Die Frage der Woche, Folge 117: #ChurchToo? Und: Die Digitalisierung geht weiter

Die Frage der Woche, Folge 117: #ChurchToo? Und: Die Digitalisierung geht weiter
In der vergangenen Woche haben uns zwei Fragen ganz besonders beschäftigt: Wie geht die Kirche mit Missbrauchsfällen um? Und welchen Handlungsfeldern muss sich die Kirche in Sachen Digitalisierung ganz konkret widmen?

Liebe evangelisch.de-Nutzerinnen und -Nutzer,

es war eine Woche mit vielen Ereignissen - Jens Spahn und seine fehlgeleiteten Hartz-IV-Kommentare, die erschreckenden Anschläge auf Moscheen und Innenminister Horst Seehofer mit seiner Fantasie-Vorstellung, wer alles zu Deutschland gehöre und wer nicht.

Auf evangelisch.de hatten wir aber diese Woche auch - passend zum Fastenthema "Zeig dich!" der Fastenaktion 7 Wochen Ohne - die Recherche von unserer Redakteurin Lilith Becker darüber, wie die Kirche mit sexuellem Missbrauch umgehen kann und sollte. Auslöser war nach der #ChurchToo-Debatte ein Beitrag in den Kommentaren hier bei uns, in denen sich eine Betroffene zu Wort meldete. Es hat einige Wochen gebraucht: Die Kollegin hat mehrfach mit der Betroffenen gemailt und gesprochen, noch von einem weiteren konkreten Fall erfahren und mit den entsprechenden Landeskirchen gesprochen. Ihren Bericht über den Umgang mit Missbrauch finden Sie hier - es ist nicht alles gut in den Kirchen, aber es gibt mutmachende Ansätze, an denen sich die Kirchengremien ein Beispiel nehmen können.

Außerdem hat mich die Frage beschäftigt, mit welchen Handlungsfeldern sich die evangelische Kirche konkret in Sachen Digitalisierung beschäftigen muss. Ich war am Donnerstag und Freitag bei der Tagung "Kirche im Web", parallel hat sich die hannoversche Landeskirche bei #shifthappens2018 ebenfalls mit Digitalisierung beschäftigt. Und außerdem treffen sich in der kommenden Woche Vertreter der Kirchenleitungen und ihre Digitalexperten, um den weiteren Kurs für die Entwicklung des Strategievorschlags zur Digitalisierung festzulegen, den die Synode vergangenen Herbst beschlossen hat.

Um diese 10 Dinge muss sich eine digitalisierte Kirche kümmern

Deswegen habe ich bei #kiw18die Gelegenheit genutzt, beim dortigen Barcamp ökumenisch über die Handlungsfelder nachzudenken, die meiner Meinung nach zur Digitalisierung der Kirche unerlässlich sind. Das ist keine Überraschung, denn diese Handlungsfelder sind ja beinahe schon selbsterklärend. Zur weiteren Diskussion ist hier meine Liste - mit ein paar Ansätzen, wie man das konkret angehen könnte:

Online-Medien und Kommunikation: Eigene Medien immer digital first denken und mindestens genau so viel Geld für die aktive Verbreitung von Inhalten ausgeben wie für die Erstellung von Inhalten.

Social Media: Facebook, Instagram, Twitter, YouTube, WhatsApp, Snapchat und so weiter als eigene Dialogkanäle verstehen und nicht als Nebenaufgabe von Presse- und Medienarbeit.

Zwei-Wege-Kommunikation und Rückkanal-Fähigkeit: Das ist mehr als Social Media. Die Institution muss deutlicher zeigen, wie Rückmeldungen von Kirchenmitgliedern zu allen Themen - Theologie, Politik, Gemeindeentwicklung beispielhaft genannt - in den Entscheidungsgremien ankommen und dort berücksichtigt werden oder auch nicht. Das Service-Telefon ist ein erster guter, wichtiger Ansatz in diese Richtung. Zusätzlich könnten Orientierungshilfen und ähnliches tatsächlich kollaborativ geschrieben werden. Die Zahl (und Art) der Anfragen an Kirchenleitungen kann transparent an einer zentralen Stelle öffentlich dokumentiert werden.

