Zukunft von Kirche mitgestalten

Innenansicht der St. Vitus Kathedrale, Prag, Tschechische Republik
© Getty Images/iStockphoto/kavunchik
KEK-Vorstandsmitglied Lea Schlenker spricht im Interview über die Arbeit der KEK und die Vollversammlung in Tallinn.
Interview mit Lea Schlenker
Zukunft von Kirche mitgestalten
Bis zum 20. Juni 2023 kommen Vertreter:innen verschiedener europäischer Kirchen zur Konferenz Europäischer Kirchen in Tallinn zusammen. Die Konferenz steht unter dem Motto "Under GOD’S blessing – shaping the FUTURE" Im Interview spricht KEK-Vorstandsmitglied Lea Schlenker über die Vollversammlung und die Arbeit der KEK.

Ziel der Konferenz Europäischer Kirchen ist es einerseits, einen Dialog zwischen den Kirchen zu ermöglichen, die oft nicht einer Meinung sind und auch nicht über die Ressourcen verfügen, große Prozesse anzustoßen. Andererseits geht es darum, Ansprechpartnerin und Brückenbauerin für europäische Institutionen zu sein, die sich punktuell fragen: "Was denken unsere Kirchen dazu? Und die Christ:innen in Europa?" 

mission.de: Was ist dabei die Aufgabe des Vorstandes, dessen Mitglied Sie sind?

Lea Schlenker: Der Vorstand leitet die Geschäfte zwischen den Vollversammlungen und wird am Ende jeder Vollversammlung gewählt und muss sich dann am Beginn der nächsten Vollversammlung für das, was zwischen den Vollversammlungen geschehen ist, verantworten. Und zu dieser Arbeit zwischen den Vollversammlungen gehören dann grundlegende Dinge wie Finanzen und Rechtliches und die Kommunikation mit den Mitglieder:innen, aber auch große strukturelle Entscheidungen, wie sie in der letzten Mandatsperiode anstanden.

Was waren die größten Aufgaben auf der Liste des Vorstandes?

Schlenker: Einerseits war die Benennung eines neuen Generalsekretärs ein großer Block, relativ am Anfang. Die zweite große Aufgabe war dann der Umgang mit COVID-19. Die Pandemie hat uns alle unerwartet getroffen, und dann Formen und Wege zu finden, war eine große Herausforderung. Zudem ging es in unserer Amtszeit um die Verschlankung des Profils und auch der Struktur der KEK. Das Büro in Straßburg wurde geschlossen und der innere Aufbau wurde etwas überarbeitet. Der Prozess ist noch nicht ganz abgeschlossen, aber ist in den letzten Zügen. So hoffen wir, dass wir dem neuen Vorstand eine gut funktionierende Organisation übergeben können.

Das hört sich nach viel interner Arbeit an. Kamen die Impulse dafür aus der Vollversammlung?

Schlenker: Ja, die Impulse kamen aus einem Leitbildprozess und ich fand es spannend zu sehen, wie aufwändig die Implementierung dessen ist. Denn bei der letzten Vollversammlung in Novi Sad, habe ich von vielen Seiten gehört, dass dieser Prozess abgeschlossen sei und nun die inhaltliche Arbeit beginnen könne. Was damals niemand wirklich berücksichtigt hatte, war, dass man zwar die KEK strukturell verändert, aber das Portfolio nicht angepasst hatte und ein Portfolio für eine riesige Organisation plötzlich auf dem Rücken von ein paar Leuten beibehalten wollte. Wir haben dann sehr schnell beschlossen, dass das so nicht geht. Ich erinnere mich sehr gut, dass wir diese ganzen strategischen Pläne aus der Vollversammlung riesengroß ausgedruckt auf Tischen ausgebreitet hatten. Und ich dachte: "Meine Güte, wer soll das bewältigen?"

Die große Leitfrage bei all unseren Überlegungen war: "Was brauchen Christ:innen, was brauchen Kirchen in Europa? Was braucht die Gesellschaft in Europa?" Ich bin anderen Mitglieder:innen des Vorstandes sehr dankbar dafür, dass sie diese wichtigen Fragen auch immer wieder gestellt haben. Denn das muss unsere Leitlinie sein in all unseren Strukturprozessen.

Die KEK ist eine ökumenische Organisation, die Kirchen mit sehr konträren Positionen vereint. Wie kann ein Aushandeln aussehen, wenn Ihre Leitfrage ist "Was brauchen Kirchen in Europa"?

Schlenker: Diese Vielfalt an Stimmen, kirchlichen Traditionen und Selbstverständnissen macht die Arbeit der KEK aus. Das beginnt schon, wenn wir im Vorstand versuchen, eine Lösung für ein Problem zu finden oder ein Statement herauszugeben. Wie wir zu einem Ergebnis kommen, ist da schon aus den christlichen Traditionen heraus ganz unterschiedlich. Teils stehen zuerst lange synodale Prozesse an, bevor ein Ergebnis erzielt wird, in anderen Fällen können Entscheidungen auch aus dem Vorstand heraus getroffen werden.

Daraus einen Konsens zu finden und gut zwischen den verschiedenen Traditionen zu balancieren, ist keine leichte Aufgabe. Da gibt es viele Lernprozesse und es ist gut, dass der Vorstand schon in sich so divers ist. Es gilt, Gleichgewichte zwischen den Konfessionen, den Geschlechtern, den Altersgruppen, Expertisen und auch zwischen Lai:innen und Ordinierten zu finden. Aber auch anzunehmen, dass alle Menschen einer Konfession stets übereinstimmen würden, ist ein Trugschluss.

