Gläubige und Atheisten: "Wir sind alle irgendwie Sucher"

Foto: epd-bild/Rolf Zöllner
Gottlose Treter: Ein Berliner Label schustert für Atheisten.
Gläubige und Atheisten: "Wir sind alle irgendwie Sucher"
Sie feiern an Ostern ein "Hasenfest", fahren mit "Es gibt keinen Gott"-Bussen durch die Republik und verteilen Gutscheine für den Kirchenaustritt: Organisierte Atheisten machen mit provokanten Aktionen auf sich aufmerksam. Sind sie trotzdem am Dialog mit den Glaubensgemeinschaften interessiert?

Eine Podiumsdiskussion in Frankfurt am Main, der Rat der Religionen hat eingeladen. Der Religionskritiker Norbert Hoerster, eine atheistische Funktionärin, ein evangelischer Theologe und der Cheflobbyist der Bahai in Deutschland wollen über den Austausch zwischen organisierten Konfessionslosen und Religionsgemeinschaften sprechen und einen "respektvollen Umgang" miteinander ausloten.

Von Respekt fehlt zwischen Atheistenverbänden und Religiösen oft jede Spur. Man muss kein Hardliner sein, um bei diesem Thema emotional zu werden: Zu persönlich ist die Debatte, zu grundlegend und grundsätzlich. 

Schon die Bibel im Hotelzimmer ist Diskriminierung

Und so knallen die Positionen schnell aufeinander. Gabriele Förster, stellvertretende Landessprecherin beim Internationalen Bund der Konfessionslosen und Atheisten in Hessen, ist mit 19 Jahren aus der Kirche ausgetreten – in der Hoffnung, sich nie mehr um Religion scheren zu müssen. Stattdessen leidet sie unter der "Verquickung von Staat und Religion".

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Denn Glaube durchdringe alle Bereiche des öffentlichen Lebens. Die Medien berichteten unkritisch über die Kirche. "Viele Fraktionsvorsitzende im Bundestag stehen der Kirche nah, obwohl die Mehrheit der Fraktionsmitglieder anders denkt", sagt Förster. Dass mit Katrin Göring-Eckardt eine Kirchenfrau an der Spitze der Grünen-Fraktion steht, scheint sie persönlich zu treffen. Die Väter des Grundgesetzes hätten diese Verquickung nicht gewollt, betont die Atheistin – um den Gottesbezug im Grundgesetz im nächsten Atemzug antiquiert zu nennen.

Förster ist enttäuscht, wenn Atheisten Moral und Ethik abgesprochen wird. Das begegne ihr und anderen Konfessionslosen ständig. Den kirchlichen Religionsunterricht an staatlichen Schulen hält sie für Indoktrination. Schon die Bibel im Hotelzimmer ist für sie Diskriminierung. Der evangelische Theologe Peter Scherle, der das Theologische Seminar der Evangelischen Kirche in Hessen-Nassau leitet, will sich von Atheisten dagegen ungern die Grundlagen des eigenen Glaubens erklären lassen.

Es ist schwer, als religiöser Mensch mit jemandem zu reden, der sich eigentlich eine Welt ganz ohne Religion wünscht. Der die Existenz von Glauben nur notgedrungen toleriert.

Kindliche Kränkung wird zur Polemik

Der Philosoph Norbert Hoerster, eine deutsche Light-Version des australischen Ethikers Peter Singer, wurde christlich erzogen. Vom Glauben wandte er sich ab – zu unvorstellbar erschien ihm die Existenz eines allgütigen Gottes in einer Welt voller Übel. An dieser Theodizee-Frage reiben sich alle Christen, Hoerster fand die theologischen Antworten nicht plausibel. "Es gibt keinen vernünftigen Grund, an den christlichen Gott zu glauben", sagt er. Deshalb könne man es auch gleich lassen. "Warum müssen wir unbedingt nach Sinn suchen? Können wir uns nicht damit zufrieden geben, dass es keinen gibt?"

Hoerster ist kein Anhänger des "neuen Atheismus". Er glaubt nicht, dass Naturwissenschaft an die Stelle des Glaubens treten wird. Stattdessen scheint kindlich gekränkt zu sein von dem Gedanken zu sein, dass Menschen trotz allem Leid der Welt an Gott glauben.

Die Kränkung wird zur Polemik: Hoerster konfrontiert den Theologen Scherle mit Zitaten. "Wer Christ sein möchte, der steche seiner Vernunft die Augen aus", sagte etwa Martin Luther. "Glauben Sie daran, dass die Hölle leer ist? Ohne Hitler und Stalin?", fragt er später. "Man kann auch an Astrologie glauben", ist eine weitere lapidare Feststellung. Respekt vor dem Glauben sieht anders aus. An einem echten Dialog scheint der Philosoph nicht interessiert.

Der Religion spricht Hoerster jede Entwicklungsfähigkeit und Interpretierbarkeit ab. Dem stimmt auch Gabriele Förster zu. "Man kann doch jetzt nicht sagen, das ist interpretierbar. Das steht doch so in der Bibel!" Erstaunlich, wenn sich Konfessionslose die Argumentation bibeltreuer Christen zu Eigen machen.

In der Beschneidungsdebatte wurde eine Chance vertan

Doch es sind beide Seiten, die einander mit Hochmut und Unverständnis begegnen. Was etwa gegen einen gemeinsamen Ethikunterricht an deutschen Schulen spricht, kann der Theologe Scherle nicht glaubwürdig darlegen. "Da würde die Bildung verloren gehen", versichert er.

Nur einmal sind sich alle einig: Die Beschneidungsdebatte vor zwei Jahren hätte zum Dialog genutzt werden können, doch die Chance wurde vertan. "Das wurde von den Religionsgemeinschaften in seltener Einigkeit abgewürgt", beklagt Förster. Scherle und Ingo Hofmann von der deutschen Bahai-Gemeinde finden dagegen, dass die Konfessionslosen keine Sensibilität für die religiöse Bedeutung der Beschneidung zeigten.

Echter Dialog, gar das Vertreten gemeinsamer Interessen – bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Zwei Welten prallen aufeinander, zwei Versionen von Geschichte. Atheistische Aufklärungsjünger halten die Werte des Humanismus hoch, die gegen den Widerstand der Kirche erkämpft werden mussten. Das finstere Zeitalter der Religionen kommt für sie in Deutschland zu seinem Ende. Christen betonen dagegen: Menschenwürde und Menschenrechte sind schon in der Bibel verankert. Solange es Menschen gibt, wird es auch Gläubige geben, sagen sie.

Von echtem Respekt füreinander scheinen beide Seiten weit entfernt. Der Nenner, auf den man sich am Schluss einigen kann, ist der kleinste gemeinsame: "Wir sind alle irgendwie Sucher."