Theologe rät zur Vorsicht bei der Gen-Schere

Gen-Schere
Getty Images/traffic_analyzer
Besonders bei Eingriffen in die Keimbahn mit der "Gen-Schere" sei Vorsicht geboten, sagt der Theologe Stefan Heuser.
Theologe rät zur Vorsicht bei der Gen-Schere
Bei der Entwicklung von Gentherapien wie der Gen-Schere sind nach Auffassung des Braunschweiger Theologen Stefan Heuser noch viel Forschungsarbeit nötig. Besonders bei Eingriffen in die Keimbahn sei Vorsicht geboten.

Der Theologe und Ethikexperte Stefan Heuser sieht in der sogenannten Gen-Schere, für deren Entwicklung die Französin Emmanuelle Charpentier und die US-Amerikanerin Jennifer Doudna den diesjährigen Chemie-Nobelpreis erhalten haben, einen großen Fortschritt für die Erforschung des Erbguts von Pflanzen, Tieren und Menschen. Allerdings komme sie wegen der enormen Komplexität des Genoms einstweilen nur für begrenzte Anwendungen am Menschen infrage, schränkte der Professor der TU Braunschweig im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) ein.

Die Gen-Schere könne bei der Entwicklung gezielter somatischer Gentherapien helfen, dürfe aber bis auf weiteres nicht für Eingriffe in die menschliche Keimbahn verwendet werden, sagte der Ethiker: "Wenn wir tatsächlich in die Keimbahn eingreifen wollen, dann müssen wir das Stadium von Experimenten verlassen haben und uns auf dem Boden von wirklich verstandenem Wissen und weitsichtiger Risikoanalysen befinden."

Ethikrat hat keine grundsätzlichen Bedenken

Durch die gesellschaftlichen Debatten geistere immer wieder das Schreckensbild des sogenannten "Designerbabys", sagte Heuser. Doch sei dies beim gegenwärtigen Stand der Technik kein Thema. Denkbar seien jedoch gentherapeutische Eingriffe mit dem Ziel, bestimmte vererbbare Erkrankungen zu vermeiden. Bekannte Beispiele seien Chorea Huntington oder Mukoviszidose.

Die Sicherheit von Eingriffen in die Keimbahn sei jedoch nur schwer zu kalkulieren. Das liege unter anderem daran, dass die DNA in ein hoch komplexes Steuerungsnetzwerk eingebettet sei und dass die Konsequenzen solcher Eingriffe über mehrere Generationen hinweg verfolgt werden müssten, erläuterte Heuser. Die Mehrheit des Deutschen Ethikrats sehe keine kategorischen Gründe gegen solche Eingriffe - vorausgesetzt, dass die Sicherheit gewährleistet ist. "Ich persönlich halte das Risiko aber für zu hoch."

Fragen nach dem Menschenbild

Um die Risiken beim "Ausschneiden" oder "Ausschalten" von Genen und eventuell auch beim Gentransfer wirklich ausschließen zu können, sei noch sehr viel mehr Grundlagenforschung nötig, unterstrich Heuser. Die Risiken von Keimbahnmanipulationen seien so groß, da diese auch nachfolgende Generationen beträfen und wegen der Komplexität natürlicher Prozesse für eine belastbare wissenschaftliche Risikoanalyse nicht hinreichend zugänglich seien. "Außerdem sind Eingriffe in die Keimbahn irreversibel."

Gentherapeutische Eingriffe in die menschliche Keimbahn würden zudem Fragen nach dem Selbstbild des Menschen aufwerfen: "Was ändert sich für unser Selbstverständnis, wenn es zu einer Option wird, Menschen hinsichtlich der genetischen Grundlagen ihrer Existenz gezielt zu verändern?", nannte er ein Beispiel. Das gelte, selbst wenn es nur um so etwas Verständliches wie die Eliminierung einer schweren Krankheit gehe. "Wird es für uns einen Unterschied machen, dass es dann Menschen gibt, die gemacht wurden und andere, die einfach so geworden sind? Solche Fragen gehen über die Frage hinaus, was notwendig oder verboten, was risikoreich oder chancenhaltig ist."