Humanitäre Hilfe für Rohingya verboten

Minderheit Rohingya
Foto: dpa/Channi Anand
Ein junger Flüchtling der muslimischen Minderheit Rohingya blickt in Jammu, Indien, durch eine zerrissene Decke, die als provisorische Wand aufgehängt wurde.
Humanitäre Hilfe für Rohingya verboten
Myanmar steuert in politische und diplomatische Krise
Myanmars Staatsrätin Aung San San Kyi hat den UN und anderen Hilfsorganisationen verboten, in den Flüchtlingslagern Rhakines zu helfen. Das betrifft auch den Lutherischen Weltbund.

"Weder stellen wir uns auf die Seite einer der Konfliktparteien, noch machen wir unserer Hilfe von der Zugehörigkeit zu Rasse, Religion oder ethnischen Gruppen abhängig." Erklärten der Lutherische Weltbund und fünfzehn weitere internationale weltliche und christliche Hilfsorganisationen. Sie haben in den Flüchtlingslagern in Rakhine in Myanmar humanitäre Hilfe für die Vertriebenen im Konflikt um die muslimischen Rohingya geleistet - und sollen das nun nicht mehr dürfen.

Die Organisationen wie auch die Vereinten Nationen (UN) mussten auf Anweisung der Regierung von Staatsrätin Aung San San Kyi  ihre Hilfe für die Flüchtlinge einstellen. Regierung und Armee werfen den Hilfsorganisationen vor, die Rebellen einer "Arakan Rohingya Salvation Army" (ARSA) zu unterstützen. In einer Email an evangelisch.de betont David Mueller, Repräsentant des Lutherischen Weltbundes in Rangun, die auf "humanitären Geboten und Prinzipien" fundierte Arbeit seiner Organisation.

Am 25. August 2017 griffen mit Messern, Säbeln und Zwillen bewaffnete Rebellen der ARSA in Maungdaw Township im Norden von Rakhine eine Reihe von Polizeiposten und Militärstützpunkten an. Die Armee von Myanmar schlägt seitdem mit schweren Waffen und Kampfhelikoptern und dem Einsatz von Landminen zurück, um, so die Armeepropaganda, die "Terroristen" am Aufbau eines islamischen Staates zu hindern. General Min Aung Hlaing, Oberkommandeur von Myanmars Streitkräften, erklärte: "Im Rakhine-Staat wird gerade aufgeräumt, was 1942 liegen blieb."

Damals verbündeten sich die muslimischen Rohingyas mit der britischen Kolonialarmee und versuchten, einen eigenen Staat zu errichten. Seither werden die arakanesischen Muslime in Myanmar als "Bengalis" beschimpft, die illegal aus Bangladesch eingewandert seien.

Die Rohingya, wie sie sich selbst nennen, gelten nicht als offizielle ethnische Gruppe. Diesen Status und damit verbunden die Staatsbürgerschaft genießen laut dem Staatsbürgergesetz von 1982 nur ethnische Gruppen, die nachweisen können, dass sie schon vor 1823 – also vor dem ersten Krieg zwischen dem damaligen Birma und der britischen Kolonialmacht – in Myanmar/Birma lebten.

Der Befehl zur sofortigen Einstellung der humanitären Hilfe in den Lagern kam, nachdem angeblich Hilfsgüter in Stützpunkten der zu "Terroristen" erklärten Rebellen gefunden wurden. Beweise dafür gibt es keine, wie auch wenig über die ARSA bekannt ist. Wieviele Kämpfer hat die ARSA? Wird sie aus dem Ausland unterstützt? Wie stark ist ihre Anhängerschaft unter den Rohingya?

Klar ist aber das Ausmaß der humanitären Katastrophe, die sich seit dem 25. August 2017 im Norden von Rakhine abspielt. Mehr als 120.000 Menschen, die meisten davon Muslime, aber auch Hindus und Buddhisten, sind seit dem 25. August über den Fluß Naf nach Bangladesch geflohen. Die Lager in Cox's Bazar in Bangladesch platzen aus allen Nähten. Nach der ersten Offensive der Armee gegen muslimische Rebellen im Oktober 2016 waren mehr als 70 000 Menschen nach Bangladesch geflohen, wo bereits – zum Teil seit Jahrzehnten – 400.000 Rohingya aus Myanmar unter katastrophalen Bedingungen kampieren.

Die neuerliche Gewalt gegen die Rohingya, geschürt von nationalistischen Buddhisten in Rakhine, begann 2011, dem Jahr, in dem Myanmar den Übergang von einer Militärdiktatur zu einer zivilen Regierung begann. Zehntausende Muslime leben seitdem in Lagern vor den Toren von Sittwe im Süden von Rakhine. Dort arbeiteten die Hilfsorganisationen. "Wir unterstützen acht IDP (Binnenvertriebene) Lager mit insgesamt 43.000 Menschen. Die meisten sind Muslime", sagt Mueller. Die Hilfe reiche von Nahrungsmitteln über gesundheitliche Dienstleistungen bis zu Schulen und Ausbildungsmöglichkeiten für 27.000 junge Leute.

"Wir bekommen nichts. Dabei sind wir genauso arm"

In den Lagern ist die Hilfe des Lutherischen Weltbunds, von Malteser International, World Vision oder Care International willkommen. Außerhalb der Lager sind die Internationalen Nichtregierungsorganisationen (INGO) verhasst. "Die helfen nur den Bengalis. Wir bekommen nichts. Dabei sind wir genauso arm", lautet das Mantra der Buddhisten in Rakhine. Kaum eine INGO wollte sich deshalb über die gemeinsame Erklärung gegen Gewalt hinaus gegenüber evangelisch.de äußern.