Partizipation und Teilhabe: Die Fähigkeit zur Zwei-Wege-Kommunikation ist nur ein Teil davon, Partizipation digital zu ermöglichen. Auf allen Ebenen, auch in der Gemeinde, müssen Kirchenmitglieder einfache, möglichst barrierefreie Wege bekommen, ihre Kirche mitzugestalten. Das muss parallel on- und offline möglich sein, aber nur online lässt sich das sinnvoll nachvollziehen. Damit das geht, muss Kirche sich als Ganze dafür einsetzen, dass alle Mitglieder die Möglichkeit dazu bekommen. Ein Anfang wäre, Godspot auszweiten auf die ganze EKD, Pfarrer*innen und Vikar*innen mit Wissen und aktueller Technik ausszustatten und Open-Source-Software-Lösungen wie Etherpads und Kirchenclouds möglichst zugänglich zu gestalten und anzubieten. Digitale Partizipation muss so einfach wie möglich sein.

(Medien-)Bildung: Bildung ist notwendige Vorraussetzung für Teilhabe. Das war ein Punkt, der bei #kiw18 von den katholischen Kolleginnen und Kollegen nochmal stark betont wurde, gerade auch mit dem Blick auf das Netzpolitische Papier der Bischofskonferenz "Medienbildung und Teilhabegerechtigkeit" vom Herbst 2016. Die evangelische Kirche könnte hier über eine oder mehrere Akademien, die auf dieses Thema komplett spezialisiert werden, die bestehenden Anstrengungen im Bereich Medienbildung wesentlich unterstützen. Die Kolleg*innen von rpi-virtuell zum Beispiel sind als Ansprechpartner aus der Praxis da auch schon digital versiert, aber sicher nicht die einzigen. Hier passiert schon sehr viel, deshalb wird eine Hauptaufgabe Vernetzung sein.

Digitale Verwaltung auf allen Ebenen: Das ist sicherlich der dickste Brocken von Gemeinden bis zum EKD-Kirchenamt, den eine Strategie zur Digitalisierung zu bearbeiten hat. Denn Verwaltung ist in der Kirche meistens noch papier-basiert. Das reicht von der Abrechnung von Organisten-Honoraren bis zur vorgeschriebenen Dokumentation von Reisekostenabrechnungen. Hierzu müssen flächendeckende digitale Lösungen entwickelt oder eingekauft werden, am besten auch auf Open-Source-Basis, die in zwei sehr verschiedenen Landeskirchen erprobt werden könnten und von dort an alle Beteiligten weitergegeben werden. Die dahinter liegende Server-Struktur muss passen und ggf. zentral zur Verfügung gestellt werden. Die Kontrollgremien (wie z.B. das Oberrechnungsamt) müssen den rechtlichen Rahmen maximal ausreizen, möglichst viel Dokumentation und Archivierung digital prüfen zu dürfen und zu wollen.

Big Data, Algorithmen und Algorithmen-Ethik: Die Frage, was die zeitlich und räumlich entgrenzte Verfügbarkeit von Information und ihre automatische Verarbeitung für Folgen haben kann, muss Kirche kompetent beantworten können. Hier ist auch Raum für Kritik an aktuellen Entwicklungen, aber es muss eine Kritik sein, die aus einem grundlegenden Verständnis heraus argumentiert. Dieses Verständnis muss in der Kirche verankert werden. Und gleichzeitig müssen die Möglichkeiten von Big Data auch innerhalb der Kirche genutzt werden. Mindestens eine detaillierte Analyse der bereits vorliegenden Mitgliedsdaten, die zum Beispiel zu einer besseren Spezialisierung von Gemeindeangeboten führen könnte, muss drin sein.

