Lützerath: Forderungen nach Moratorium reißen nicht ab

© epd/Guido Schiefer
Im rheinischen Braunkohlerevier ist die Räumung des vor der Abbaggerung stehenden Dorfes Lützerath fortgesetzt worden. Die schwarz-grüne NRW-Landesregierung bleibt trotz anhaltendender Forderungen bei ihrer Position und sieht keine Möglichkeit eines Moratoriums.
Landesregierung sieht keine Möglichkeit
Lützerath: Forderungen nach Moratorium reißen nicht ab
Das Dorf Lützerath, das dem Braunkohletagebau weichen soll, ist nahezu geräumt. Bundeskanzler Olaf Scholz kritisiert die Proteste gegen die Räumung. NRW-Ministerpräsident Wüst sieht keine Möglichkeit eines Moratoriums. Klimaaktivisten wollen sich damit nicht abfinden und versammeln sich zu einer Großdemonstration.

Auch am Tag vier der umstrittenen Räumung des Ortes Lützerath im rheinischen Braunkohlegebiet Garzweiler II reißen Forderungen nach einem sofortigen Räumungsstopp nicht ab. Der Anblick der Kohlegrube in Lützerath sei schwer zu ertragen, erklärte die Vorstandssprecherin der sozial-ökologischen GLS-Bank, Aysel Osmanoglu, am Samstag in Bochum. Deswegen appelliere sie an die Verantwortung und die Verantwortlichen des Energieunternehmens RWE. "Es ist noch nicht zu spät, für eine zukunftsträchtige Wirtschaftsweise zu sorgen. Stoppen Sie diese Räumung."

Auch der Kieler Klimaforscher und Meteorologe Mojib Latif sprach sich in der "Rheinischen Post" (Samstag) für ein Moratorium im Konflikt um den Braunkohle-Standort aus. "Am besten wäre es, die Beteiligten würden sich noch einmal an einen Tisch setzen und über die veränderte Lage diskutieren", sagte er. "Wenn es dann beim Aus für Lützerath bleibt, wäre das in Ordnung." Aber die Lage würde sich zunächst entspannen. Zudem brauche der Energiekonzern RWE die Braunkohle derzeit gar nicht, sagte der Wissenschaftler, der am Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung arbeitet.

Die schwarz-grüne NRW-Landesregierung blieb jedoch bei ihrer Position. Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) sieht keine Möglichkeit eines Moratoriums bei der Räumung von Lützerath. "Wir haben ja die Debatten alle geführt", sagte er im Interview der Woche im Deutschlandfunk, das am Samstag in Auszügen verbreitet wurde. In einem Rechtsstaat sei eine Sache an einem bestimmten Punkt entschieden, "und dieser Punkt ist mit den Beschlüssen und mit den Urteilen eben erreicht", unterstrich der CDU-Politiker.

Auch NRW-Klimaministerin Mona Neubaur (Grüne) verteidigte den mitverhandelten Kohle-Kompromiss und die Räumung des Ortes in der "Aktuellen Stunde" im WDR-Fernsehen am Freitagabend. Als Wirtschaftsministerin müsse sie in der Frage der Energieversorgungssicherheit auf das schlimmste Szenario gut vorbereitet sein, sagte sie. Dafür müsse die klimaschädliche Braunkohle zuhilfe genommen werden. Der um acht Jahre vorgezogene Ausstieg aus der Braunkohleverstromung die Herausnahme von fünf Dörfern aus den ursprünglichen Abbaggerplänen seien ein Erfolg für das Klima und für die Menschen in der Region.

In dem vom Abriss bedrohten Dorf Lützerath ist am Freitag das letzte Haus von der Polizei geräumt worden.

"Das lässt mich nicht kalt, zu sehen, wie Menschen, die für den Klimaschutz eintreten, sich nicht wiederfinden in dem, was wir als Erfolg erreichen konnten", sagte Neubaur. Am Samstag wurden im benachbarten Keyenberg etwa 10.000 Menschen zu einer Großdemonstration gegen den Abriss von Lützerath erwartet, unter ihnen auch die schwedische Klimaaktivistin und Initiatorin von "Fridays for Future", Greta Thunberg.

Die Polizei Aachen hatte am Freitagabend nach eigenen Angaben das letzte Gebäude im Weiler Lützerath geräumt. Rund 470 Klimaaktivisten verließen bislang freiwillig die Ortschaft, in der sie teilweise monatelang ein Protestcamp errichtet hatten. Rund 150 Menschen mussten von der Polizei weggetragen oder fortgeführt werden. Einzelne Klimaaktivisten finden sich noch in "Baumstrukturen". Weiterhin hielten sich zwei Aktivisten in Tunnelgängen auf.

Scholz kritisiert Proteste gegen Räumung

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat die Proteste gegen die Räumung des Dorfes Lützerath im rheinischen Braunkohlerevier kritisiert. "Auch ich habe früher häufiger demonstriert. Allerdings gibt es für mich eine Grenze, die genau da verläuft, wo Protest gewalttätig wird", sagte er der in Berlin erscheinenden "wochentaz" (Samstag). Die Kritik von Klimaaktivisten, dass mit der Erschließung der Braunkohlevorkommen unter Lützerath die Klimaziele in Gefahr seien, wies Scholz zurück: "Dieser Vorwurf trifft nicht zu. Es ist genau umgekehrt: Wir machen Politik, damit wir unsere Klimaziele erreichen."

Die Proteste gegen die Abbaggerung des Dorfes gehen nach Ansicht des Bundeskanzlers in die falsche Richtung. Fünf andere Dörfer in der Nachbarschaft blieben, anders als ursprünglich geplant, erhalten. "Vielleicht sollte sich der Protest eher dagegen richten, dass es sechs Jahre braucht, bis eine Windkraftanlage genehmigt wird. Wenn wir die Energiewende schaffen wollen, brauchen wir mehr Tempo", fügte Scholz hinzu. Ziel müsse sein, täglich drei bis vier große Windkraftanlagen in Deutschland aufzustellen.

Das Ziel einer Senkung des CO2-Ausstoßes sei nicht mit Verzicht oder Verboten zu erreichen, sagte der Bundeskanzler. Politik solle den Menschen nicht vorschreiben, wie viel Fleisch sie essen. "Ich bin kein Anhänger der Verzichtserzählung", sagte Scholz. Er äußerte die Überzeugung, dass es mit technologischer Modernisierung möglich sein werde, CO2-neutral zu wirtschaften, das Klima und die Ressourcen zu schonen sowie den Wohlstand zu erhalten.