Buchtipps zur "Zeitenwende"

Globus vor Büchern
pexels/ Dzenina Lukac
Eliport empfielt Bücher, die sich mit dem Lauf der Welt beschäftigen und der "Zeitenwende".
Blick in die Literatur
Buchtipps zur "Zeitenwende"
Das Wort "Zeitenwende" hat uns vor allem in den letzten zwei Jahren begleitet, dabei gab es Zäsuren zu jeder Zeit. Heute stellt das Evangelische Literaturportal drei Bücher vor, die sich mit solchen Umbrüchen beschäftigen, mit der Frage, was hätte sein können und wie man eine Krise eigentlich bewältigt.

Roads not taken. Oder: Es hätte auch anders kommen können. Deutsche Zäsuren 1989-1848

Fritz Backhaus, Dan Diner, Julia Franke u.a. Mühlacker: Roads not taken. Oder: Es hätte auch anders kommen können. Deutsche Zäsuren 1989-1848.

Eine ungewöhnliche Ausstellung im Deutschen Historischen Museum in Berlin liegt als Katalog vor.

Was wäre wenn? Was wäre gewesen? Was wäre geworden? Was wäre passiert, wenn im Herbst 1989 die Regierung der DDR den Widerstand des Volkes gewaltsam niedergeschlagen hätte? Was wäre gewesen, wenn das Attentat auf Hitler im Juli 1944 gelungen wäre? Wie kann man das heute bewerten, wenn man weiß, dass zu diesem Zeitpunkt der Holocaus vollendet und das europäische Judentum fast vollständig vernichtet war? Was wäre gewesen, wenn Hitler 1933 entsprechend seiner Wahlniederlage (die NSDAP hatte empfindlich an Stimmen verloren!) nicht in die Regierung eingebunden worden wäre? Hätte es 1945 auch einen Atombombenabwurf über Dresden geben können? Wie sieht es mit dem Kaiser aus? Und überhaupt. Europa ohne Deutschland. Ausstellung und Katalog arbeiten mit wirkmächtigen Bildern. Die Überlegungen sind spannend und öffnen den Blick auf historische Zusammenhänge, die überraschend sind. Manches ist witzig, anderes gruselig. In jeder Hinsicht aber bedenkenswert. Was ist Geschichte? Wer macht sie?
Christiane Thiel

Hg. von Fritz Backhaus, Dan Diner, Julia Franke u.a. Mühlacker: C.H.Beck 2023. 286 S. ISBN 978-3-406-80094-8, kt.: 28,00 Euro

Krisen anders denken. Wie Menschen mit Bedrohungen umgegangen sind und was wir daraus lernen können

Hg. von Ewald Frie u. Mischa Meier: Krisen anders denken. Wie Menschen mit Bedrohungen umgegangen sind und was wir daraus lernen können.

Krisen in der Geschichte und wie Menschen damit umgegangen sind.

Hintergrund ist die zwölfjährige Forschungsarbeit des Sonderforschungsbereiches (SFB) "Bedrohte Ordnungen" der Universität Tübingen, deren Sprecher Frie von 2011-2016 war. Wissenschaftler*innen der Abschlusskonferenz im Juni 2023 kommen im Buch zu Wort. Ein Blick wird auf historische Krisen geworfen, so z.B. auf die Pandemie der Pest im alten Rom, aber auch auf aktuelle Bedrohungen wie den Klimawandel oder den Krieg in der Ukraine. Man erkennt, dass Fachkräftemangel nicht erst ein Problem unserer Tage ist oder Hassattacken gegen Personen nicht erst seit Verbreitung des Internets wirksam werden.Untersucht werden die Handlungsmöglichkeiten und Handlungsmodelle, denen die Menschen folgten und folgen und die Herausforderungen, aber auch Chancen, die sich aus den Krisen ergaben. Interessant dabei ist zum Beispiel auch der vom SFB diagnostizierte Prozess des sogenannten "re-ordering" , da es nur in den seltensten Fällen zu einer Rückkehr zur alten Ordnungen kommt, sondern im Verlauf einer Bedrohung meist eine neue Ordnung entsteht; sozusagen eine Innovation ausgelöst wird.
Christiane Spary

Hg. von Ewald Frie u. Mischa Meier. Berlin: Propyläen 2023. 548 S. ISBN 978-3-549-10059-2, geb.: 32,00 Euro

Zeitenwenden in der Zeitgeschichte

Martin Sabrow: Zeitenwenden in der Zeitgeschichte.

Erweiterte Fassung der Abschiedsvorlesung des Historikers Prof. Martin Sabrow an der Humboldt-Universität Berlin am 6.7.2022.

Der moderne Begriff Zeitenwende, den auch Kanzler Olaf Scholz in seiner Rede zum Ukrainekrieg  vor dem deutschen Bundestag benutzte, stellt Fundamentalzensuren in der Geschichte dar, die die Gültigkeit der bislang geltenden gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Überzeugungen in Frage stellen. Der Historiker Martin Sabrow lotet in seiner Abschiedsvorlesung die Aussagekraft des Begriffs in Geschichtswissenschaft und Erinnerungskultur aus, skizziert radikale Umbrüche, wie den der Machtergreifung der Nazis 1933, um auf das schleichende Ende des 50jährigen  zeithistorischen Grundkonsenses zu sprechen zu kommen. Die Phase der "Vergangenheitsvergegenwärtigung"  gehe dem Ende entgegen, so Sabrow. Aneignung und Partikularismus bestimmen nun die Zunft der Zeitgeschichte. Historische Figuren werden mit den Normen der Gegenwart beurteilt, die Vergangenheit sprachlich bereinigt. Ein nicht leicht zu lesender, aber inspirierender Vortrag, der kritisch den Hang vieler Akteure beleuchtet, Handlungen in der Vergangenheit mit dem Wissen von heute zu bewerten.
Michael Freitag

Martin Sabrow. Göttingen: Wallstein 2023. 87 S. ISBN 978-3-8353-5434-0, geb.: 18,00 Euro

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