"Das stimmt mich manchmal traurig..."

Vater trägt Sohn auf den Schultern
© Kelli McClintock/ Unsplash
Die Angst vor ökonomischen Einbußen oder das immer noch traditionelle Rollenverständnis sind Gründe, warum Väter die Erziehung nicht zu gleichen Teilen übernehmen. evangelisch.de hat mit einigen Vätern über das "Vatersein" unterhalten.
Väter zum Väterreport 2023
"Das stimmt mich manchmal traurig..."
Der Väterreport 2023 des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zeigt, dass sich Väter viel stärker als früher eine partnerschaftlich organisierte Aufgabenteilung in der Familie wünschen. Jeder Zweite möchte sogar die Hälfte der Betreuung übernehmen. evangelisch.de hat Väter zu ihrer Meinung gefragt.

"Durch lange Fahrt- und Arbeitszeiten verpasse ich vieles in der Entwicklung meines Kindes – Meilensteine und schöne Momente. Das stimmt mich manchmal traurig. Am Wochenende versuche ich viel im Haushalt zu helfen und so viel Zeit wie möglich mit meinem Sohn zu verbringen. Diese Zeit ist für mich sehr wertvoll und ich genieße sie." Christian, ein erfolgreicher Unternehmensberater, arbeitet in Vollzeit. Er ist 44, seine Frau und er sind seit knapp zwei Jahren zum ersten Mal Eltern geworden. 

Christian ist nicht der einzige Vater in Deutschland, der es bedauert, nicht genug Zeit für sein Kind zu haben. Dem Väterreport 2023 liegt eine umfangreiche Studie zugrunde, nach der jeder Zweite liebend gern die Hälfte der Kinderbetreuung übernehmen würde. Doch nur 21 Prozent sind in der Lage, dies auch umzusetzen. 

Was steht dem guten Willen dieser Väter entgegen? Die Antwort ist vielschichtig, sie reicht von der Angst vor ökonomischen Einbußen bis hin zu einem immer noch traditionellen Rollenverständnis als Familienoberhaupt und Ernährer. 

Die Studie des Familienministeriums hat den Versuch unternommen, 5 Vätertypen anhand von Steckbriefen zu unterscheiden: der "überzeugte Engagierte", der "urbane Mitgestalter", der "zufriedenen Pragmatiker", der "etablierte Konventionelle" sowie der "überzeugte Rollenbewahrer". In der Tat eine bunte Mischung von Stereotypen, denen sozialdemografische Merkmale wie Bildungsgrad, Alter, Einkommen oder Wohnort zugeordnet wurden. Cluster, die helfen sollen, Strukturen und Möglichkeiten für gesellschaftliche Veränderungsprozesse zu erkennen. 

Ökonomische Verpflichtung gegenüber der Familie

Philipp, ein 34-jähriger HR-Manager aus Bonn, steht den geclusterten Vätertypen kritisch gegenüber: "Ich halte nicht viel von Stereotypen, in der Realität mischt sich das alles. Wenn ich mich einem dieser Typen zuordnen müsste, dann eher zu den engagierten Vätern. Ich bin im Elternrat der Kita und mache sehr viel mit dem Kleinen, versuche mich zu engagieren. Dennoch habe ich der Familie gegenüber eine ökonomische Verpflichtung."

Philipp zählt sich zu den engagierten Vätern. Für sein Kind ist er aktiv im Elternrat der Kita und versucht sehr viel mit dem Kleinen zusammen zu machen.

Philipp ist einer der Väter, die gar nicht mehr als 35 Prozent Kinderbetreuung übernehmen können: "Das ist unrealistisch, da ich Vollzeit arbeite. Abends und am Wochenende betreuen wir gemeinsam. 50 zu 50 Prozent scheitert nicht am Willen, sondern an den Kapazitäten." 

"Rollenbild als abwesender Ernährer ist überholt"

Doch Philipps Arbeitgeber, eine gemeinnützige Organisation, sei - so berichtet er - enorm familienfreundlich: "Ich habe oft Homeoffice, sehr flexible Arbeitszeitmodelle, kann den Kleinen von der Kita abholen und ihn auch mit ins Büro nehmen. Wir haben bei uns im Haus Eltern-Kind-Büros, die mit Spielzeug ausgestattet sind." So sollte es zukünftig überall möglich sein, meint er, das traditionelle Rollenbild vom Vater als meist abwesenden Ernährer sei völlig überholt. So wie Philipp sind 55 Prozent der Väter in Deutschland davon überzeugt, dass kleine Kinder genauso gut von ihrem Vater betreut werden können wie von ihrer Mutter. Sie wünschen sich eine partnerschaftliche Aufteilung, auch wenn es nach wie vor aus ökonomischer Sicht oft noch nicht so klappt. 

