Jesus und seine vielen Gesichter

Das Tuchbild mit dem Antlitz Jesu
Foto: akg-images / Album / Oronoz
Das Tuchbild mit dem Antlitz Jesu war auch Jahrhunderte später noch hochverehrt und wurde im 9. Jahrhundert an die Byzantiner übergeben. Miniatur aus der Madrider Bilderhandschrift des Skylitzes.
Jesus und seine vielen Gesichter
Lange Haare, Bart, etwas hager, so kennen viele Jesus. Kunsthistoriker Martin Büchsel erklärt, wer für diese Christusdarstellung verantwortlich ist, welche weiteren Jesusbilder es gibt und ob jememand weiß, wie er tatsächlich aussah. "Wer Jesus nicht abbildete, bestritt, dass er Mensch geworden war."

Was ist die früheste Darstellung Christi?

Martin Büchsel: Das ist schwierig zu sagen. Die frühen Quellen bieten uns keine sicheren Anhaltspunkte. Nach allerdings erst viel später im Mittelalter entstandenen Textüberlieferungen müssten das die Tuchbilder sein, Darstellungen, die noch zu Lebzeiten Jesu entstanden sein sollen. Mit der in diesen Texten ausgedrückten Vorstellung, diese Bilder seien authentische, von Jesus selbst gefertigte Wiedergaben, wollte man die Autorität dieser Abbilder unterstreichen. Schließlich wären sie damit sogar älter als die Evangelien. Es gibt die Erzählung des Tuchbildes von Edessa, des heutigen Urfa in der Türkei, die berichtet, dass Jesus sein Gesicht in ein Tuch abgedrückt habe, um dieses dann dem erkrankten König Abgar von Edessa zu schicken. Das sind natürlich alles legendäre Überlieferungen, wirkliche Hinweise auf so frühe Christusdarstellungen gibt es nicht.

Und was ist die älteste uns erhaltene Christusdarstellung?

Büchsel: Entgegen anderer Lehrmeinungen bin ich der Ansicht, dass das Christusbild nicht aus Götterbildern, wie etwa Zeusdarstellungen, entwickelt wurde. Pate stand der Typus des Lehrers, des Philosophen. Der erste uns in Monumenten erhalten gebliebene Christustypus ist der des kynischen Philosophen, entworfen nach dem Vorbild der Vertreter einer philosophischen Richtung, die sich besonders dem Armutsideal verpflichtet sah. In zwei Sarkophagreliefs der Zeit um 300 nach Christus in Rom sieht man Jesus daher im geschlungenen Tuchgewand der Philosophen, mit nacktem Oberkörper, mit Vollbart und ungeordneten Haaren; er trägt Sandalen oder ist barfuß. So wird er hier bei der Darstellung der  Bergpredigt als Lehrer verbildlicht. In diesem Philosophentypus ließ sich die damalige Vorstellung von der Armut Christi mit dem Bild des lehrenden Jesus verbinden, der mit den armen, niedrigen Leuten zusammengelebt hat. In diesem Typus verschmolz das Armutsideal mit der Lehrkompetenz.

Aber dieser Jesus-Typus hat sich später verändert?

Büchsel: Ja, denn es gab ja auch noch andere Aspekte, die die frühen Textquellen mit der Person Jesu verbanden, wie seine Beschreibung als Sohn Gottes. So berichten die Evangelisten von der Verklärung Jesu auf einem Berg, ein Moment, in dem die Göttlichkeit seiner Gestalt mit solcher Macht hervortrat, dass die ihn begleitenden Jünger seinen Anblick nicht ertrugen. Aspekte wie dieser verlangten natürlich nach einer anderen Bildpräsenz. Ab konstantinischer Zeit, im 4. Jahrhundert, wurde ein zweiter erfolgreicher Jesus-Typus entwickelt, der seine Göttlichkeit stärker betonte, dem das Bild der charismatischen Philosophen zugrundeliegt. Darstellungen finden sich besonders im Orient, aber auch in römischen Katakomben. Auch hier ist er bärtig, langhaarig. Zumeist ist nun aber sein Blick gen Himmel gerichtet, er erscheint als charismatisch, direkt mit Gott verbunden. Im Zentrum dieser Darstellungen steht nun nicht mehr der Armutsaspekt, sondern der unmittelbare Kontakt mit dem Göttlichen. Aus diesem Aspekt entwickelte sich dann später im Laufe langsamer Wandlungsprozesse das Bild des im Himmel thronenden Christus, des göttlichen "Überkaisers", das für das Frühmittelalter so charakteristisch wird.

Warum hatte jede Zeit ihr eigenes Christusbild?

Büchsel: Das ist immer abhängig von den Eigenschaften, die uns das Bild vermitteln will: sei es die Armut Jesu oder seine Verbindung zu Gott, die göttliche Weisheit, oder im Zusammenhang mit den Tuchbildern, die Authentizität, die "Echtheit" des Abbildes. Man schuf Bildstrategien, die einerseits diese inhaltlichen Aspekte vermitteln sollten, andererseits der Darstellung eine, wenn auch immer konstruierte Form von "Authentizität" gaben. Das Bild sollte damit gleichsam zum Porträt werden, Präsenz vermitteln.

