"Judenmission": Eine theologische Sternstunde der Synode

Kirche und Synagoge
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Kirche und Synagoge
"Judenmission": Eine theologische Sternstunde der Synode
"Christen sind nicht berufen, Israel den Weg zu Gott zu weisen." So steht es unmissverständlich in der Kundgebung, die die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland auf ihrer Tagung in Magdeburg verabschiedet hat. Die intensive Debatte drehte sich um Begriffe wie "Bekehren" und "Glaubenszeugnis".

"Wenn ich das Wort 'Judenmission' gebrauche, dann denken Sie bitte immer gleich Anführungszeichen mit", sagte Vizepräses Klaus Eberl am Sonntag (6. November), als er der Synode die Erklärung vorstellte. Er ist nicht der Einzige, dem es absurd vorkommt, wenn Christen Juden davon zu überzeugen versuchen, dass sie sich zu Jesus Christus bekehren müssten. Dass die Absage an die Judenmission überhaupt noch einmal in Form einer Erklärung auf den Tisch kam, hängt mit dem Reformationsjubiläum zusammen: "Im Jubiläumsjahr der Reformation kann und soll unsere Schuldgeschichte nicht ausgeklammert werden", sagte Klaus Eberl. Die EKD wolle ein "vertrauensbildendes Signal für den christlich-jüdischen Dialog" setzen – auch weil Josef Schuster, der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, im vergangenen Jahr auf die EKD-Kundgebung zu Luthers Hetze gegen Juden zwar zustimmend reagiert, sich aber zugleich mehr gewünscht hatte: "Jeder Form von Judenmission soll eine klare Absage erteilt werden."

"Zeugnis", "Bekehren", "Religionswechsel"?

Diesem Wunsch kommt die EKD mit ihrem zweiseitigen Papier nach, das überschrieben ist mit "...der Treue hält ewiglich" (Psalm 146,6) – Eine Erklärung zu Christen und Juden als Zeugen der Treue Gottes". Bewusst haben die Autoren das Wort "Mission" im Titel weggelassen, denn dieses Wort produziert Spannungen. Bei der Diskussion in der Synode wurde sowohl am Sonntag als auch in der erneuten Debatte am Mittwoch (9. November) deutlich, dass manche bei der Wortwahl rund um "Mission", "Bekennen", "Bekehren" und "Glaubenszeugnis" sehr sensibel sind.

Es ging vor allem um die später geänderte Stelle "Ein christliches Glaubenszeugnis, das darauf abzielt, Juden zum Glauben an Jesus Christus zu bekehren, widerspricht dem Bekenntnis zur Treue Gottes und der Erwählung Israels." Das Glaubenszeugnis gehöre doch zum Selbstverständnis der Christen, sagte zum Beispiel der Synodale Steffen Kern, und niemand könne einen anderen Menschen bekehren. Das könne der Mensch nur selbst und "letztlich ist es Gottes Sache". Auch der Synodale Michael Diener sagte, die Begriffe Zeugnis, Bekehrung, Glaube an Jesus Christus hätten in seinem Lager – dem pietistischen – einen hohen Stellenwert und sollten keine negative Konnotation bekommen: "Wir werden diese Begriffe noch brauchen."

Andere wie die Synodale Gabriele Scherle wollten die strittige Formulierung so lassen, wie sie sind: "Es geht nicht um die Frage des persönlichen Zeugnisses, sondern um die Frage der organisierten Judenmission." Damit sprach sie die so genannten messianischen Juden an, also Juden, die Jesus Christus als den Messias ansehen und die zum Teil von evangelikalen Kreisen – auch innerhalb von Landeskirchen – unterstützt werden. Die Synode war sich nicht so recht schlüssig, ob sie die messianischen Juden mit ihrer Erklärung überhaupt im Blick haben wollte. "Das hätten wir dann hier von Anfang an thematisieren müssen", warf Michael Diener ein.

Der Ausschuss Schrift und Verkündigung schlug als Änderung vor zu formulieren: "Alle Bemühungen, Juden zum Religionswechsel zu bewegen, widersprechen dem Bekenntnis zur Treue Gottes und der Erwählung Israels." Daraufhin entbrannte die Debatte am Mittwoch von Neuem. Schreibe man "Religionswechsel", so meinten Gabriele Scherle und die mitteldeutsche Bischöfin Ilse Junkermann, fühlten sich messianische Juden womöglich nicht gemeint, denn für sie sei das Bekenntnis zu Christus ja kein Religionswechsel. Ein Subtext werde immer mitgelesen, warnte auch die Synodale Judith Filitz. 

Die Mehrheit der Synode entschied sich schließlich für die neue Formulierung an der sensiblen Stelle ("Alle Bemühungen..."), weil die meisten sie für deutlicher, klarer und umfassender hielten. Der Ausschussvorsitzende Detlef Klahr fand es "einfach fantastisch, wie wir theologisch und inhaltlich diskustiert haben" und meinte auch, es sei ein Symbol, dass die Synode diese Kundgebung ausgerechnet am 9. November beschließe – dem Jahrestag der Nazi-Pogrome gegen Juden. Klahr freute sich über das Signal dieser ohne Gegenstimmen verabschiedeten Kundgebung so sehr, dass er mit der Synode das hebräische Lied "Hine Ma Tov" (Psalm 133) anstimmte. Schon zur Einbringung am Sonntag hatte auch Vizepräses Klaus Eberl von einer "theologischen Sternstunde" der Synode gesprochen.