Anders die Situation von Peter und seiner Frau: beide 35 Jahre alt, mit einem zweijährigen Sohn. Beide Akademiker, beide berufstätig, beide in der gleichen Gehaltsklasse. Sie teilen sich Kinderbetreuung und Job zu jeweils 50 Prozent untereinander auf: "Mit Blick auf die Elternzeit haben wir die Betreuung gleichmäßig aufgeteilt. Ich habe sechs Monate Elternzeit genommen sowie ein Monat Urlaub unmittelbar nach der Geburt. Meine Frau hat sieben Monate Elternzeit genommen. Danach haben wir beide gleichzeitig für jeweils zwei Monate unsere Arbeitszeit auf 80 Prozent reduziert. Auch die Eingewöhnung in die Kita, die eigentlich nur ein Elternteil begleiten sollte, haben wir gleichmäßig aufgeteilt. Wir achten aber darauf, uns Freiräume zu geben, sodass jeder mehr oder weniger ausgeglichen viel Freizeit hat bzw. mit dem Kind verbringt."

Flexible Arbeitszeitmodelle sind familienfreundlich

Das klingt ideal, aber in der Regel haben in Deutschland eben immer noch mehr Männer besser bezahlte Jobs als ihre Frauen. Dadurch lohnt es sich für junge Familien finanziell kaum, wenn der Mann weniger oder gleich viel arbeitet. Laut Väterreport liegt gerade hier eine der größten Herausforderungen, eine Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Es gibt noch viel zu wenig Arbeitgeber:innen, die familienfreundliche, flexible Arbeitszeitmodelle anbieten. Hier muss unbedingt nachgebessert werden, so auch der Report des Familienministeriums. 

Christian, der als Unternehmensberater beruflich sehr eingespannt ist, berichtet: "Sport und Freunde finden gerade gar nicht statt. Manchmal möchte ich die Zeit einfach anhalten, weil alles so schnell an mir vorbeirauscht. Und manchmal bin ich einfach müde, weil mein Job so stressig ist. Manchmal habe ich das Gefühl, keinem so richtig gerecht zu werden. Gleichzeitig möchte ich mit niemanden tauschen, weil die Zeit jetzt mit dem Kleinen so einmalig ist."

Peter, der beruflich wie privat viel reist, meint, Deutschland sei in dieser Hinsicht im Vergleich zu anderen EU-Ländern rückständig: "Eine der größten Herausforderungen ist aus meiner Sicht die unglaublich schlechte Betreuungssituation in Deutschland. Wir haben zwar Glück, dass unser Kind in der Betriebskita untergebracht ist, aber wir kennen zahlreiche Paare, die aufgrund fehlender oder unzureichender Betreuungsmöglichkeiten ihre Arbeitszeit reduzieren müssen. Auch die immer noch sehr konservativen Rollenbilder und Erwartungen an junge Mütter und Väter – insbesondere im ländlichen Raum in Deutschland – empfinde ich als große Herausforderung."

Vorbild Skandinavien

Da Peters Frau Finnin ist und die junge Familie regelmäßig ihre Eltern in Finnland besucht, weiß er, wovon er spricht. In Skandinavien achte man schon viel länger und insgesamt innovationsfreudiger darauf, Ungleichheiten in der Kinderbetreuung zu mindern. Sowohl im Hinblick auf die Anzahl der Betreuungsplätze in Kitas als auch im Hinblick auf innovative Konzepte in der Arbeitswelt. 

Familienfreundliche Unternehmen durchlaufen derzeit einen Bewusstseinswandel in Deutschland. Doch so etwas dauert. Der Anteil der Unternehmen, in denen männliche Führungskräfte Elternzeit nehmen, hat sich seit 2015 immerhin auf heute 34 Prozent verdoppelt. "Teilweise liegt es bei den Männern selbst" meint Christian, "teilweise an den Arbeitgebern. Männer haben oft Angst um ihre Karrierechancen, wenn sie Teilzeit beantragen. Meiner Ansicht nach müssten die Männer hier selbstbewusster werden."