Politik erkennt Revolutionspotenzial von Forschung nicht

Peter Dabrock ist Mitglied im Ethikrat.
Foto: epd-bild/Peter Roggenthin
Peter Dabrock ist evangelischer Theologe und Professor für Systematische Theologie mit dem Schwerpunkt Ethik an der Friedrich-Alexander-Universitaet in Erlangen-Nürnberg und Vorsitzender des Deutschen Ethikrats.
Politik erkennt Revolutionspotenzial von Forschung nicht
Veränderungen im Erbgut, Algorithmen im menschlichen Gehirn, Entscheidungen von künstlicher Intelligenz: Der Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Peter Dabrock, hat von der Politik mehr Aufmerksamkeit für einschneidende technologische Entwicklungen gefordert.

"Entwicklungen im Bereich der Genetik, der Hirnforschung und der künstlichen Intelligenz fordern das heraus, was wir als Grundlage unseres Gemeinwesens verstehen: die Menschenwürde", sagte Dabrock dem epd. Der Ethikrat beriet am Mittwoch auf seiner Jahrestagung in Berlin, wie Technologie und Wissenschaft das Menschsein in seiner jetzigen Form infrage stellen. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) fordert ethische Regeln.

Dabrock sprach von "stillen Revolutionen", die sich vor allem in den drei Forschungsbereichen ereigneten. "Das Revolutionspotenzial ist von weiten Teilen der Politik und Gesellschaft noch nicht erkannt", sagte er. Im Bereich der Genetik werfe insbesondere die sogenannte Gen-Schere Menschheitsfragen auf. "Immerhin geht es um die Veränderung der biologischen Grundlagen des Menschseins", sagte er. Die Gen-Schere Crispr-Cas9 ermöglicht präzise Veränderungen der DNA bei Pflanzen, Tieren und Menschen, die das Erbgut auf Dauer verändern könnten.

Freier Wille infrage gestellt

"Entwicklungen in der Hirnforschung stellen den freien Willen des Menschen infrage", sagte Dabrock weiter. Im Bereich der künstlichen Intelligenz gehe es darum, inwieweit der Mensch auch in dieser technischen Entwicklung Freiheit und Gemeinschaftsfähigkeit wahren kann. Die Entwicklungen hätten jeweils das Potenzial, "unser Verständnis vom Menschsein grundlegend zu verändern", sagte er.

Wolfgang Schäuble warnte vor zu großem Glauben in Perfektion durch Technik.

Bundestagspräsident Schäuble forderte ethische Regeln für den Fortschritt. Man könne die Entwicklung gestalten, "verweigern können wir uns in einer globalisierten Welt nicht", sagte er in seiner Begrüßungsrede. Schon jetzt vollzögen sich in anderen Teilen der Welt Entwicklungen schneller und in Teilen auch rücksichtsloser als in Deutschland. Auch hierzulande gelte: "Wir schützen die Forschungsfreiheit", sagte Schäuble und ergänzte: "aber wir schützen vor allem anderen die Würde des Menschen."

Schäuble: "Vollkommenheit ist das Versprechen der Tyrannen"

Schäuble warnte zudem vor zu großem Glauben in Perfektion durch Technik. Der Mensch sollte sich zur Unvollkommenheit bekennen, sagte er. Das nicht zu akzeptieren berge Gefahr in Wissenschaft und Politik. "Vollkommenheit ist das Versprechen der Tyrannen und führt in Totalitarismus", sagte der Parlamentspräsident.

Der Ethikrat mit seinen 26 Mitgliedern aus unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen begeht in diesem Jahr sein zehnjähriges Bestehen. Seine Jahrestagung, bei der Experten aus dem In- und Ausland sprachen, stellte er unter den Titel "Des Menschen Würde in unserer Hand". Das Gremium verfasst Stellungnahmen zu ethischen Dilemmata in der Wissenschaft und berät den Gesetzgeber.

Der Bundestag will an diesem Donnerstag eine Enquete-Kommission "Künstliche Intelligenz" berufen. Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion, Sören Bartol, sagte am Mittwoch, das ambitionierte Ziel sei es, dass Deutschland und Europa zwischen der Handelsmacht China und den im Bereich digitale Kommunikation dominanten USA die Innovationsführerschaft bei der Künstlichen Intelligenz übernehmen. Sein Parteikollege Karl Lauterbach sagte, am Umgang mit der Digitalisierung werde sich entscheiden, wo Deutschland in 30 Jahren stehe.

Ziel der Kommission soll es sein, Handlungsempfehlungen zu erarbeiten, wie die Potenziale der Digitalisierung für das Leben der Menschen und den Wohlstand des Landes genutzt sowie Risiken begrenzt werden können. Der Kommission sollen 19 Abgeordnete und 19 Sachverständige angehören. Ergebnisse werden nach der Sommerpause in zwei Jahren angepeilt.