In der Email von Sid Peruvemba, stellvertretender Leiter von Malteser International, Köln, heißt es: "In Myanmar sind die Konfliktdynamiken enorm komplex. Wir erleben, dass selbst Aussagen mit ausschließlich humanitärem Inhalt von verschiedenen Seiten, oft unbewusst, aus dem Zusammenhang gerissen und instrumentalisiert werden. Diese Gefahr ist vor dem Hintergrund der Situation in Rakhine besonders hoch (...). Aus diesem Grund haben wir beschlossen, über die veröffentlichte Stellungnahme des INGO-Forums Myanmar hinaus, derzeit keine Aussagen zu machen, um unsere humanitären Aktivitäten in Myanmar nicht weiter zu belasten."

Immer wieder hört man auch die Bitte, bei der Berichterstattung auf den in Myanmar extrem kontroversen Begriff "Rohingya" zu verzichten. Diese Bitte haben auch die katholischen Bischöfe von Myanmar an Papst Franziskus herangetragen, der Ende November zu einem dreitägigen Besuch in Myanmar erwartetet wird.

Ronhingya, ein problematischer Begriff

Als Rohingya bezeichnen sich muslimische Arakanesen erst seit den 1950er Jahren. Als "hybrid" beschreibt der deutsche Birmaexperte und Theologe Hans-Bernd Zöllner in seiner Abhandlung "Die Rohingyas – Konstruktion, De-Konstruktion und Re-Konstruktion einer ethnisch- religiösen Identität" die Erfindung der Ethnie Rohingya. Die  'Erfindung' als eigenes Volk sei von der Hoffnung auf Anerkennung als "nationale Rasse" im Sinne des Staatsbürgerrechts geprägt gewesen.

Allerdings bezeichnet sich bei weitem nicht jeder Muslim in Rakhine als Rohingya. "Mal nennen sie sich einfach Muslime, mal Rohingya", sagt ein Mitarbeiter einer westlichen Hilfsorganisation, der in den Lagern bei Sittwe gearbeitet hat. Der Mann, der anonym bleiben möchte, weiß: "Das hängt von der Situation und davon ab, mit wem sie sprechen."

Ob Rohingya, arakanesische Muslime oder Bengalis – kein semantisches Vexierspiel rechtfertigt die Gewalt gegen, die Menschenrechtsverletzungen an, die Verweigerung humanitärer Hilfe für die Vertriebenen aus Rakhine. Es rechtfertigt auch nicht, dass sich Regierung und Armee weigern Beobachter der Vereinten Nationen, internationale Medien und Menschenrechtsorganisationen in den Norden von Rakhine zu lassen. Es rechtfertigt auch nicht die Zurückweisung von Berichten über Menschenrechtsverletzungen, über Gruppenvergewaltigungen von Rohingyafrauen als "fake rape", als "Lügen", als "fake news" durch die Regierung von Aung San Suu Kyi.

Neue Rohingyabootsflüchtlinge in Sicht

Wegen ihrer Politik in Rakhine gerät Aung San Suu Kyi international zunehmend unter Druck. Die Regierungen der mehrheitlich islamischen Länder Malaysia, Indonesien und Türkei drängen das mehrheitlich buddhistische Myanmar, die Gewalt gegen die Rohingya einzustellen und eine friedliche Lösung, ob der Not der Muslime zu finden.

Die systematische Unterdrückung von Muslimen nimmt in ganz Myanmar zu. Das werde von Aung San Suu Kyi, Teilen des buddhistischen Klerus, ultranationalistischen Gruppierungen und der Armee unterstützt, hieß es in dem in dieser Woche in Bangkok veröffentlichten Bericht des unabhängigen Burma Human Rights Network (BHRN). "Der Übergang zur Demokratie hat es möglich gemacht, dass die Regierungspolitik von im Volk verbreiteten Vorurteilen beeinflusst wird und hat die gefährliche Narrative, die Muslime als Fremdkörper im mehrheitlich buddhistischen Birma darstellt, verstärkt", sagt der birmanische Muslim Kyaw Win, Direktor des BHRN.

In der von buddhistisch-nationalistischen Mönchen verbreiteten "gefährlichen Narrative" geht es um die angebliche Bedrohung des Buddhismus durch den Islam. "Politisch" würden Aung San Suu Kyi und ihre Partei Nationale Liga für Demokratie in Myanmar "enormen" Respekt genießen, heißt es in einer am 5. September 2017 veröffentlichten Analyse über "Buddhismus und Staatsmacht in Myanmar" der International Crisis Group (ICG).  "Aber es gibt die weitverbreitete nationalistische Annahme, dass sie generell eine westliche liberale Sichtweise haben, in der die Rechte von Minderheiten und die Vielfalt (einschließlich religiöser Vielfalt) einen höheren Stellenwert genießen als der Schutz des buddhistischen Glaubens (...)."

Zum Schluss das Wetter. In wenigen Wochen endet der Monsun. Kyaw Win warnt: "Es ist gut möglich, dass wir dann eine neue Welle von Rohingyabootsflüchtlingen erleben werden, die über den Golf von Bengalen Thailand und Malaysia erreichen wollen."