Am Aschermittwoch ist alles vorbei?

Am Aschermittwoch ist alles vorbei?
Foto: Wolfgang Schürger
Flirts und flüchtige Kontakte gibt es nicht nur an Karneval. Nicht immer sind sie an Aschermittwoch einfach vorbei. Neben emotionalen gibt es manchmal auch medizinisch diagnostizierbare Folgen. Wolfgang Schürger plädiert für einen verantwortungsbewussten Umgang mit so einer Diagnose und der_dem noch so flüchtigen Flirt-Partner_in.

Am Aschermittwoch (der nun auch schon ein paar Tage vorbei ist), ist alles vorbei, so weiß es das Karnevals-Lied. Treueschwüre brechen auseinander, Menschen, die in den Karnevalstagen heftig miteinander geflirtet haben, dürfen voneinander nichts mehr wissen. Im rheinischen Karneval wird am Abend des Faschingsdienstag auch der Nubbel verbrannt, eine Strohpuppe, die während der Karnevalstage vor vielen Kneipen hängt und gleichsam als Sündenbock für die vielen fröhlichen Verfehlungen des Karnevals dient.

Im Karneval wird getanzt, geküsst, geflirtet - und manchmal auch etwas mehr. Heteros wie Homos stehen sich da wenig nach, es ist die ausgelassenste Zeit des Jahres. Und schließlich: Es ist ja Karneval - am Dienstag wird der Nubbel verbrannt - und am Mittwoch ist alles vorbei.

Aber ganz so einfach ist das halt doch nicht immer - im Guten wie im Schlechten: Den Partner, mit dem ich meine bisher langjährigste Beziehung hatte, habe ich vor vielen Jahren im Kölner Karneval kennen gelernt. Eigentlich sah zunächst alles nach einem typischen Karnevalsflirt aus - aber dann wurden etliche Jahre daraus. Bei uns ging das gut - obwohl wir dafür eine jahrelange Fernbeziehung in Kauf nehmen mussten.

Bei anderen sind die Emotionen, die während der "tollen Tage" geweckt wurden, auch nicht so einfach verbrannt wie der Nubbel am Faschingsdienstag. Doch sie können sie schwieriger in etwas anderes als einen Flirt überführen - weil die eine oder beide Personen in einer (monogamen) Beziehung sind, Oder, weil das Ganze für den einen Teil eben doch nicht mehr als ein Karnevalsflirt war, der am Aschermittwoch vorbei ist...

Manche nehmen auch ganz besondere Andecken aus so einem Karnevalsflirt mit: "Ich habe wieder mal den Volltreffer gelandet an Karneval", erzählt mir ein Freund diese Tage, "Chlamydien!" Wer ein wenig recherchiert, stellt schnell fest, dass in der Fachwelt eine Chlamydieninfektion als die am leichtesten und inzwischen am weitesten verbreitete sexuell übertragbare Krankheit (STD) gilt - und das bei Männern wie bei Frauen, bei Homos wie Heteros. Zur Übertragung reicht Schleimhautkontakt oder der Austausch von Körperflüssigkeiten, auch Speichel. Das heißt man kann sich selbst beim Küssen infizieren - und gerade hier sind Chlamydien tückisch, denn wenn sie sich im Rachenbereich festsetzen, zeigen sich oft kaum Symptome. Ganz anders allerdings bei dem Mann, der mit dieser infizierten Person Oralsex hat - im Urogenitalbereich führen Chlamydien schnell zu schmerzhaften Entzündungen, so auch bei meinem Freund. "Glücklicherweise lässt sich so was ja gut mit Antibiotikum behandeln", sagt er, "aber der Arzt hat gesagt, ich muss den Sexualpartner informieren, damit der nicht weitere infiziert - aber das war doch nur ein Karnevalsflirt!" "Habt ihr keine Kontaktdaten ausgetauscht?", frage ich. "Doch, haben wir, aber ist das nicht blöd, wenn ich da jetzt anrufe..."

Wir geraten in eine längere Diskussion, was Verantwortung und Nächstenliebe angesichts eines Sexuallebens mit welchselnden Partnern bedeuten. Natürlich, für beide war es "nur" ein Karnevalsflirt, beide leben in unterschiedlichen Städten, werden sich vermutlich nicht so schnell wieder treffen. Natürlich gibt es nach so einem Flirt schönere Anrufe als ein "Du, übrigens..."

Katharina Payk hat vor knapp zwei Wochen in diesem Blog über Ehrlichkeit und Verantwortlichkeit in Poly-Beziehungen geschrieben. Ganz ähnlich diskutiere ich nun auch mit meinem Freund: Ob es nicht gerade auch zu der Ehrlichkeit so einer flüchtigen Begegnung gehört, den anderen jetzt über die STD zu informieren? Ob das nicht Teil der Verantwortung ist, die er jetzt diesem Karnevalsflirt gegenüber hat, denn auch eine unerkannte Chlamydieninfektion kann über die Zeit schlimme Folgen haben (zum Beispiel Herz-Rhythmus-Störungen)? Und ob das nicht auch ein Zeichen christlicher Nächstenliebe und Verantwortung in der Community ist, weil er dadurch ja dazu beitragen wird, dass nicht noch mehr Menschen infiziert werden? Der Anruf wird ihm nicht leicht fallen, aber er wird ihn machen...

Flirts und flüchtige Begegnungen - sie kommen längst nicht nur an Karneval vor (und auch nicht nur während des Oktoberfests, um hier jetzt meine Münchner Ehre zu retten...). Sie sind schön, wenn beide Seiten sich darüber im Klaren sind, dass es "nur" ein Flirt ist, sie können noch schöner sein, wenn daraus dann doch langjährige Beziehungen entstehen. Sie können natürlich auch emotionale Krisen hervorrufen, darüber muss ich mir klar sein, wenn ich mich aufs Flirten einlasse. Und sie können manchmal diagnostizierbare Folgen haben. Dann aber, davon bin ich überzeugte, sollte jede und jeder von uns so viel Selbstbewusstsein und Verantwortungsgefühl haben, den oder die auch noch so flüchtige Flirt- oder Sexpartner_in von dieser Diagnose in Kenntnis zu setzen, wenn immer der Kontakt möglich ist. Das sind wir einander schuldig und nur so können wir STDs eindämmen!

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