchtig, engen Körperkontakt zu haben. Der Wiener Walzer aber braucht physikalisch bedingt eine enge Körperhaltung. Besonders verpönt war der linksgedrehte Walzer, denn dort muss das Paar noch mehr die Balance zueinander führen als beim rechtgedrehten Walzer", sagt Jürgen Ball, Leiter der Tanzakademie des Deutschen Tanzlehrerverbandes (ADTV).

Die gesundheitsschädigende Wirkung des Walzers erklärt Ball so: "Damals wurden beim Walzer viele punktuelle Drehungen ausgeführt, sodass den Damen schnell schwindelig wurde." Heutzutage sei der Walzer im Gegensatz zu damals eher schwingend und raumgreifend gewesen. Und noch ein anderer Umstand machte den Walzer aus der Sicht der Wiener Oberschicht kritisierungswürdig: "Im Gegensatz zu allen anderen Tänzen, die damals gelehrt wurden, war der Walzer am einfachsten zu lernen. Alle anderen Tänze entstanden aus Schreittänzen mit komplizierten Choreographien, aber der Walzer war plötzlich für jeden zugänglich", erklärt Ball.

"Statt Distanz zwischen den Tanzpartnern gab es eine enge Körperhaltung, statt komplizierter Raumwege die einfache Kreisform, statt steter Selbstkontrolle des Körpers eine Hingabe an spontane und willkürlich gesetzte Bewegungen", fasst die Musikwissenschaftlerin Monika Fink von der Universität Innsbruck im Buch "Zur Frühgeschichte des Walzers" zusammen. Durch das Aufkommen von Rundtänzen wie dem Walzer habe sich der bis dahin praktizierte Gesellschaftstanz verändert. Wie es später auch bei anderen neuen Gesellschaftstänzen der Fall war, habe auch der Walzer den Anspruch auf "mehr Individualismus und ein freies, lustbetontes Körpergefühl" durchzusetzen gewusst.

"Kein Wiener Ball ohne Walzer"

Heute sei der Walzer "ein Stück Kulturgut", sagt Jürgen Ball vom Deutschen Tanzlehrerverband (ADTV). "Ich bin der festen Überzeugung, dass der Walzer auch in 100 Jahren noch getanzt und fest zu unserer Kultur gehören wird." Nicht nur in Deutschland und Österreich gehöre es schließlich zum "guten Ton", Walzer tanzen zu können - egal ob mit enger oder offener Körperhaltung.

Natürlich spielt der Walzer auch beim Europäischen Reformationsball in Wien eine besondere Rolle: "Kein Wiener Ball ohne Walzer!" betont Bischof Michael Bünker. Als Eröffnungswalzer werde der "Frühlingsstimmenwalzer" (Johann Strauss) erklingen, ein Höhepunkt des Abends soll der um Mitternacht getanzte "Donauwalzer" mit anschließender Quadrille sein. Auch im Crashkurs, der unmittelbar vor dem Ball am Donnerstagabend und am Freitagnachmittag stattfindet, werden die schwungvollen Drehungen nach rechts oder links selbstverständlich im Vordergrund stehen.