Die Frage der Woche, 113: Wem dient der Glaube?

Die Frage der Woche, 113: Wem dient der Glaube?
Mit dem Bibelwort im festen Schweinsledereinband lässt sich der Heilige Geist nicht in fremde Köpfe zwingen. Auch wenn manche Konservative das gern hätten.

Liebe evangelisch.de-Nutzerinnen und -Nutzer,

wissen Sie, warum ich gern für ein kirchliches Medienhaus arbeite? Weil ich glaube, dass die Kirche eine der wenigen Organisationen ist, die dafür steht, dass die Menschen in diesem Land freundlich und fürsorglich miteinander umgehen. Dafür gibt uns das Evangelium Jesu Christi ein ausgezeichntes Vorbild, und die Bibel hält an vielen Stellen gute Ratschläge bereit, die bei der Umsetzung helfen können. Das weiterzutragen ist eine der wesentlichen Funktionen von kirchlicher Publizistik und damit auch des GEP, in dem evangelisch.de beheimatet ist. Der GEP-Gründer Robert Geisendörfer hat zur Gründungszeit des GEP Anfang der 1970er formuliert, was evangelische Publizistik kann: "Etwas öffentlich machen, Fürsprache üben, Barmherzigkeit vermitteln und Stimme leihen für die Sprachlosen". Das ist die medienwerdende Umsetzung der Verbreitung des Evangeliums.

Ich war allerdings am Donnerstag bei der Feier zum Leitungswechsel von "idea". Da ist die Idee, was christliche Publizistik sein soll, eine andere. Da geht es nämlich um "Klarheit in der Wahrheit", um die unbedingte Verbreitung des unveränderlichen Bibelworts. Zweifel werden mit einem Blick in die Bibel und einem Gebet ausgeräumt, denn Gott wird schon für das richtige Handeln sorgen.

Das kann man so machen. Es spiegelt die Vielfalt und Pluralität wieder, die es in der evangelischen Kirche und innerhalb der Gemeinschaft der Heiligen nun einmal gibt.

Wie diese Sicht dazu führen kann, Menschen ganz selbstverständlich zu verletzen und auszuschließen, entsetzt mich aber immer wieder. Viele Gäste beim "idea"-Leitungswechsel waren offen stolz darauf, ganz klar politisch konservativ zu sein - das habe ich so geballt selten erlebt. An einer Stelle sagte einer der alten Männer, die Gastreden hielten: "Es gibt Zeiten, in denen Widerstand Pflicht ist" - wo ich ihm ja prinzipiell zustimmen würde, gerade jetzt, wo Rechtsextreme und Neofaschisten an vielen Stellen in Europa und den USA wieder Aufwind bekommen. Aber das Publikum klatschte deutlich Beifall, als er das dann für Zeiten einforderte, in denen das Bibelwort beliebig werde, homosexuelle Paare gesegnet werden und Abtreibungen möglich sind.

Das Bekenntnis zu Jesus Christus ist kein Selbstzweck

Das wird man ja noch sagen dürfen? Hier durfte man. Es war alles dabei beim Festakt: der Vorwurf, die säkulare Presse würde nicht wahr berichten; die Sorge, Christen in Deutschland würden von anderen Religionen, deren Anhänger stärker glauben, in die Minderheit gedrückt (gemeint waren die Muslime); eine chauvinistische Bemerkung eines alten Herren über 60, die schlanke blonde Frau auf der Bühne "könnte auf jedem Modeheft auf's Cover"; und natürlich dass die Trauung homosexueller Paare sündhaft sei. Dazu durfte bei jeder Vorstellung eines Redners der Hinweis "verheiratet" und die Zahl der Kinder auch nicht fehlen. Wenn das die "konservative Revolution" ist, die sich Alexander Dobrindt (CSU) von den neuen Rechten abgeschaut hat, geht's mit Deutschland rückwärts.

Der Eindruck, den ich mitgenommen habe, ist: Manche der alten und neuen Wortführer in diesem Teil der evangelikalen Bewegung haben das Ziel aus den Augen verloren. Sie stellen das Bekenntnis zu Jesus Christus als Selbstzweck in den Raum, ohne die Frage zu stellen, wo das eigentlich hinführen soll. Sie zweifeln nicht daran, dass die Welt besser wäre, wenn alle Menschen Christen wären. Dass die Welt auch dann ein besserer Ort sein würde, wenn alle Menschen auf der Basis gleich welcher Überzeugung Nächstenliebe übten, denken sie aber nicht mit. Denen fehlt ja das Heil - Auferstehung der Toten, Vergebung der Sünden und das ewige Leben.

Unterschiedliche Heilsvorstellungen können aber gleichzeitig nebeneinander existieren. Denn ihren Wahrheitsgehalt können wir nur annehmen und glauben, nicht überprüfen. Wenn wir denn müssen (und das nicht sola gratia Gott selbst überlassen), können wir andere Menschen nur daran messen, wie sie im Diesseits anderen Menschen begegnen.

Uns selbst müssen wir auch daran messen. Das heißt, dass sich Glaubenspraxis und gelebte Kirche immer wieder verändern müssen, um die unveränderliche Botschaft von Nächstenliebe, Rechtfertigung und Erlösung zu verbreiten. Mit dem Bibelwort im festen Schweinsledereinband lässt sich der Heilige Geist nicht in fremde Köpfe zwingen. Das geht nur durch Vorbilder und Nachfolge.

Bei der Podiumsdiskussion in Wetzlar wurde von allen Teilnehmenden immer wieder betont, dass Christen sich nach außen auch zeigen müssen. Dafür bin ich auch: Wir sollen uns nicht verstecken. Aber was eigenes Christsein bedeutet, muss man dann gleich mitsagen. Denn zwischen einem islamophoben, homofeindlichen und frauenverachtenden Buchchristentum und gelebter Nachfolge besteht ein himmelweiter Unterschied.

Ich wünsche euch und Ihnen einen guten Start in die Woche!


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