Intersexualität: Und schuf sie als Mann und Frau?

Intersexualität: Und schuf sie als Mann und Frau?
Der Fall Caster Semenya ist weiter ungeklärt. 2009 holte sie Gold über 800 Meter bei der Leichtathletik-WM - bei den Frauen. Seitdem wird heftig diskutiert, ob sie Mann oder Frau ist. Biologisch ist Caster Semenyas Geschlecht nicht eindeutig zu bestimmen. Und sie ist damit nicht allein. Aber die Gesellschaft stellt das vor Probleme. Die Kirche auch, schreibt Kristin Bergmann, Referentin für Chancengerechtigkeit der EKD.
17.02.2010
Von Kristin Bergmann

Der Fall von Caster Semenya ist eigentlich nichts Neues. Wahrscheinlich hat jede/r schon mal eine solche Situation erlebt: Beim Kneipenbummel, im Supermarkt, bei einer Tagung oder im Zugabteil begegnet man einer Person, deren Erscheinung sich auch auf den zweiten Blick nicht eindeutig einordnen lässt. Ist sie eine Frau? Ist er ein Mann? Obwohl es immer mal wieder vorkommt, sind wir meist stark verunsichert, wenn wir auf ein Gegenüber treffen, dass sich nicht eindeutig dem Schema männlich/ weiblich zuordnen lässt.

Erste Frage: Junge oder Mädchen?

Denn diese Zuordnung war seit jeher und ist auch heute noch von fundamentaler Bedeutung für die Lebenswege und Lebenschancen von Menschen. Wo Menschen sich begegnen, unterscheiden sie automatisch und augenblicklich nach dem Geschlecht. Schon die Schöpfungsgeschichten berichten von der Unterscheidung der Geschlechter, der Mensch wird von Gott als Mann und Frau geschaffen. Und auch heute noch lautet die erste Frage bei der Geburt eines Kindes: Ist es ein Junge oder ein Mädchen?

Doch bei genauerem Hinsehen ist es nicht so einfach mit der Geschlechterdichotomie.

Da ist zum einen die Tatsache, dass biologische Unterschiede kaum Bedeutung haben für das, was unter "Mannsein" und "Frausein" verstanden wird. Die Genderforschung hat dargelegt, dass die bedeutsamsten Unterschiede zwischen den Geschlechtern nicht naturgegeben sondern gemacht (sozial konstruiert) sind. Von der Berufswahl über Familienrollen bis hin zu spezifischen Verhaltensweisen – es sind Erwartungen und kulturelle Zuschreibungen, die bestimmen, was typisch männlich beziehungsweise typisch weiblich ist.

Dass diese Geschlechtsrollenerwartungen Lebens- und Entfaltungsspielräume begrenzen und zu ungleichen Chancen führen, haben bisher vor allem Frauen zu spüren bekommen. Lange Zeit hat die Kirche solche Rollenklischees religiös legitimiert. Hier hat in den vergangenen Jahrzehnten ein grundlegender Wandel stattgefunden. Heute setzt sich die evangelische Kirche für Geschlechtergerechtigkeit ein und ermutigt, die Vielfalt und die Verschiedenheit der ganzen Schöpfung anzuerkennen und zu loben.

Intersexualität ist stark tabuisiert

Zum anderen ist auch das biologische Geschlecht manchmal nicht so eindeutig zuzuordnen, wie es die dichotome Sicht vorsieht. Humanbiologische Forschungsergebnisse unterstützen die Annahme, dass Geschlecht auch biologisch nur bedingt eindeutig verifizierbar ist und eher eine Variationsbreite mit fließenden Übergängen als zwei klar umrissene Alternativen darstellt. In einigen Fällen lässt sich medizinisch beim besten Willen nicht feststellen, ob ein Mensch ein Mann oder eine Frau ist. Schätzungen gehen davon aus, dass allein in Deutschland 80.000 bis 100.000 Menschen mit nicht eindeutigem biologischen Geschlecht leben.

Doch ist die Befassung mit Intersexualität auch in modernen Gesellschaften stark tabuisiert – mit gravierenden Folgen für die Betroffenen, wie die Stigmatisierung Caster Semenyas zeigt. Auch in der evangelischen Kirche steht eine theologische und sexualethische Bearbeitung dieser Thematik noch aus.


 

Oberkirchenrätin Dr. Kristin Bergmann ist seit 2000 die Leiterin des Referates für Chancengerechtigkeit der EKD.