In den nassen Trümmern der eigenen Existenz

Foto: epd/Rolf Zöllner
Brigitta Mesebergin ihrem durch das Hochwasser zerstörten Wohnzimmer an der Hauptstraߟe in Fischbeck.
In den nassen Trümmern der eigenen Existenz
Fünf Wochen nach der verheerenden Überflutung sind in Fischbeck die Aufräumarbeiten voll im Gang. Die Menschen schwanken jeden Tag zwischen Tatendrang und Verzweiflung. Von Normalität ist der Elbeort noch weit entfernt.

Von der guten Stube ist nicht viel übrig. Der Fußboden besteht nur noch aus staubigem Sand, in langen Streifen schält sich die weinrot-weiße Tapete ab. Nur die Lampe baumelt unversehrt von der Decke in dem Einfamilienhaus in Fischbeck an der Elbe. Vor fünf Wochen brach hier bei extremem Hochwasser der Deich und überspülte diesen und zahlreiche weitere Orte des Elbe-Havel-Winkels im sachsen-anhaltischen Landkreis Stendal. Seit der Katastrophe sind die Bewohner gefangen zwischen hektischer Beschäftigung, Trauer, Wut und Verzweiflung.

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"Nee, wir wissen noch nicht, was wir mit dem Haus jetzt machen", sagt Brigitta Meseberg und blickt betrübt auf das einstige Wohnzimmer ihrer Schwiegermutter. Vor dem Haus türmt sich der Sperrmüll. "Ich muss da nochmal in die blauen Säcke gucken", sagt Meseberg und geht vor die Tür. "Ich glaub, ich hab' der Schwiegermutter ihre Schuhe aus Versehen weggeworfen."

Fischbeck hat traurige Berühmtheit erlangt. Normalerweise ist der 600-Einwohner-Ort höchstens für einen traumhaften Blick nach Tangermünde auf der anderen Elbseite und - weitaus weniger - für eine 140-jährige Tradition der Rinderzucht bekannt. Das Dorf hat keinen Markt, keinen Bäcker, die einzige Kneipe wurde überschwemmt. Nun ist Fischbeck beklemmendes Symbol für das diesjährige Hochwasser in Süd- und Ostdeutschland geworden.

Das Martyrium begann kurz nach Mitternacht

Das Martyrium Fischbecks begann mit dem Deichbruch an einem frühen Montagmorgen im Juni, kurz nach Mitternacht. Wenige Stunden zuvor hatte der Bürgermeister von Wust-Fischbeck, Bodo Ladwig, selbst noch auf dem Damm gestanden. "Wir haben bis zur letzten Minute versucht, den Deich zu halten", erzählt Ladwig.

Nach dem Bruch spülten anfänglich bis zu 1.000 Kubikmeter Wasser pro Sekunde durch das Loch im Deich, mehr als 200 Quadratkilometer Land wurde überflutet, Tausende Menschen mussten ihre Häuser verlassen. Ladwig ist am Ende seiner Kräfte. Im Minutentakt klingelt das Telefon, unzählige Dinge sind noch zu erledigen. Seit Wochen ist er im Einsatz, organisiert Hilfe und Spenden.

Ein zerstörtes Haus in Fischbeck. Fünf Wochen nach der verheerenden Überflutung des Elbe-Havel-Winkels sind die Aufräumarbeiten in vollem Gange. Die Menschen in der Gemeinde schwanken aber noch jeden Tag zwischen Tatendrang und Verzweiflung.

"Hier vor Ort gehört jemand vom Landkreis her, der verbindliche Entscheidungen treffen kann", sagt Ladwig. Seit Wochen sitze er allein mit einem kleinen, eigenen Krisenstab in Fischbeck. Die Landespolitiker hätten sich nicht bei ihm blicken lassen, schimpft der ehrenamtliche Bürgermeister. Nur als die Schiffe zum Stopfen der rund 80 Meter langen Deichlücke versenkt wurden, sei Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) zumindest in Nachbarortschaften gereist.

Ladwig will, dass die Gemeinde in Zukunft beim Deichbau miteinbezogen wird. Der Landrat von Stendal, Carsten Wulfänger (CDU), fordert mittlerweile auch eine Begradigung des Damms bei Fischbeck. Doch die Lokalpolitiker können sich vorerst nur um die Folgen der Flut kümmern - die Deichlinie liegt in der Verantwortung des Landes.

Private Spenden fließen nur zäh

Für die meisten Menschen im Ort sind solche Probleme ohnehin weit weg. Für sie ist es vor allem wichtig, schnelle Hilfe zu bekommen. Doch private Spenden fließen zäh und wie der acht Milliarden schwere Topf des Bundes für die Flutopfer angezapft werden kann, weiß keiner.

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Mehrere Geschichten gibt es über ältere Einwohner, die nach der Evakuierung zurück in ihre Häuser kamen und nur Stunden später verstarben. Eine Stütze in dieser Zeit ist der Pfarrer Christof Enders, der unermüdlich von Haus zu Haus geht und mit den Menschen spricht. "Die Erfahrung der Evakuierung ist für viele traumatisch", sagt Enders. Einigen fehle die Kraft, angesichts der immensen Verluste wieder eine Perspektive zu entwickeln. Mittlerweile kennt der Geistliche fast alle Menschen im Ort. Auf jedem Treppenabsatz bleibt er stehen, hört zu, leistet Seelsorge. "Für das Verarbeiten in der Krise brauchen die Menschen Antworten auf die Frage: was ist hier eigentlich passiert?"

Für die Schwiegermutter von Brigitta Meseberg werden die Antworten auf diese Frage vermutlich nur wenig ändern. Sie will nicht mehr zurückkommen.