Gefängnispfarrer: Kirche muss in Krisenzeiten zu den Menschen

Gefängnisseelsorge
© epd-bild/Juergen Blume
Bibel und Schlüsselbund eines evangelischen Gefaengnisseelsorgers.
Gefängnispfarrer: Kirche muss in Krisenzeiten zu den Menschen
Die Gefängnisseelsorge hat während der Corona-Krise eine sehr große Wertschätzung erfahren. "Wir waren von Justizministerien und Anstaltsleitungen sehr gewünscht und wurden als systemrelevant gesehen", sagte der Vorsitzende der Evangelischen Konferenz für Gefängnisseelsorge, Pfarrer Igor Lindner (Offenburg) im epd-Gespräch.
16.07.2020
epd
Christine Süß-Demuth

Anders als externe Dienste, wie etwa die Sozial- oder Drogenberatung, hatten die Seelsorger und Seelsorgerinnen durchgehend freien Zugang zu den Haftanstalten. Die Kirche habe diesen Aufgabenbereich jedoch nur wenig im Blick gehabt: "Sie war weitgehend damit beschäftigt, sich selbst zurückzunehmen", kritisierte der evangelische Theologe. Lindners Auffassung nach müsse sie gerade in Krisenzeiten vor Ort für die Menschen da sein, etwa wie die Pestpfarrer im Mittelalter.

Seelsorge in Haftanstalten gehöre zum Grundrecht auf Religionsausübung, betonte Lindner. Trotz der Krise seien die Gefängnispfarrerinnen und -pfarrer "an vorderster Front" weiter flächendeckend präsent geblieben. "Wir sind froh, dass wir weiter selbstständig arbeiten konnten", so Lindner, der gemeinsam mit seinem katholischen Kollegen an der Justizvollzugsanstalt Offenburg tätig ist.

Durch die Pandemie habe sich auch die Gefängnisseelsorge verändert. So durften auch in den Haftanstalten bis Ende Mai fast keine Gottesdienste gefeiert werden. Hier seien seine Kolleginnen und Kollegen sehr kreativ mit Alternativangeboten gewesen: Etwa mit Andachten über den Hausfunk, Andachtstexten zum Mitbeten in den Zellen, oder das stellvertretende Kerzenanzünden für die Anliegen der Gefangenen.

20 statt 50 Insassen pro Gottesdienst

Seit 1. Juli seien vielerorts die Einschränkungen wieder gelockert worden, mit Abstands- und Hygieneregeln. Dies bedeute etwa für die JVA Offenburg, dass nur 20 statt 50 Insassen pro Gottesdienst kommen könnten und damit jeder Interessent nur alle zwei Wochen, so der Gefängnispfarrer.

Die Corona-Krise habe im Justizsystem teils absurde Folgen gehabt und jedes Bundesland unterschiedliche Regeln. Während in einigen Bundesländern die Inhaftierten mit Angehörigen per Videotelefonat sprechen durften, sei dies in anderen Anstalten trotz Corona und dem daraus resultierenden Besuchsverbot von Angehörigen nicht möglich gewesen.

Disziplinierte Gefangene - "gewohnt mit Mangel zu leben"

Solche Videotelefonate sollten weiter erlaubt bleiben, empfiehlt Lindner, gerade auch für Gefangene, deren Angehörige weit weg oder im Ausland lebten und nicht zu Besuch kommen könnten. Mittlerweile seien auch wieder Besuche von Angehörigen möglich, allerdings mit Trennscheiben. Das sei für alle Seiten sehr belastend, besonders für Kinder, weil kein direkter Kontakt möglich sei.

Gefangene seien sehr diszipliniert gewesen, "sie sind gewohnt mit Mangel zu leben". Lindner wünscht sich, dass Menschen in Gefängnissen mehr wahrgenommen werden. Gefangen zu sein sei der größte Einschnitt im Leben eines Menschen und eine massive Einschränkung seiner Freiheitsrechte. Vonseiten der Politik sollte überlegt werden, ob etwa bei Geldschulden eine Haftstrafe überhaupt sein müsse. Es sollte mehr Möglichkeiten geben, um Schulden abzuarbeiten.