Theologische Argumente - nicht nur historische

Das Thema "Judenmission" ist aktuell, aber nicht neu. Schon 1980 hatte sich die Synode der Evangelischen Kirche im Rheinland von der Judenmission distanziert, die Landeskirchen in Berlin-Brandenburg und Westfalen folgten 1990 und 1999. Die EKD-Denkschrift "Christen und Juden III" aus dem Jahr 2000 lehnt jegliche Judenmission allein schon aus historischen Gründen ab: "Eine Kirche, die sich nicht mit aller Macht ihres Zeugnisses gegen die an den Juden verübten Verbrechen eingesetzt hat, sollte bei der Bezeugung ihres Glaubens gegenüber jüdischen Menschen – um es vorsichtig zu formulieren – äußerste Zurückhaltung üben."

Die neue EKD-Erklärung argumentiert theologisch und knüpft auch dabei an ältere Texte an: Dass "Gottes Verheißung über dem von ihm erwählten Volk Israel auch nach der Kreuzigung Jesu Christi in Kraft geblieben ist", stand schon in einer EKD-Synodenerklärung von 1950 (!) und wurde 1991 in der EKD-Studie "Christen und Juden II" wiederholt: "Eine Auffassung, nach der der Bund Gottes mit Israel gekündigt und die Juden verworfen seien, wird nirgends mehr vertreten."

Die Denkschrift "Christen und Juden III" (2000) liefert dafür biblische Belege. Im Alten Testament ist an mehreren Stellen vom Bund Gottes mit seinem Volk die Rede, zum Beispiel in der Sinai-Erzählung (2. Mose 24). An keiner Stelle der Bibel werde dieser Bund außer Kraft gesetzt, heißt es in der Denkschrift. Im Gegenteil. Der Apostel Paulus erklärt im Römerbrief deutlich: "Gott hat sein Volk nicht verstoßen, das er zuvor erwählt hat" (Römer 11,2) und beschreibt mit einem Bild, welche Position die Christen dabei einnehmen: "Du aber, der du ein wilder Ölzweig bist, in den Ölbaum eingepfropft wurdest und Anteil bekommen hast an der Wurzel und dem Saft des Ölbaums, so rühme dich nicht gegenüber den Zweigen. Rühmst du dich aber, so sollst du wissen: Nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich." (Römer 11,17-18).

Ein Widerspruch bleibt

Paulus nimmt in Römer 11 (Verse 26-27) Bezug auf den Propheten Jeremia, der in Kapitel 31 einen "neuen Bund" angekündigt hatte: "Das soll der Bund sein, den ich mit dem Hause Israel schließen will nach dieser Zeit, spricht der HERR: Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben, und sie sollen mein Volk sein und ich will ihr Gott sein" (Jeremia 31,33). Wenn nun Jesus im Abendmahl sagt: "Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut" (1. Korinther 11,25), kann man es so verstehen, dass mit diesen Einsetzungsworten der von Jeremia angekündigte neue Bund gemeint ist, so die Autoren von "Christen und Juden III". "Das Neue liegt … in dem durch Jesu Tod ermöglichten und im Mahl zugeeigneten neuen Gottesverhältnis durch die Sündenvergebung, genau wie es Jer 31 verheißen hat." In dem Wort "neu" klinge das "endzeitliche Handeln Gottes" an. Der neue Bund trage damit eine "eschatologische Signatur" und sei eine "ins Herz geschriebene Tora, die man in der kommenden Welt … nicht wieder vergisst."

Wem gilt nun dieser neue Bund? Jesus sagt bei der Einsetzung des Abendmahls, das Blut werde "für Viele" vergossen (Markus 14,24 und Matthäus 26,28). Es gehe um eine "durch Jesus in seinem Tod realisierte neue Gestalt des einen Bundes … mit Wirkungen, die weit über Israel hinaus reichen", heißt es in "Christen und Juden III". Aber daraus, dass der neue Bund auch Heidenchristenaus anderen Völkern einschließt, kann man nicht den Umkehrschluss ziehen, dass Juden ihren Bund mit Gott verlieren würden.

Dies alles fasst nun die Kundgebung "...der Treue hält ewiglich" recht knapp zusammen: "Die Erwählung der Kirche ist nicht an die Stelle der Erwählung des Volkes Israel getreten. Gott steht in Treue zu seinem Volk. Wenn wir uns als Christen an den Neuen Bund halten, den Gott in Jesus Christus geschlossen hat, halten wir zugleich fest, dass der Bund Gottes mit seinem Volk Israel uneingeschränkt weiter gilt." Christen seien also "nicht berufen, Israel den Weg zu Gott und seinem Heil zu weisen". Der Widerspruch zwischen der bleibenden Erwählung Israels und der christlichen Überzeugung, Christus allein sei der Weg zu Gott, bleibt. Die Synode kann ihn auch auf ihrer Tagung 2016 nicht auflösen. "Die Tatsache, dass Juden dieses Bekenntnis nicht teilen, stellen wir Gott anheim", heißt es in der Kundgebung.

Dieser Artikel wurde am 7. November 2016 veröffentlicht und am 9. November um die Schlussdebatte und Abstimmung ergänzt.