Jurist und Ethikrats-Mitglied Augsberg sieht Impfpflicht kritisch

Jurist und Ethikrats-Mitglied Augsberg sieht Impfpflicht kritisch

Köln (epd). Der Jurist Steffen Augsberg aus dem Deutschen Ethikrat fordert, vor einer möglichen Einführung einer allgemeinen Corona-Impfpflicht andere Maßnahmen genau zu prüfen. Bei einer Impfpflicht und dem damit verbundenen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit müssten die Verhältnismäßigkeit gewahrt sein, „und das setzt unter anderem voraus, dass es nicht weniger eingreifende, ebenso effektive Mittel gibt“, sagte der Professor für Öffentliches Recht an der Justus-Liebig-Universität Gießen am Mittwoch im WDR5-„Morgenecho“.

Augsberg forderte, zunächst müsse geprüft werden, was alles freiwillig gehe. Er habe „ehrlich gesagt schon Zweifel, dass mit Blick auf die Impfkampagne wir das wirklich mit gutem Gewissen sagen können: Da ist alles unternommen worden, um das so niedrigschwellig und aufsuchend anzubieten, wie es nur irgendwie geht“. Deshalb sehe er eine allgemeine Impfpflicht in der aktuellen Corona-Situation als „schwieriges Instrument“ an.

Bei der Abwägung über eine allgemeine Impfpflicht stehe das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit im Mittelpunkt, erläuterte der Jurist, der seit 2016 im Deutschen Ethikrat sitzt. Einerseits gehe es um die Abwehrreaktion der Menschen, die nicht zur Impfung gezwungen werden wollen. Zugleich sei andererseits aber auch die Schutzdimension der anderen Bürgerinnen und Bürger wichtig: „Der Staat muss auch etwas unternehmen, um Gefahren von seinen Bürgern abzuwehren, und die Bürger haben auch ein Anrecht darauf.“

Augsberg mahnte, bei jeder Art von Impfpflicht sei eine präzise, möglichst transparente Begründung nötig, bei der die Ziele sehr genau erläutert werden müssten. „Und ich habe das Gefühl, dass das im Moment so ein bisschen, ja, hinten runterfällt und wir jetzt wieder so eine ganz undifferenzierte Lösung in den Blick nehmen: Ja, wenn alles nichts mehr hilft, dann doch bitte wieder die Impfung für alle.“

Die Formulierung präziser Ziele sei auch mit Blick auf eine berufsbezogene Impfpflicht wichtig. Mit einer solchen Pflicht werde man wegen des zeitlichen Vorlaufs nicht die aktuell hohen Inzidenzen herunterbringen, sagte der Jurist. „Aber wenn wir sagen, wir haben spezifische Probleme in Altenheimen, Pflegeheimen, Schulen, in der Medizin, und dort genau wollen wir eine hohe Zahl von Toten verhindern, dann kann das ein angemessenes Mittel sein.“

Neben einer berufs- oder einrichtungsbezogenen Impfpflicht für Bereiche mit besonders gefährdeten Personen wird inzwischen auch eine allgemeine Pflicht zur Impfung gegen Covid-19 diskutiert. Über eine mögliche Impfpflicht muss der Bundestag entscheiden. In der möglichen Koalition aus SPD, Grünen und FDP wird das Thema noch diskutiert.

Aktuell sind laut Daten des Robert Koch-Instituts (RKI) insgesamt 68 Prozent der Bevölkerung in Deutschland vollständig gegen Covid-19 geimpft, 70,5 Prozent mindestens einmal. Die geringe Impfquote gilt als ein Grund für das Ausmaß der vierten Welle der Pandemie.