Zwölf Kerzen für die Toten

Der evangelische Pfarrer Martin Germer spricht in der Gedächtniskirche in Berlin.
Foto: dpa/Gregor Fischer
Der evangelische Pfarrer Martin Germer spricht in der Gedächtniskirche in Berlin den Gottesdienst für die Schausteller des Weihnachtsmarktes rund um die Kirche auf dem Breitscheidplatz.
Zwölf Kerzen für die Toten
Viele Schausteller, die am 19. Dezember 2016 das Attentat am Breitscheidplatz erlebten, wollen nicht mehr darüber sprechen. "Erledigt und abgeschlossen", sagen sie. Aber bei der Eröffnung des Marktes ringen manche doch mit den Folgen.

Martin Blume demonstriert Zuversicht. Er gehe "mit einem sehr guten Gefühl" in die neue Saison, sagt der Chef eines großen Grillhauses auf dem Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz, der am Montagvormittag eröffnete. Blumes Stand liegt schräg gegenüber jener Stelle, an der der von dem Attentäter Anis Amri gesteuerte Lkw am 19. Dezember 2016 nach seiner Todesfahrt stoppte. Zwölf Menschen kamen ums Leben, fast 70 wurden teils sehr schwer verletzt.

Über das Erlebte sprechen will Blume, wie viele der Schausteller und ihre Mitarbeiter, die den Abend miterlebten, nicht mehr. "Es hat mich ein bisschen zu lange beschäftigt", sagt er leise. "Lange konnte ich nicht richtig schlafen." Jetzt wolle er nach vorne schauen: "Mein Standpunkt ist: Das Geschehene liegt hinter uns."

Auch Manfred Edling, der eine Bude für Süßes und eine für Hochprozentiges unterhält, will sich nicht mehr mit dem Attentat beschäftigen. "Erledigt und abgeschlossen", sagt er. Die Sicherheitskräfte und Polizisten, die bei der Eröffnung über den Markt schlendern, die hüfthohen Betonplatten an den Haupteingängen - das gebe ihm Sicherheit. "Und ein zweites Mal wird das bestimmt nicht passieren."

Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz öffnet mit Gedenkgottesdienst

Dennoch fällt die Eröffnung des Weihnachtsmarkts anders aus als in den Jahren vor dem Attentat. Der Schaustellerverband Berlin und die Arbeitsgemeinschaft City West hatten Pfarrer Martin Germer um einen Eröffnungs-Gottesdienst in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche gebeten, die von den Buden und Verkaufsständen umgeben ist. Seit vielen Jahren gibt es zwar schon einen Gottesdienst - bislang aber nur zum Abschluss am 31. Dezember.

Germer erinnert in seiner Predigt an das, was viele ausblenden möchten: An den "unfassbaren Terroranschlag", an den Schock, das Erschrecken und die Fassungslosigkeit danach. "In manchen Momenten ist das wieder ganz gegenwärtig", sagt er. Zwölf Kerzen brennen auf dem Altar, für jedes getötete Opfer eine. Germer betet für sie, für die vielen Verletzten, von denen einige für immer körperliche und seelische Narben davontragen werden. Fast 200 Menschen sind gekommen, Schausteller, Gemeindemitglieder, ebenso Besucher und Nachbarn, denen das Ereignis bis heute zu Herzen geht.

Auch ihm sei "zwischendurch die Stimme weggebrochen", sagt Germer nach dem Gottesdienst. Bis heute besitze das Attentat eine "wirkliche emotionale Tiefe", das ganze Jahr über sei es immer wieder Thema gewesen. Viele Gemeindemitglieder hätten sich Gebete für die Opfer und ihre Angehörigen gewünscht. Am 19. Dezember soll ein Denkmal zum Gedenken an die Toten und Verletzten feierlich eingeweiht werden. Der Weihnachtsmarkt bleibt an diesem Tag geschlossen.

Zur Eröffnung des Weihnachtsmarktes hatten sich Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller und Innensenator Andreas Geisel (beide SPD) noch für Montagabend am Ort des Attentats angekündigt.

Dieser Zuspruch tut manchem gut. Denn nicht alle können das Erlebte zur Seite schieben. Steven Rabenhorst verkaufte am Abend des Attentats Brotfladen, als der Lkw direkt an seinem Stand vorbeidonnerte. Er hörte einen Knall, daran erinnert er sich noch. Auch, dass sie sofort die Bude zumachten und er "noch ein paar Leuten geholfen" hatte. Danach verdrängte der Schock die Erinnerung.

Die Betonklötze an den Eingängen zum Weihnachtsmarkt und die Polizeipräsenz hält Rabenhorst für wichtig. Und dennoch überfällt ihn bis heute ein Gefühl, dass wieder etwas passieren könne. "Es bleibt ein diffuser Bammel", sagt er.

Sicherheit hat ihren Platz

Umfangreiche Sicherheitsmaßnahmen wureden ergriffen für deutsche Weihnachtsmärkte (v. l. n. r.): Betonklötzen und ein gespanntes  Stahlseil am Weihnachtsmarkt in Essen, Betonsperren am Marienplatz in München, eine mobile Stahlsperre liegt auf einer Straße in Osnabrück, Betonbarrieren sichern den Potsdamer Platz, Betonpoller auf Zufahrtsstraße zum Marienplatz in München und grünegestrichene Sicherheitspoller am Weihnachtsmarkt Düsseldorf mit zwei Tannenäume dekoriert.