TV-Tipp „Charité“ (ARD)

TV-Tipp „Charité“ (ARD)
21.3., ARD, 20.15 Uhr: „Charité“
Der deutsche Fernsehfilm hat sich in den letzten Jahren immer wieder mal mit der Geschichte der Medizin beschäftigt. Weil Frauen bis zum Ende des 19. Jahrhunderts nicht zum Studium zugelassen waren, standen mit Ausnahme des ZDF-Dramas „Dr. Hope“ regelmäßig Hebammen im Mittelpunkt („Die Hebamme - Auf Leben und Tod“, ZDF; „Die Hebamme“, Sat.1; „Das Geheimnis der Hebamme“, ARD). Auch in der sechsteiligen ARD-Serie „Charité“ sind die historisch verbürgten medizinischen Koryphäen ausnahmslos Männer. Heldin der aufwändigen Produktion über das älteste Krankenhaus Berlins ist trotzdem eine Frau: Ida.

Ida (Alicia von Rittberg) schleppt sich Ende des 19. Jahrhunderts mit letzter Kraft in die Klinik; ihr Blinddarm ist entzündet. Zum Glück beherrscht der Stabsarzt Emil Behring (Matthias Koeberlin) eine revolutionäre neue Technik und rettet ihr das Leben. Weil die junge Frau mittellos ist, muss sie die Operationskosten als „Hilfswärterin“ abarbeiten; und schon hat die Serie, die im Grunde eher ein Spielfilm in sechs Teilen ist, eine Heldin, aus deren Perspektive die Zu- und Missstände in der Charité erzählt werden können.

Es ist kein Zufall, dass Grimme-Preisträgerin Dorothee Schön („Frau Böhm sagt nein“), die das Drehbuch gemeinsam mit der Ärztin und Medizinjournalistin Sabine Thor-Wiedemann geschrieben hat, die Handlung im sogenannten Drei-Kaiser-Jahr 1888 ansiedelt: Mit der Inthronisierung des späteren Kriegskaisers Wilhelm II. begann eine neue Epoche, zumal der mehrfache Herrschaftswechsel natürlich viel Gesprächsstoff garantiert. Aus medizinhistorischer Sicht ist diese Ära ohnehin überaus spannend, denn dank diverser Koryphäen war die Charité damals das Weltzentrum der Heilkunst. Mit Behring, Robert Koch (Justus von Dohnányi) und Paul Ehrlich (Chistoph Bach) arbeiteten dort gleich drei spätere Nobelpreisträger, und Rudolf Virchow (Ernst Stötzner), der auch in hohem Alter noch den Lehrstuhl für Pathologie hielt, war einer der angesehensten Ärzte seiner Zeit. Er ist es auch, der mit seiner Fortschrittsskepsis für die wenigen heiteren Momente sorgt, als er zum Beispiel angesichts des Telefons im Büro von Klinikleiter Spinola (Thomas Lobil) versichert, die Fernsprechtechnik werde sich nicht durchsetzen.

Rund um diese Männer strickt das Drehbuch seine Geschichten. Ida fühlt sich zwar sowohl zum opiumsüchtigen Behring wie auch zu einem viel mehr künstlerisch als medizinisch ambitionierten Studenten (Maximilian Meyer-Bretschneider) hingezogen, aber dennoch ist sie eher Beobachterin. Gerade das ist eine Schwäche des Sechsteilers: Die weiblichen Figuren entwickeln bei weitem nicht genug Kraft, um ein angemessenes dramaturgisches Gegengewicht zu den berühmten Männern bilden zu können. An den Schauspielerinnen liegt das nicht, im Gegenteil; Alicia von Rittberg ist als aufmüpfige Krankenschwester, die viel lieber selber Ärztin wäre, ebenso sehenswert wie Emilia Schüle, die allein durch ihre Attraktivität und ihr erfrischendes Wesen markante Glanzpunkte in dieser ansonsten sehr unwirtlichen Welt setzt. Sie spielt die Varieté-Sängerin Hedwig, die sich in jugendlicher Schwärmerei für die Arbeit des Tuberkulose-Entdeckers Koch begeistert und dem armen Mann prompt derart den Kopf verdreht, dass er seine Familie verlässt (was sich tatsächlich so zugetragen hat). Bezeichnenderweise gehören ausgerechnet diese an Josef von Sternbergs Klassiker „Der blaue Engel“ (1930) erinnernden Passagen nicht nur wegen Kochs vor Aufregung geröteten Wangen zu den interessantesten Szenen, obwohl sie mit der eigentlichen Handlung nur am Rande zu tun haben. Die erste ARD-Serie von Kinoerfolgsregisseur Sönke Wortmanns ist eine über weite Strecken sehr brav wirkende Arbeit, die dem typischen Stil öffentlich-rechtlicher Historienproduktionen entspricht; daran ändern weder die unmotivierten Zeitlupensequenzen noch die unappetitlichen Operationsszenen etwas.

Größeres Manko als die allzu sehr in der Authentizität von Ausstattung und Kostüm schwelgende Umsetzung ist jedoch die fehlende Nähe zu den handelnden Personen. Mit Ausnahme von Ida und Hedwig fallen die weiblichen Figuren ausnahmslos klischeehaft aus. Das gilt auch für die Auseinandersetzungen, die sie wie aufs Stichwort austragen müssen. Gerade das Potenzial der Konflikte zwischen den weltlichen Wärterinnen (repräsentiert durch Tanja Schleif) und den kommandierenden Diakonissen (Ramona Kunze-Libnow als Oberschwester), die Schmerz als göttliche Prüfung betrachten und Betäubungen ablehnen, bleibt weitgehend ungenutzt. Deshalb tappt „Charité“ letztlich doch noch in jene Falle, die durch die Betonung der weiblichen Gegenfiguren vermieden werden sollte: Die Frauen sind bloß Beiwerk, weshalb auch keine emotionale Spannung zustande kommt. Der Aufwand ist sichtbar, das Ensemble hochkarätig, das Handwerk (Bildgestaltung: Holly Fink) imposant; aber das Ergebnis auch ein bisschen langweilig. Im Anschluss zeigt die ARD eine Dokumentation über die Charité.