Umgang mit Sexualität keine Frage des Heils

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Umgang mit Sexualität keine Frage des Heils
Grundzüge für zeitgemäße evangelische Sexualethik entwickelt
In der evangelischen Kirche sollten Fragen der Sexualität nach Ansicht von Theologen und Sozialwissenschaftlern nicht zur "Heilsfrage" überhöht, sondern "sensibel und unverkrampft" erörtert werden.

Als Grunddimension menschlichen Lebens sei Sexualität auch eine Herausforderung für das kirchliche Leben und erfordere eine ethische Neubewertung, empfehlen die Verfasser eines dem epd vorliegenden Textes zur Sexualethik, zu denen neben anderen der evangelische Sozialethiker Peter Dabrock, die Juristin Renate Augstein und die Soziologin Cornelia Helfferich gehören.

Die aktuelle Publikation von Dabrock und anderen werde als ein wichtiger Beitrag zu der Debatte zur Sexualethik in Kirche und Gesellschaft begrüßt, sagte eine EKD-Sprecherin am Mittwoch. Einige der Autoren gehörten auch einer Kommission an, die im Auftrag des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) seit 2010 ein Grundsatzpapier zu evangelischen Sexualethik vorbereitete, nachdem die evangelische Kirche zuletzt 1971 eine "Denkschrift zu Fragen der Sexualethik" vorgelegt hatte.

Im vergangenen Jahr hatte die EKD die Arbeit an dem neuen Text aber zunächst gestoppt, was Peter Dabrock als Vorsitzender der Kommission bedauert hatte. Zur Begründung hieß es, die kontroverse Debatte über das EKD-Familienpapier habe gezeigt, dass es in Grundsatzfragen einen weiteren Klärungsbedarf gebe. Es sei deutlich geworden, dass bis zum Ende der Ratsperiode im November 2015 die Befassung des Rates mit einem Textentwurf zur Sexualethik nicht so intensiv möglich sei, wie das Thema dies erfordere, erläuterte die EKD-Sprecherin. Eine abschließende Behandlung des Kommissionsentwurfs sei in der laufenden Ratsperiode nicht mehr möglich. Der neue Rat der EKD, der im November gewählt wird, könne entscheiden, wie damit zu verfahren sei.

Sexualität als "schöne Bereicherung"

Fragen rund um Sexualität erwiesen sich mitunter als die "schwersten Konfliktherde" im Protestantismus und anderen christlichen Konfessionen, schreiben die Wissenschaftler. Wo Formen von Sexualität Kriterien wie Freiwilligkeit, Respekt vor der Andersheit, Schutz der Beteiligten, Chancengleichheit und Bereitschaft zur Treue verletzten, "muss die evangelische Kirche sich für die Benachteiligten und Gefährdeten einsetzen", heißt es in der Schrift "Unverschämt schön. Sexualethik: evangelisch und lebensnah", die im August als Buch erscheint. Allerdings dürfe die evangelische Sichtweise nicht auf Konflikte und Sündhaftigkeit verkürzt werden. Vielmehr sollte die Lebensdienlichkeit von Sexualität als "schöne Bereicherung" in Seelsorge, religiöser Erziehung, in Gottesdienst und Predigt thematisiert werden.

In der kirchlichen Verkündigung sollte Sexualität nicht nur problematisiert werden, sondern es könnten häufiger "leib- und sexualfreundliche" Bibelstellen angeführt werden, empfehlen die Wissenschaftler. Wegen des verbreiteten Schamgefühls seien dabei allerdings Fingerspitzengefühl und gründliche Vorbereitung gefragt. Als positive Beispiele werden zudem besondere Gottesdienste zum Valentinstag oder Gemeindeveranstaltungen wie Candle-Light-Dinner oder Tangoabende der Sinnlichkeit genannt. Sexualität sei grundsätzlich etwas Wunderbares und sehr Kostbares, sollte die kirchliche Botschaft lauten, heißt es in dem Buch.



Vor dem Hintergrund von sexuellen Missbrauchsfällen auch in kirchlichen Einrichtungen müssten Schutzbereiche sowie sichere Räume für Gespräche eingerichtet werden, lautet eine Empfehlung. Zudem sollte die evangelische Kirche ihre sexualtherapeutischen Beratungsangebote ausbauen. Fälle von sexualisierter Gewalt würden durch eine Tabuisierung von Sexualität gefördert.

Die Wissenschaftler gehen auch auf die kirchlichen Debatten zum Umgang mit Menschen anderer als der heterosexuellen Orientierung ein. Als Beispiele verweisen sie auf die Debatten über Segnungen für gleichgeschlechtliche Paare oder das Zusammenleben vom homosexuellen Partnern im Pfarrhaus: "Nach einer Phase, in der Segnungen gleichgeschlechtlicher Paare eher verschämt im kirchlichen Hinterkämmerlein erfolgen mussten und nur stillschweigend geduldet wurden, sind immer mehr evangelische Kirchen in die Offensive gegangen: Sie geben gleichgeschlechtlichen Paaren ganz offiziell die Möglichkeit, ihre Beziehung unter den Segen Gottes stellen zu lassen." Trotz hitziger Debatten sei in der evangelischen Kirche zunehmend Reflexionsbereitschaft und Sensibilität zu verzeichnen, folgern die Autoren.