Künstliche Intelligenz als Religionsersatz?

Skulptur einer perfekten Menschen mit Computer Animation
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Kirchliche Ethiker sehen in den Ambitionen der KI-Entwickler die Gefahr, dass eine perfektionierte Elite entstehen könne.
Computertechnik für neue Welten
Künstliche Intelligenz als Religionsersatz?
KI-Programme wie ChatGPT sind in aller Munde. Die fiel jedoch nicht einfach vom Himmel, sondern kam maßgeblich aus Kalifornien. Dort haben sich vor gut 50 Jahren Menschen zusammengefunden, die von einer besseren, Computer-gesteuerten Welt träumten. Steckt also hinter alldem eine Art KI-Religion?

Alles fing Ende der 1980er Jahre in Kalifornien an. Als Gegensatz zur "Entropie",  der Grad an Unordnung in einem System, ersannen Studierende die Extropie und den Extropianismus: Immer mehr Ordnung, immer besser und höher hinaus bis in den Himmel hinein.

Künstliche Intelligenz soll eine effizientere Welt erschaffen, in der menschliche Arbeit obsolet werden könnte. Das sieht Thomas Zeilinger, Beauftragter für Ethik im Dialog mit Technologie und Naturwissenschaft der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, als problematisch. "Der Transhumanismus etwa ist die Vorstellung einer Welt, die davon ausgeht, dass die menschlichen Fähigkeiten erweitert werden können", sagt der Theologe. Die Gefahr sieht nicht nur er darin, dass eine Art neuer Mensch gezüchtet werden soll. Eine eugenisch selektierte Elite, die den Rest der Menschheit überflüssig erscheinen lässt. Für den bayrischen Theologen ist das eine inhumane Horrorvorstellung.

Nicht von ungefähr träumt Elon Musk von einer Besiedlung auf dem Mars, wo er begraben werden möchte. Wenn er denn sterben muss. Denn Extropianisten arbeiten auch daran, das menschliche Leben unendlich verlängern und so auch den Tod besiegen zu können. Elon Musk ist auch ein typischer Vertreter der Ideologie der Unsterblichkeit, sagt Theologe Thomas Zeilinger: "Da geht es darum, dass Menschen, die heute leben, weniger wert sind als die vielen potenziellen Menschenleben der Zukunft. Dann ist es erschreckend sich vorzustellen, dass Menschen, die große Technologieunternehmen führend verantworten, von solchen Vorstellungen geleitet werden." Denn aus der kalifornischen Party-Idee von einst sind längst milliardenschwere KI- und Software-Konzerne erwachsen. 

Kaum jemand kann noch Landkarte lesen

Müssen die Menschen also damit rechnen, dass bald Computer die Welt beherrschen und die meisten von ihnen überflüssig werden? Einerseits ja, sagt Jochim Selzer, Mitglied des Sprecherkreises des Chaos Computer Club (CCC). Es sei erschreckend, wie Menschen der Software schon vieles überlassen. Zum Beispiel, dass kaum noch jemand eine Karte lesen könne und nur noch dank eines Navigationssystems von A nach B komme. Aber Computer-Experte Selzer gibt auch Entwarnung. Denn schon lange werde von KI-Revolutionen gesprochen. "Schon seit Jahrzehnten haben wir diese KI-Euphorie und glauben, dass die Machtübernahme der KI unmittelbar bevorsteht, weil wir jetzt doch wieder einen großen Schritt geschafft haben", sagt Selzer.

Angefangen habe diese Begeisterung für die Computer in den 1960er Jahren, als der Deutsch-Amerikaner Joseph Weizenbau mit ein paar Zeilen Basic sein Computer-Therapie-Programm ELIZA schrieb. Probanden in einem anderen Raum dachten, dass sie per Chat mit einem Psychotherapeuten am anderen Ende kommunizierten, und nicht mit einem Computer. Eine Sensation! Weiter ging es in den 1980er-Jahren mit den ersten Schachcomputern, bis ein Hightech-PC den amtierenden Schachweltmeister schlug. 

Computer immer nur so schlau wie Mensch

Haben aber Schachcomputer seitdem die Weltherrschaft übernommen? Natürlich nicht. Es habe immer Schübe von KI-Euphorie gegeben, die alsbald der Ernüchterung wichen, erinnert sich Selzer. Sicherlich würden Computer immer leistungsfähiger. Aber werden sie je besser als ein Mensch sein, weil es die Extropianisten gibt? Auf Grund der KI-Entwicklung der letzten Jahrzehnte ist Jochim Selzer skeptisch. Und das aus einem einfachen Grund. Ein Computer kann immer nur so schlau sein, wie der Mensch, der vor ihm sitzt. "Auch bei den aktuellen KI-Modellen. Diese Trainingsdaten muss irgendwer auswählen und dann kommt es zu einem ‚crap in crap out‘- Effekt. Wenn ich meine KI mit schlechten Testdaten füttere, muss ich mich nicht wundern, wenn die KI auf einmal zu schlechten Einstellungen kommt", weiß der CCC-Sprecher.

Somit könne es gar nicht die Super-Maschine geben, die alles weiß und alles kann und nur richtige Entscheidungen treffe. "Dieses Heilsversprechen, dass der Computer neutral und objektiv urteilen kann, halte ich für ein falsches, weil der Computer eben nicht neutral ist, sondern er ist genauso rassistisch, homophob oder was auch immer, wie die Leute, die ihn mit Daten gefüttert haben", so Selzer weiter.

KI-Experte rät zur Gelassenheit

Der KI-Experte rät daher zur Gelassenheit. Von einer Universal-KI, die alles auf der Welt, ja im ganzen Kosmos regelt, sei man weit, sehr weit entfernt. Theologe Thomas Zeilinger warnt aber auch. Schon die biblische Erzählung vom Turmbau zu Babel zeige, dass es nur zur Verwirrung der Menschheit führe, wenn sie Gottgleich werden wolle. Deshalb müsse die aufgeklärte Gesellschaft den neuen KI-Tech-Unternehmen ihre Grenzen aufzeigen.

Der Theologe Zeilinger verweist auf Bonhoeffer. Der habe davon gesprochen , wenn Vorletztes zu Letztem gemacht werde, dann werde es zu Götzendienst. "Oder der Theologie Paul Tillich hat gesagt, wenn sich etwas Bedingtes anmaßt für uns Unbedingtes zu sein, dann nimmt es eine Qualität ein, die ihm nicht zukommt. Und natürlich ist es wichtig, uns einzubringen für gesellschaftliche Regelungen, um zu verhindern, dass Elon Musk oder Sam Altmann von OpenAI die Dinge allein regeln", fordert der Theologe.

Die Menschen sollten sich der Gefahr bewusst sein, was es heißt, rund um die Uhr von KI begleitet zu sein. Nicht umsonst gibt es längst derartige Fasten- und Enthaltsamkeitsübungen: PC und Handy aus, mal einen Tag oder länger ohne Technik offline sein. Thomas Zeilinger von der Bayrischen Landeskirche warnt daher, sich das Menschsein von KI stehlen zu lassen. Denn er kennt das Wunschdenken vieler: "Es wäre doch schön, wieder ein einfacheres Leben zu haben und die Macht an Algorithmen abzugeben, die für uns entscheiden. Für mich ist das keine erstrebenswerte Vorstellung. Es ist wichtig, dass wir das, was alle angeht, gemeinsam aushandeln und nicht an Maschinen abgeben."