Enkel umarmen ist wichtiger als "chatten"

Umarmung Großmutter und Enkelkind
© shapecharge/iStockphoto/Getty Images
Weil immer mehr Alltagsgeschäfte werden auf Online-Dienstleistungen verlagert. Auch die Kommunikation mit Enkelkindern findet zunehmend digital statt. Viele Ältere sind davon ausgeschlossen.
Einsamkeit älterer Menschen
Enkel umarmen ist wichtiger als "chatten"
Vom Bankgeschäft bis zum Fahrscheinkauf wird die digitale Abwicklung alltäglicher Vorgänge immer selbstverständlicher. Das ist ein Problem für Millionen älterer Menschen in Deutschland ohne Internet-Anschluss. Ohne die digitale Zugang vereinsamen auch viele Menschen, selbst wenn sie Familie haben. W-Lan haben längst nicht alle Altenheime für Bewohnerinnen. Ein Interview mit der Theologin und Beauftragten für Altenseelsorge, Anita Christians-Albrecht.

Millionen älterer Menschen in Deutschland sind ohne Internet-Anschluss. Für sie stellt sich nicht nur die Frage digitaler Teilhabe, sondern auch das Problem wachsender Einsamkeit. Das erläutert die Beauftragte für Altenseelsorge der evangelischen Landeskirche Hannovers, Pastorin Anita Christians-Albrecht, im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Denn beim Online-Shopping, bei der digitalen Arztsprechstunde oder in den sozialen Medien entfällt der ganzheitliche Kontakt, den nur die analoge Welt bieten kann.

epd: Frau Christians-Albrecht, immer mehr alltägliche Vorgänge werden digital abgewickelt, seien es Bankgeschäfte, Online-Shopping, der Fahrschein per App oder, Stichwort Telemedizin, der Termin mit dem Landarzt. Bleiben ältere, nicht digital sozialisierte Menschen dabei auf der Strecke?

Anita Christians-Albrecht: Die Gefahr besteht zumindest. Immerhin hat laut Statistischem Bundesamt 2022 ein Sechstel der 65- bis 74-Jährigen in Deutschland das Internet noch nie genutzt. Und zwei Drittel der über 80-Jährigen haben aus unterschiedlichen Gründen keinen Zugang zum Netz. W-Lan ist für Bewohnerinnen und Bewohner von Altenheimen oft nicht vorgesehen. Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen fordert deshalb schon lange, dass bei der digitalen Teilhabe älterer Menschen mehr passieren muss, denn in einer technisierten Gesellschaft wie der unseren gehören der Zugang zum Internet und zu digitalen Angeboten zur Grundversorgung.

Immerhin gibt es viel Engagement und gute Projekte wie die "digitalen Engel", die Seniorinnen und Senioren in persönlichen Terminen ins Internet einführen und ihnen beispielsweise zeigen, wie sie Online-Banking nutzen, bei Instagram unterwegs sind oder mit ihren Lieben in der Ferne chatten können. Auch in vielen Kirchengemeinden gibt es inzwischen Angebote, die Ältere dabei unterstützen, digital fit zu werden.

Neben der Vermittlung technischer Digitalkompetenz gibt es aber noch eine andere, meiner Meinung nach mindestens ebenso wichtige Facette: Was macht die Digitalisierung mit uns und unseren Beziehungen? Befördert sie womöglich gerade bei Älteren vorhandene Probleme wie Einsamkeit? Ich glaube, das tut sie manchmal auch.

Dabei bieten die sozialen Medien doch zahllose Möglichkeiten in Kontakt zu treten, gerade wenn die Mobilität nachlässt und weite Wege anstrengender werden, oder?

Christians-Albrecht: Das hat durchaus Vorteile. Und ich bin immer wieder erstaunt, wie viele Menschen jenseits der 70 oder 80 höchst versiert auf WhatsApp, Facebook, Instagram und selbst TikTok unterwegs sind. Die Krux ist nur: In den sozialen Medien neigen Menschen dazu, sich miteinander zu vergleichen. In einer virtuellen Welt, in der die meisten vermeintlich jung, schön, dynamisch und erfolgreich sind, kann dieser Vergleich - und das Gefühl, ihm nicht gewachsen zu sein - die Einsamkeit eher noch forcieren. Ältere brauchen oft eine andere Ansprache, verbindlichere Formen der Begegnung - und das auch im digitalen Raum.

