"Frieden ist ein Prozess, kein Zustand"

Mural mit einer Friedenstaube und zwei Händen
Foto: dioxin / Photocase
Religiös aufgeladene Konflikte - religös motivierte Lösungen?
"Frieden ist ein Prozess, kein Zustand"
Interview mit Silke Lechner, der stellvertretenden Leiterin des Arbeitsstabs "Friedensverantwortung der Religionen" im Auswärtigen Amt
Vom 21. bis 23. Mai 2017 findet im Auswärtigen Amt eine Konferenz zum Thema "Friedensverantwortung der Religionen" mit über 100 Religionsvertretern aus über 50 Ländern statt. Im Vorfeld der Konferenz haben wir mit Silke Lechner über diesen neuen Arbeitsbereich gesprochen.

evangelisch.de: Welche Aufgaben hat der Arbeitsstab "Friedensverantwortung der Religionen" im Auswärtigen Amt?

Silke Lechner: Das ist ein neuer Arbeitsbereich, der im vergangenen Herbst im Auswärtigen Amt eingerichtet wurde. Die Idee ist, dass erstmalig im Auswärtigen Amt systematisch mit Religionsvertretern aus aller Welt zusammengearbeitet wird. Es geht darum, Religionsvertreter, die in der Friedensarbeit aktiv sind, zu identifizieren. Denn sehr viele Religionsvertreter übernehmen Verantwortung in ihren Gesellschaften und setzen sich aktiv für den Frieden ein und machen bewundernswerte Arbeit in ihren Gesellschaften. Diese Kontakte wollen wir jetzt systematisch ausbauen, weil wir denken, dass das wichtige Ansprechpartner auch für unsere Außenpolitik sind.

Gab es im Auswärtigen Amt auch Menschen, die dem Bereich eher skeptisch gegenüberstehen?

Lechner: Es ist common sense, dass Außenpolitik sich nicht nur in den klassischen Bahnen bewegen darf, sondern auch die Zivilgesellschaft in den Blick nehmen muss. Für uns ist der Grundsatz wichtig, dass wir keine Präferenz gegenüber bestimmten Religionen einnehmen, sondern dass wir sagen: Wir gucken jeweils in den Ländern, welche Religionen da stark präsent sind und mit wem wir da zusammenarbeiten können. Es gibt den Fokus, dass wir sagen: Da, wo gesellschaftliche Verantwortung übernommen wird, wollen wir das Gespräch suchen. Dieser innovative Ansatz findet im Auswärtigen Amt große Unterstützung, sonst wäre eine Konferenz mit über einhundert Religionsvertretern nicht denkbar.

Wer arbeitet denn in der Stabsstelle - Diplomaten oder Theologen?

Lechner: Hier arbeiten Diplomaten und Theologen zusammen. Es wurde sehr bewusst Expertise von außen geholt, nämlich Menschen mit Kontakten zu Kirchen und Religionsgemeinschaften hier und weltweit. Ich selber bin Politikwissenschaftlerin und habe bis zum letzten Herbst beim Deutschen Evangelischen Kirchentag gearbeitet.

Warum wurde dieser Arbeitsstab ausgerechnet jetzt gegründet?

Lechner: Es gibt in der deutschen Außenpolitik insgesamt die Entwicklung, dass man die Arbeit mit nichtstaatlichen Akteuren stärken will. Es wird immer wichtiger, zivile Krisenprävention zu betreiben und auch nicht nur mit Staaten zusammenzuarbeiten, sondern mit allen Akteuren, die Verantwortung übernehmen können. Und so ist eben die Erkenntnis gereift, dass auch Religionsvertreter eine ganz wichtige Gruppe sein können.

"Uns geht es darum, dass wir zuhören und schauen wollen, wie man diese Arbeit unterstützen kann."

Welche speziellen Ziele verfolgt die Stabsstelle mit ihrer Arbeit?

Lechner: Wir wollen ein Netzwerk aufbauen, um Religionsvertreter zusammenzubringen und zu verstehen, an welchen Projekten sie arbeiten und wie sie sich für den Frieden in ihren Gesellschaften einsetzen. Und wir wollen dann gemeinsam mit diesen Akteuren überlegen, wie das Auswärtige Amt diese Arbeit unterstützen kann: Was könnte die deutsche Außenpolitik tun, damit die Religionsvertreter im Ausland so gestärkt werden, dass sie wirklich sich für den Frieden in und zwischen den Gesellschaften einsetzen können? Wir nehmen die Konferenz, die wir initiiert haben, als Auftakt, Kontakte mit diesen Religionsvertretern zu knüpfen. Wir wollen zuhören, was da an Ideen eingebracht wird, und werden dann entscheiden, wie wir systematisch an diesem Thema weiter arbeiten.

Das heißt, Sie befinden sich gerade sozusagen in der Kennenlern-Phase?