"Dass alle Menschen einer Konfession stets übereinstimmen würden, ist ein Trugschluss."

Allein die lutherischen Kirchen sind so divers: da gibt es ein dänisches Staatskirchensystem, die Minderheitenkirche in Frankreich, die von der kommunistischen Zeit geprägten Kirchen des Ostens und die deutsche Kirche, die nochmal ganz anders ist. Leider sind die sogenannten Freikirchen noch nicht so gut vertreten.

Gibt es Bestrebungen, die KEK auch für diese Kirchen zu öffnen?

Schlenker: Es gibt immer wieder Prozesse, dass Kirchen Mitglieder in der KEK werden möchten. Es ist besonders wichtig, dass nicht nur Kirchen Mitglied werden, sondern auch dass es Sprecher:innen im Vorstand gibt, die immer wieder ins Gedächtnis rufen, dass wir an die freikirchlichen Geschwister denken sollten.

Wie läuft so ein Aufnahmeverfahren für neue Mitglieder ab?

Schlenker: Ganz am Anfang steht ein Antrag an den Vorstand, welcher dann entscheidet, ob dieser Antrag weiterbearbeitet wird. Das ist zunächst ein formaler Prozess, in dem mögliche Rückfragen mit der Kirche oder der Kirchenfamilie beantwortet werden können. Wird beschlossen, dass der Antrag bearbeitet werden soll, haben die Mitgliedskirchen sechs Monate Zeit, Einspruch zu erheben. Und wenn alles gut geht, wird über diese Anträge dann auf der Vollversammlung abgestimmt. Solche Anträge sind allerdings eher selten.

Wie sehen Sie die das gastgebenden Land, Estland?

Schlenker: Im Falle Estlands ist es sehr spannend, weil wir dort eine gemeinsame Gastgeber:innenschaft haben und eine orthodoxe und eine evangelische Kirche zusammenarbeiten. Auf der letzten Vollversammlung hatten wir die Situation, dass zum ersten Mal eine orthodoxe Kirche Gastgeberin war, und nun haben wir die estnisch lutherische Kirche und die estnisch orthodoxe Kirche als gemeinsame Gastgeberinnen. Es ist schön, dass auch die Gastgeberinnen schon so ökumenisch denken und an die Vollversammlung herangehen.

Auch spannend finde ich, dass Estland im europäischen Vergleich oft als säkularisiertes Land dargestellt wird. Daher bin ich gespannt zu sehen, wie dort Kirchen auftreten. Auch ist der Begriff der Säkularität überall anders ausgeprägt und auch innerhalb Europas gibt es so viele verschiedene Formen von Säkularität.

Das Thema der Vollversammlung lautet "Under GOD’S blessing – shaping the FUTURE". Was erhoffen Sie sich im thematischen Diskurs von der Vollversammlung?

Schlenker: Das Thema ist mit dem hohen Anspruch verbunden, dass man irgendwie die Zukunft mitprägen kann. Das finde ich mutig. Aber das unter den Segen Gottes zu stellen, birgt auch eine große Chance. Die Stimmen, die sagen, dass die Kirche und besonders die Ökumene kleiner werden und an Bedeutung verlieren, werden immer lauter. Und da finde ich es gut, sich auch mal auf den Segen zu fokussieren: Was haben wir alles an Segen? Was ist uns alles mitgegeben?

"Der Segen Gottes birgt eine große Chance."

Das Thema würde ich insgesamt ein bisschen mit einem Fragezeichen versehen. Ich würde eher sagen mitgestalten, statt gestalten. Und ich bin sehr gespannt, welche Antworten wir auf die Fragen finden werden, die auch schon im Strukturprozess Leitfragen waren: "Welche Rolle spielen Kirchen heute in Europa? Welche sollen sie spielen, welche können sie spielen? Was braucht Europa? Was brauchen die Menschen in Europa?"

Wir haben dazu politische Einschätzungen, soziologische Einschätzungen, theologische Reflexionen und ich freue mich, verschiedene Stimmen zu hören und auf einer breiten Basis ins Gespräch zu kommen. All unsere Mitgliedskirchen werden sich damit beschäftigen müssen. Aber meine Hoffnung ist auch, dass wir eine Vision für die Zukunft entwickeln bzw. gemeinsam über unsere Visionen sprechen und ins Gespräch kommen.

Diese Vision und diese Gespräche werden danach vom neuen Vorstand weiterbearbeitet?

Schlenker: Genau. Aber neben dem Vorstand hoffe ich, dass die einzelnen Teilnehmer:innen eine Multiplikator:innen-Rolle einnehmen können. Für mich war das damals ein sehr spannendes und prägendes Ereignis. Auch wenn ich nicht in den Vorstand gewählt worden wäre, hätte es mich trotzdem nachhaltig beeindruckt. Ich erinnere mich auch, dass damals vor allem die jungen Leute noch lange Zeit gut im Kontakt waren. Da hatte ich den Eindruck, dass die Gespräche auf der Vollversammlung zumindest ein kleiner Baustein waren in dem, was sie weitergetragen haben.

Letzten Endes hoffe ich, dass die Menschen etwas von diesen Gesprächen und auch von diesem ökumenischen Geist nach außen tragen können. Den trifft man sonst doch eher selten an. Neulich war ich beim ökumenischen Gottesdienst in Tübingen und fand es da auch super zu sehen, wie einfach unterschiedliche Kirchen miteinander in der Öffentlichkeit Gottesdienst feiern, ohne dass es seltsam wird. Das brauchen wir viel mehr.

evangelisch.de dankt der Evangelischen Mission Weltweit und mission.de für die inhaltliche Kooperation.