Wie kann so etwas aussehen?

Christians Albrecht: Wir haben in der Altenseelsorge unserer Landeskirche ein sehr schönes Projekt namens "Slow Dating" initiiert. Es ist in manchem tatsächlich das Gegenteil von "Speed Dating". Es geht dabei nicht um Partnervermittlung im Turbo-Tempo, sondern darum, dass ältere Menschen in Ruhe, mit viel Zeit und in einem angenehmen, geschützten Rahmen miteinander ins Gespräch kommen können.

In der Corona-Zeit haben wir das Format digitalisiert und die Treffen per Zoom angeboten. Das waren längere, moderierte Sitzungen zu verschiedenen vorgegebenen Themen von zwei Stunden Dauer, inklusive einer kleinen Einführung in die Technik. Das wurde hervorragend angenommen. Es gab wiederkehrende Teilnehmende - und manche Kontakte haben sich verstetigt und wurden in der analogen Welt fortgesetzt, etwa beim Kaffeeklatsch oder Spaziergang. Das Projekt hat mir gezeigt, dass das Digitale eine gute Ergänzung zum wirklich persönlichen Kontakt sein kann, niemals aber ein voller Ersatz.

Anita Christians-Albrecht ist Pastorin und Landeskirchliche Beauftragte für Altenseelsorge in Hannover. Sie sieht ältere Menschen zunehmend von der Digitalisierung ausgeschlossen. Körperliche Begegnungen, wie die Umarmung des Enkelkindes, sind für sie wichtig.

Digitale Begegnungen sind "entkörperlichte" Begegnungen. Inwieweit spielt das beim Thema Einsamkeit eine Rolle?

Christians-Albrecht: Eine entscheidende, gerade für Menschen, die viel allein sind. Der kurze Schwatz mit der Kassiererin im Supermarkt entfällt beim Online-Shopping natürlich, der Hausarzt am Bildschirm kann der älteren Patientin nicht tröstend oder ermutigend die Hand auf die Schulter legen, und die Enkel zu umarmen ist etwas anderes, als nur mit ihnen zu chatten. Für die zunehmende Entkörperlichung des Alltages durch die Digitalisierung gibt es inzwischen den Begriff "haptische Einsamkeit". Das trifft es sehr gut.

Die Digitalisierung schreitet beschleunigt voran. Damit wächst der Lern- und Anpassungsdruck. Verstehen Sie, wenn ein älterer Mensch irgendwann sagt, dass er schlicht keinen Nerv mehr hat, Schritt zu halten?

Christians-Albrecht: Das verstehe ich absolut. Ich glaube sogar, dass die Widerständigkeit und eine gewisse "Sturheit" mancher älteren Menschen äußerst wertvoll für die Gesellschaft ist. Sie halten uns in unserem Leistungsdenken, unserem unablässigen Strampeln, einen Spiegel vor und sagen gewissermaßen: Lass mal gut sein. Sie werfen die Frage auf: Wovon lassen wir uns eigentlich bestimmen? Und: Ist es das tatsächlich wert?

Klar ist aber auch: Die Digitalisierung schafft neben Risiken auch viele Möglichkeiten. Dinge wie Smart-Home-Technik und Assistenzsysteme ermöglichen es Älteren beispielsweise, möglichst lange im eigenen Zuhause zu leben. Problematisch wird die Digitalisierung dort, wo sie der Menschenwürde zuwiderläuft. Wo sie ein Menschenbild propagiert, in dem das Altern, die Verletzlichkeit, auch die Hinfälligkeit keinen Platz haben, was etwa in den sozialen Medien durchaus zu beobachten ist. Da haben wir als Kirche schon ein Wächteramt und müssen uns klar dagegen stellen.