Lechner: Es geht uns nicht darum zu sagen: Wir laden Religionsvertreter ein und präsentieren ihnen eine Agenda. Ganz im Gegenteil: Uns geht es darum, dass wir zuhören und schauen wollen, wie man diese Arbeit unterstützen kann. Und erst wenn wir diese Ideen gehört haben, werden wir eine klare Agenda für die weitere Arbeit entwickeln. Wir gehen mit einer sehr großen Wertschätzung und mit sehr großem Respekt vor der Arbeit, die diese Menschen tun, in diese Konferenz. Wir glauben, dass viele der Teilnehmer auch in sehr schwierigen Situationen Unglaubliches leisten, um sich für die Konfliktbewältigung und den Frieden einzusetzen. Und wir sind der festen Überzeugung, dass diese Arbeit es verdient, wahrgenommen zu werden. Wir wollen damit auch gezielt einen Gegenpunkt zu den Konferenzen oder die Berichte setzen, die sich ausschließlich mit dem Zusammenhang zwischen Religion und Gewalt beschäftigen. Ganz sicher ist die Rolle von Religionen oft auch ambivalent. Aber mit absoluter Sicherheit ist die Rolle von Religionen oft auch ganz positiv. Und das wollen wir sichtbar machen und damit auch unsere Wertschätzung zeigen. Deshalb liegt unserer Konferenz auch eben nicht der Ansatz zugrunde: Ihr seid jetzt hier und wir zeigen euch, wie es geht. Das wäre falsch. Wir treten ihnen mit großen Respekt gegenüber.

Silke Lechner ist stellvertretende Leiterin des Arbeitsstabs "Friedensverantwortung der Religionen" im Auswärtigen Amt.

Sie haben die Rolle der Religionen als "ambivalent" bezeichnet - welche Rolle können Religionen denn Ihrer Einschätzung nach in der Friedensarbeit einnehmen?

Lechner: Religionen haben den großen Vorteil, dass sie in allen Gesellschaften überall auf der Welt präsent sind und auch einen sehr großen Einfluss haben - etwa 80 Prozent der Menschen weltweit fühlen sich einer Religion zugehörig. Und wir kennen viele Beispiele, in denen Religionen Verantwortung übernehmen. Die Bevölkerung in den meisten Ländern bringt den Religionsvertretern einen sehr großen Respekt entgegen. Leitende Geistliche haben oft sehr großen Einfluss und sind oft in der Situation, dass sie zum Beispiel auch in der Mediation eines Konfliktes eine Rolle einnehmen können, die sonst nicht so viele andere einnehmen können. Ganz konkret gesprochen: Es gibt beispielsweise die katholisch-geprägte Organisation Sant’Egidio, die sich schon seit vielen, vielen Jahren in die Mediations- und Konfliktbewältigungsarbeit einbringt. Sie haben in den 90er Jahren beispielsweise dafür gesorgt, dass in Mosambik ein Friedensabkommen geschlossen wurde. Das konnten die Vertreter von Sant’Egidio nur deshalb erreichen, weil sie so ein gutes Standing in diesen Gesellschaften hatten und weil ihnen Vertrauen entgegengebracht wurde. Dieses Vertrauen besteht gegenüber sehr, sehr vielen Religionsvertretern. Man hört auf sie und deswegen sind sie ganz entscheidende Akteure.

Es gibt die friedenstiftende und die friedensichernde Wirkung der Religionen - ist beides für Sie gleich wichtig?

Lechner: Für uns ist die Friedenssicherung genauso wichtig wie die Friedensstiftung. Da geht es um die Prävention, es geht um die Überwindung von Konflikten und es geht um die Stabilisierung. Frieden ist ein Prozess, kein Zustand.

Wird auf der Konferenz auch über die negativen Seiten gesprochen - dass Religion eben auch oft für kriegerische Auseinandersetzungen missbraucht wird?

Lechner: Es wird sicherlich eine Rolle spielen, weil die Menschen ganz konkret von den Situationen in ihren Ländern erzählen und da gibt es natürlich viele, die einfach tagtäglich damit leben, dass im Namen der Religion eine Gewaltbotschaft gesendet wird, von der sich dann die Mehrheitsreligionsvertreter distanzieren. Aber es ist uns trotzdem wichtig, dass wir die positive Seite betonen und voneinander lernen. Wir wollen die Menschen zu ihrer eigenen Arbeit miteinander ins Gespräch bringen, wir wollen von Best-Practice-Beispielen hören und im Idealfall ist es so, dass die Menschen nicht nur gestärkt nach Hause gehen, sondern vielleicht auch ein paar Instrumente mehr in ihrem Instrumente-Kasten haben und sagen: Durch den Austausch mit dem Kollegen habe ich jetzt die Idee entwickelt, in meiner Arbeit auf folgende Weise vorzugehen. Wir hoffen, dass da auch zwischen den Teilnehmern interessante Gespräche stattfinden und vielleicht auch sogar längerfristige Kontakte entstehen.

Wie sehen sie zukünftig die Bedeutung dieses Bereichs?

Lechner: Die Friedensverantwortung der Religionen ist kein Thema, bei dem man schnell Erfolge erzielen kann. Es handelt sich hier um langjährige Beziehungsarbeit. Wir beginnen jetzt damit und werden versuchen, in den nächsten Jahren kontinuierlich daran weiterzuarbeiten. In Zeiten, in denen Konflikte so religiös aufgeladen sind, kommt den Religionsvertretern eine besondere Rolle zu.