Fast am Ziel oder: Die 80-zu-20-Regel

Fast am Ziel oder: Die 80-zu-20-Regel
Bahngleise am Bahnhof Berlin-Spandau
Foto: Rainer Hörmann
15 Jahre Eingetragene Lebenspartnerschaft. Nicht schlecht. Aber für die allermeisten bleibt die Gleichstellung mit der Ehe das Ziel. Das verbraucht viel Kraft ... zu viel Kraft!

Kennen Sie das Pareto-Prinzip, auch bekannt als 80-zu-20-Regel? Es besagt, dass 80% eines Ergebnisses mit 20% des Gesamtaufwandes erreicht werden. Mit jedem weiteren Prozent, das man erreichen will, wird der Aufwand größer und größer, so dass sich das Verhältnis im schlechtesten Fall umkehrt und man 80% Aufwand für die restlichen 20% des gewünschten Ergebnisses benötigt.

So scheint es mir auch mit der gesetzlichen Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare zu gehen. Es war ein langes, zähes, gesellschaftliches wie parlamentarisches Ringen, bis vor 15 Jahre - am 1. August 2001 - die Eingetragene Lebenspartnerschaft eingeführt wurde. Seitdem ist es ein langes und noch zäheres Ringen, die Gleichstellung zu erreichen. Während die Pflichten sofort der der Ehe entsprachen, wurden die Rechte einer Ehe nur zögerlich und meist auf Druck von Gerichtsentscheidungen 'gewährt'. Schritt für Schritt wurden Benachteiligungen der Lebenspartner, etwa  in Fragen der Steuer, Versicherung und Erbschaft, vom Gesetzgeber ausgeglichen. Dem vollen Adoptionsrecht und der völligen Gleichstellung mit der Ehe steht unverändert ein Bauchgefühl der Kanzlerin gegenüber. Die Evangelische Kirche machte sich Gedanken über Segnung von gleichgeschlechtlichen Paaren, in nunmehr drei Landeskirchen ist mittlerweile die kirchliche Trauung ermöglicht, also ein Gottesdienst, der dem für heterosexuelle Paare entspricht.

Irgendwie ist es nur noch ein kleiner Schritt bis zur Gleichstellung - nicht nur in allen Landeskirchen, sondern auch auf Ebene des Gesetzgebers. Es sind vielleicht weniger als 20%, die da noch fehlen ... aber mit jedem Jahr, das verstreicht, scheint der Aufwand dafür anzuwachsen. Es ist eine wichtige, keineswegs nur symbolische Frage. Darum bleibt Engagement und weitere Überzeugungsarbeit nötig.

Ich frage mich allerdings manchmal, was denn wäre, wenn die Energie und die Tatkraft nicht länger für das letzte kleine Stück des Weges (die 20%) gebunden wären. Wenn das Augenmerk sich endlich der konkreten Ausgestaltung des Lebens, des Miteinanders in der Gesellschaft widmen könnte. Mit kritischerem Akzent gefragt: Was wird denn sein, wenn man am Tag X doch die Gleichstellung Ehe - Lebenspartnerschaft da ist? Gehen dann alle angeln oder gar in den Gottesdienst? Leben alle, Homo wie Hetero, in trauter Ego-Zweisamkeit? Kann es sein, dass die Ehe-Frage eine weitaus allgemeinere Frage in den Hintergrund drängt, nämlich die, wie wir an sich in der Gesellschaft zusammen leben wollen? Wie wir uns mit unseren spezifischen Erfahrungen, Erlebnissen, Wünschen einbringen können in eine sich ausdifferenzierende Gemeinschaft mit ihren Teilgruppen? Vielleicht haben Schwule und Lesben ja mehr Interesse am Gemeindeleben und am Gottesdienst als nur die Frage, ob’s auch einen Traugottesdienst nach dem Standesamt gibt?

Einerseits freue ich mich, dass es mit der Lebenspartnerschaft - wie auch mit der Akzeptanz von Homo-, Bi und Transsexuellen - trotz aller bestehenden Probleme so weit vorangekommen ist. Andererseits frage ich mich, ob Zeit und Engagement noch weitere 15 Jahre für das Erreichen der Gleichstellung gebunden bleiben werden. Hoffentlich nicht. Denn 100% Mensch (wie ein Slogan für die Gleichstellung lautet), der sich zu 100% dem Leben und der Liebe und sogar dem Glauben widmen kann ... je eher, desto besser!

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