Bistum Essen untersucht Missbrauchsvorwurf

Theologe Franz Hengsbach
Fritz Fischer/dpa
Die katholische Kirche untersucht Missbrauchsvorwürfe gegen den Gründungsbischof des Ruhrbistums und späteren Kardinal Franz Hengsbach, der 1991 verstorben ist.
Verstorbener Bischof verdächtigt
Bistum Essen untersucht Missbrauchsvorwurf
Erstmals steht ein deutscher Kardinal unter Missbrauchsverdacht: Der 1991 verstorbenen Essener Bischof Franz Hengsbach soll Minderjährige missbraucht haben. Betroffenenvertreter fordern nun weitere Aufklärung.

Es ist nicht das erste Mal, dass ein deutscher Bischof in den Verdacht gerät, zum Missbrauchstäter geworden zu sein: Jedoch steht mit dem verstorbenen Essener Bischof Franz Hengsbach erstmals ein deutscher Kardinal unter dem Verdacht, in seiner Amtszeit Minderjährige sexuell missbraucht zu haben.

Am Dienstag trat der amtierende Essener Bischof Franz-Josef Overbeck mit der Mitteilung an die Öffentlichkeit, er lasse "gravierende Missbrauchsvorwürfe" gegen Hengsbach (1910-1991) prüfen. Die Fälle sollen sich in den 1950er und den 1960er Jahren ereignet haben.

Wie jetzt bekannt wurde, erhielt das benachbarte Erzbistum Paderborn 2011 erstmals eine Anzeige eines Übergriffs auf eine zur mutmaßlichen Tatzeit 16-Jährige. Die Frau hatte sich kurz nach Bekanntwerden des Missbrauchsskandals an das Erzbistum gewandt und einen sexuellen Übergriff aus dem Jahr 1954 zu Protokoll gegeben. 2011 war Hengsbach bereits 20 Jahre tot, doch sein Bruder, der auch an dem Übergriff beteiligt gewesen sein soll, bestritt die Vorwürfe. Das Erzbistum stufte den Fall als unplausibel ein und leitete ihn an den Vatikan weiter, der ebenfalls auf Konsequenzen verzichtete.

Im Herbst 2022 meldete sich nun eine betroffene Person, die anonym bleiben will, beim Bistum Essen und berichtete von einem Übergriff aus dem Jahr 1967, als Hengsbach bereits dort Bischof war. In beiden Fällen machten weder das Erzbistum Paderborn noch das Bistum Essen nähere Angaben zu den mutmaßlichen Taten. In Essen war bereits ein weiterer Fall bekannt, der 2011 gemeldet wurde, dessen Meldung jedoch 2014 zurückgezogen wurde. Eine Missbrauchsstudie des Bistums lieferte keine Hinweise auf Hengsbach als Täter.

Kirchenrechtler lobt Mut der Bistumsspitze 

Der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller lobte den Mut der Bistumsspitze zur Veröffentlichung der Vorwürfe. Sollten sich die Vorwürfe im weiteren Verlauf erhärten, würde mit dem Kardinal "eine Ikone vom Sockel gestürzt", die für ihre gradlinig katholisch-konservative Haltung bekannt und beliebt war, sagte Schüller dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Endlich, aber dennoch viel zu spät, sind auch Bischöfe, die Täter waren, vor dem Gesetz der Kirche gleich und werden zur Rechenschaft gezogen", sagte der Professor für Kanonisches Recht an der Uni Münster.

Hengsbach ist nicht der erste deutsche Bischof, der öffentlich unter Verdacht gerät. Der frühere Bischof und Geschäftsführer des katholischen Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat, Emil Stehle, soll einer Untersuchung zufolge minderjährige Mädchen missbraucht und anderen Missbrauchstätern beim Untertauchen geholfen haben.

Hengsbach wurde 1910 als Bauernsohn im Sauerland geboren, 1937 wurde er zum Priester geweiht. 1953 wurde er Weihbischof im Erzbistum Paderborn, 1958 erster Bischof des damals neu gegründeten Bistums Essen, an dessen Spitze er bis kurz vor seinem Tod im Juni 1991 stand. Bekannt war er für seine Solidarität mit den Kohle- und Stahlarbeitern in den Zechen und Hütten des Ruhrgebiets. Dort wurde er auch "Kumpel Franz" genannt, als Zeichen seiner Verbundenheit trug der "Arbeiterbischof" ein Stück geschliffene Steinkohle in einem Ring.

Im Vordergrund: Perspektive der Betroffenen

Ruhrbischof Overbeck betonte, ihm sei klar, was die Entscheidung zu Veröffentlichung der Vorwürfe bei vielen Menschen auslösen werde. Er hoffe, dass es bei allen Schritten, die jetzt anstünden, gelinge, die Perspektive der Betroffenen in den Vordergrund zu stellen, erklärte er. Die Betroffenenvereinigung "Eckiger Tisch" forderte weitere Untersuchungen durch eine unabhängige Kommission. Die katholische Kirche dürfe die Taten in ihren Reihen nicht alleine aufklären.