Datenethik und Datenschutz: Hier ist die evangelische Kirche schon ganz gut aufgestellt, weil alle Landeskirchen und die EKD bereits Datenschützer haben. Dabei muss aber ein verantwortungsvoller Umgang mit Daten ermöglicht werden - siehe Big Data. 2014 hieß es im Synodenbeschluss noch: "Der Datensammlung und -auswertung müssen Grenzen gesetzt werden." 2018 muss diese Datensammlung und -auswertung aber erstmal ermöglicht und erprobt werden, bevor man ihr Grenzen setzen kann. Denn wo sie den Menschen in der Kirche hilft, ihre Kirche besser auf sich einzustellen, sollten keine Grenzen sein. Datenschutz darf keine unrealistische Maßgabe sein, die der Lebenswirklichkeit der Kirchenmitglieder widerspricht.

Künstliche Intelligenz (KI): Die größte Herausforderung der kommenden Jahre wird die Entwicklung autonomer Systeme sein, die menschenähnliche Züge haben und als anthropomorphisierte Gegenüber beziehungsfähig werden. Klingt komplex? Ist es auch - und das ist eine Entwicklung, die Kirche verstehen und erklären muss. "Technik muss dem Menschen dienen" könnte hier der Leitsatz sein. Aber wie bei Big Data auch (was unmittelbar mit KI zusammenhängt, weil sie daraus sehr gut lernen kann) muss Kirche KI grundsätzlich zulassen und klären, wie die neuen Umgangsformen mit unseren Mit-Maschinen aussehen können. Wenn wir das erste Mal mit einem neuralen Netzwerk fundiert über Gott reden, sollten wir nicht diejenigen sein, die ins Stammeln geraten, weil die Maschine mehr Theologie versteht als jeder einzelne Mensch. Aber das Gespräch dürfen wir auch nicht ablehnen.

Liturgie und Gottesdienst: Last but not least muss es viel Raum geben (so wie es z.B. die badische, württembergische und die mitteldeutsche Landeskirche gerade machen), Gottesdienste und Andachten auch digital, medial vermittelt und anders als in der kohlenstoffweltlichen Sonntagspräsenz zu feiern. Konkret braucht es hierfür weitere Kompetenzen in liturgiewissenschaftlichen Instituten, mehr als einen neuen Lehrstuhl für Digitale Praktische Theologie und ganz viel Ermutigung und Befähigung von Pfarrerinnen und Pfarrern und Gemeindevorständen, in ihren neu digitalisierten Kirchen mit Glasfaser- oder 5G-Anschlüssen das liturgische Angebot zu erweitern.

Ob das alles so gelingt, weiß ich auch nicht, und das ist auch nur ein erster Aufschlag, wie der Strategievorschlag konkret ausgebaut werden könnte. Da geht noch mehr. Drei Leitgedanken würde ich aber immer mit berücksichtigen:

a) Technik muss dem Menschen dienen. Aber ohne geht es nicht.

b) Ohne spezifische Ressourcen geht es nicht. Auch wenn Digitalisierung eine Querschnittsaufgabe ist, müssen einzelne Menschen sie voran treiben.

c) Nicht jede*r muss alles machen. Wenn wir auf 20 verschiedene Weisen versuchen, die gleichen Handlungsfelder zu bearbeiten, teilt die gesamte Kirche ihre Ressourcen verschwenderisch auf. Gliedkirchen und Akademien können sich auf einzelne Handlungsfelder noch viel stärker spezialisieren und die Ergebnisse, Ansprechpartner und Technik untereinander austauschen. Aber dazu müssen alle akzeptieren, dass das, was andere gemacht haben, für einen selbst auch gut sein kann.

Dann kommen wir vielleicht auch weg von so deprimierenden Zustandsbeschreibungen wie dieser hier:

###extern|twitter|SvnjKlth/status/974631274748022786###

Ich wünsche euch und Ihnen einen guten Start in die Woche!


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