Ziegen, Hühner und "Frizere"

Verschiedene Hütten der Diakonie Kosova
Foto: Diakonie Deutschland/Natascha Gillenberg
Die Diakonie Kosova in Mitrovica beschäftigt 85 Mitarbeiter
Ziegen, Hühner und "Frizere"
Die Diakonie kämpft im nordkosovarischen Mitrovica gegen die Perspektivlosigkeit der Menschen
Mitrovica - die geteilte Stadt ist ein Symbol für den Kosovo-Konflikt. Im Süden leben Albaner, im Norden Serben.
Große Teile der Bevölkerung sind wie im ganzen Land arbeitslos. Sozialhilfe gibt es im Kosovo wenig bis kaum. Bernd Baumgarten von der Diakonie Kosova will helfen.
27.03.2017
epd
Markus Geiler

Nysret streckt verlangend Kopf und Hals Richtung Bernd. Aber Bernd interessiert sich gerade mehr für das Brot, welches ihr Namensgeber an sie verfüttert. Bernd, genauer "die Bernd", ist eine braune Zicke auf der Farm der Diakonie Kosova. Nysret, in der Box gegenüber, ist der Ziegenbock. Auf dem gepflegten, sieben Hektar großen Gelände auf einem Hügel oberhalb der nordkosovarischen Stadt Mitrovica hält die Diakonie neben über 1.000 Hühnern auch rund 30 Ziegen, darunter neun Zicklein.

Die Farm bietet elf Frauen und Männern aus der Gegend Arbeit und regelmäßiges Einkommen, etwas, was im Kosovo selten wie Goldstaub ist. Acht Mitarbeiter haben eine Behinderung. Bei einer allgemeinen Arbeitslosenrate von 40 Prozent und einer Jugendarbeitslosigkeit von 60 Prozent hätten sie normalerweise auf dem unterentwickelten Arbeitsmarkt des kleinen Westbalkanstaates keine Chance.

"Jede der Ziegen hat einen Namen bekommen"

Geleitet wird die Farm von Nysret Krasniqi, einem verschmitzen Endfünfziger. "Jede der Ziegen hat einen Namen bekommen", erklärt Krasniqi lächelnd. Hashim zum Beispiel nach Hashim Taci, dem kosovarischen Präsidenten. Der Zuchtbock wurde nach ihm selbst, Nysret, benannt und die Zuchtzicke eben auf Bernd, "die" Bernd, wie er betont.

Bernd Baumgarten ist head of mission und spiritus rector der Diakonie Kosova. Der langjährige Geschäftsführer des Diakonischen Werks Trier und Simmern-Trarbach (Rheinland-Pfalz) reiste erstmals 2007 in den Kosovo, um zu sehen, in welche Verhältnisse hier abgelehnte Asylbewerber zurückkehren. Was er vorfand, war ein desolates Land ohne jegliches soziales und medizinisches Netz, Menschen, die in einer erschütternden Armut leben und häufig durch den Krieg mit Serbien im Jahr 1999 schwer traumatisiert sind. "Fast jeder Kosovare hat jemanden in dem Krieg verloren", sagt Baumgarten.

In den folgenden Jahren begann die Diakonie Trier in Mitrovica, einer bis heute zwischen Albanern und Serben geteilten Stadt, erste Hilfs- und Beratungsangebote aufzubauen. "Wir wollten dahin, wo Hilfe wirklich gebraucht wird", sagt Baumgarten. Im liberalen Pristina, der Hauptstadt des Landes, tummelten sich bereits zahlreich die internationalen Hilfs- und Nichtregierungsorganisationen. In Mitrovica mit seinen über 100.000 Einwohnern sind die Folgen des Krieges dagegen durch die von den internationalen KFOR-Truppen überwachte Teilung bis heute täglich sichtbar.

Ein duales Ausbildungssystem gibt es nicht

Im Jahr 2012, mit 60 Jahren, zog Baumgarten dann schließlich in den Kosovo um und trieb die Projekte vor Ort voran. Heute hat die Diakonie Kosova 85 Mitarbeiter und betreibt neben der Farm ein Jugendzentrum für Albaner und Serben direkt an der Ibar, dem Fluss, der die Demarkationslinie zwischen dem albanischen Süd- und dem serbischen Nord-Mitrovica bildet. Auf einem 6.000 Quadratmeter großen Gelände im Südteil befinden sich zudem ein Traumatherapiezentrum, ein Montessori-Kindergarten, ein Projekt zur Betreuung von Rückkehrern sowie das Diakonie Trainings Center (DTC).

In den DTC-Werkstätten, die Baumgarten von der Kindernothilfe übernahm, werden Jugendliche und Männer zu Trockenbauern, Fliesenlegern, Tischlern, Elektrikern oder Klempnern und Heizungsbauern ausgebildet. Drei Monate dauert ein Kurs plus ein Monat Praktikum. Danach versucht die Diakonie, sie in Betriebe zu vermitteln. 40 Prozent der Kosovaren hätten keine Ausbildung, sagt Baumgarten. Ein duales Ausbildungssystem wie in Deutschland gebe es nicht.

Die Ausbildungsmöglichkeiten in den DTC-Werkstätten sind sehr beliebt.

600 Menschen wurden 2016 im Diakonie-Center ausgebildet

Mädchen und Frauen können sich im DTC zur Friseurin oder Schneiderin ausbilden lassen. Der Bedarf ist groß, besonders in den Sommermonaten, wenn die großen Hochzeiten mit Hunderten Gästen stattfinden. Daraus entsteht fast ein kleiner Geschäftszweig. Das Land ist voll mit Geschäften, in denen opulente Hochzeitskleider angeboten werden und "Frizere"-Läden, die sich auf festlich-kunstvolle Hochsteckfrisuren verstehen.

Allein 600 Frauen und Männer wurden 2016 in dem Diakonie-Center ausgebildet, rund 10.000 in den vergangenen 17 Jahren. Um die  Diakonie-Kosova-Projekte zu finanzieren, ist Baumgarten unermüdlich auf der Suche nach Geldgebern, Spenden und öffentlichen Zuwendungen. Auch die Farm wirft mittlerweile etwas Geld ab. So beliefert Farmchef Nysret Krasniqi regelmäßig unter anderem die deutsche Botschaft mit den typischen dunkelbraunen Eiern.