Weiß man von etwas von Christusbildern, die mit der Zeit verloren gegangen sind?

Büchsel: Ja, es gibt ein Beispiel in dem elitären höfischen Umfeld von Ravenna und Konstantinopel. In der Zeit des Kaisers Theodosios I. (347-395) passte man die Christusdarstellung dem aktuellen Kaiserbild an. Theodosios ließ sich selbst, so auf der berühmten Obeliskenbasis im Hippodrom von Konstantinopel, heute Istanbul, verkindlicht darstellen, wohl als Ausdruck einer Friedensbotschaft. Im Umkreis der Höfe von Konstantinopel und Ravenna findet man zur selben Zeit Beispiele für ein in gleicher Weise verkindlichtes Christusbild. Ich bin der Ansicht, dass man in der Phase nach der Festlegung des Christentums als Staatsreligion durch Theodosios die Hoffnung auf einen dauerhaften Friedenszustand im Reich auf diese Weise kommunizieren wollte. Diese Kaiser- und Christusbilder vertraten eine gemeinsame Botschaft, die Hoffnung auf Frieden. Diese Darstellung Christi in einer verkindlichten Form war allerdings nicht erfolgreich, was auch der historischen Entwicklung geschuldet sein mag. Spätestens bei der Eroberung und Plünderung Roms durch die Goten im Jahre 410 zeigte sich, dass ein solcher erhoffter Friedenszustand ein Trugschluss war, die Katastrophe begann.

"Die Verehrung von Heiligenbildern weckte das Bedürfnis nach einer Vereinheitlichung des Christusbildes"

Wer ist für das Jesusbild verantwortlich, das wir heute von ihm haben: lange Haare, Bart, etwas hager?

Büchsel: Nach der Beilegung des im 8. und 9. Jahrhundert ausgetragenen Bilderstreits in Byzanz, der über ein Jahrhundert geführten Auseinandersetzung um die Herstellung und vor allem die Verehrung von Heiligenbildern, gab es das Bedürfnis nach einer Vereinheitlichung des Christusbildes. Der aus dem Vorbild des charismatischen Philosophen entwickelte Typus wurde in Byzanz vorherrschend, weitere Bildformen wurden marginalisiert. Es war auch diese Art der Christusdarstellung die letztlich im Hochmittelalter im Abendland übernommen und weiter ausgestaltet wurde. Diese mittelalterlichen Darstellungen prägen bis in die Gegenwart hinein unser Christusbild.

Wie passen die Christusporträts mit dem Gebot "Du sollst dir kein Gottesbildnis machen" zusammen?

Büchsel: Dieses Problem wurde anscheinend erst relativ spät als solches wahrgenommen, wenn es denn überhaupt eines war. Man bezog das Gebot ausschließlich auf die Situation und Lebenswirklichkeit des Alten Testamentes, dessen Gott nicht dargestellt werden durfte. Durch die Inkarnation Gottes in der Gestalt Jesu änderte sich diese Situation: Die byzantinische Theologie konnte eine Rechtfertigung dafür entwickeln Gott in der Gestalt Christi wiederzugeben. Wer ihn nicht abbildete, bestritt, dass er Mensch geworden war. Es entstand die Regelung: Gottvater durfte nicht abgebildet werden, wohl aber Christus. Das westliche Spätmittelalter differenzierte dann später die drei göttlichen Personen bei Darstellungen der Trinität, indem es Gottvater als alten Mann und Christus in Form des jugendlichen Typus abbildete, begleitet von der Taube des Heiligen Geistes.

Weiß man nun, wie Jesus wirklich aussah?

Büchsel: Nein, es gibt es in den Evangelien keine Berichte dazu. Alle Beschreibungen der Gestalt Jesu stammen aus späterer Zeit.

Glauben Sie, dass das Christusbild sich für künftige Generationen nochmals verändern kann?

Büchsel: Es stellt sich immer die Frage, wie sich die Darstellung Christi durch Medien, wie etwa den Film verändern wird. Grundsätzlich wird es immer den Spagat geben zwischen dem Anspruch, einerseits den Menschen, andererseits Gott oder einen Gottähnlichen zu zeigen. Das ist bereits der alte Grundkonflikt dieser Art der Darstellung. Ist in einer mittelalterlichen Kreuzigungsszene der Gekreuzigte in seinen Schmerzen, der schreit, nun in erster Linie Mensch oder ist er Gott? Dieses Spannungsfeld wird es immer geben, solange das Christentum die menschliche und die göttliche Identität in der Gestalt Jesu vereint sieht.

"Ein Tod am Kreuz ist ein unglaublich brutaler Erstickungstod", sagt Kirchenhistoriker Christoph Markschies. Deswegen habe man in der Antike zu Beginn das Kreuz nicht gern dargestellt. Erst nachdem Kaiser Konstantin im vierten Jahrhundert die Kreuzigungstrafe abschaffte, habe man sich getraut Jesus als Gekreuzigten darzustellen - mit allen Schwierigkeiten, die dabei aufkamen. Video: Markus Bechtold/Dorothea Heinze