Von der Schuld, nicht eins in Christus zu sein

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Von der Schuld, nicht eins in Christus zu sein
Schwul, lesbisch, trans- oder intersexuell – auf dem Kirchentag in Stuttgart war viel von diskriminierten Minderheiten die Rede. Zum Schluss ging es sogar um ein mögliches Schulbekenntnis der evangelischen Kirche. Die Schuld benannten der Berliner Kinderarzt Jörg Woweries, der über intersexuelle Kinder forscht, und der Erlanger Sozialethiker Peter Dabrock, der Homophobie und Kindesmissbrauch in der Kirche anprangert.

Für die evangelische Kirche sei es "eine Selbstverständlichkeit, sich für Schutz und Achtung der der Menschenwürde und die Einhaltung der Menschenrechte einzusetzen", sagte Peter Dabrock im Zentrum Gender des Kirchentages in Stuttgart. Der Theologe ist stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Ethikrates und beschäftigt sich mit sexualethischen Fragen. Er zitierte die Stuttgarter Schulderklärung, mit der der Rat der evangelischen Kirche in Deutschland nach der Nazi-Diktatur bekannt hatten: "Wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben." Heute sei von der Kirche ein Wort zu Kindesmissbrauch und sexueller Gewalt, aber auch zur Abneigung gegenüber "Homo- und anderen Sexualitäten" dringend gefordert, sagte Dabrock.

Er berief sich auf die Bibel und zitierte aus dem Galaterbrief (3, 28) : "Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus." Das sei eine Vision von christlicher Gemeinde. "Niemand darf sich auf den christlichen Glauben berufen, wenn er Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung verurteilt", sagte Dabrock. "Wenn diesem menschenwürde- und glaubenswidrigen Treiben, andere wegen ihrer sexuellen Orientierung zu diskriminieren, nicht entschieden Einhalt geboten wird, laden wir heute und morgen Schuld auf uns." Die evangelische Kirche solle "die subtil-wohlfeilen homophoben Anfeindungen in der eigenen Kirche aufdecken und sagen, dass sie mit dem 'wir sind eins in Christus' nicht verträglich sind", sagte Dabrock mit Blick auf homophobe Tendenzen in evangelikalen Gruppen. Es gebe eine "Unterlassensschuld, nicht eins in Christus sein zu wollen".

Der grüne Bundestagsabgeordnete Volker Beck, Religionspolitischer Sprecher seiner Fraktion, wünschte sich von der Kirche "vor allem weniger Rücksichtnahme auf die Menschenfeinde". Die EKD habe mit ihrem Familienpapier 2013 "einen Meilenstein vorgelegt, und den soll sie aber bitte jetzt auch vertreten". In dem Papier wurden gleichgeschlechtliche Partnerschaften anerkannt. Vom Ratsvorsitzenden Heinrich Bedford-Strohm forderte Beck eine klare Aussage zur Unterstützung sexueller Minderheiten und zitierte eine Aussage aus dem biblischen Buch der Offenbarung (3,16): "Weil du aber lau bist und weder warm noch kalt, werde ich dich ausspeien aus meinem Munde." Beck wünscht sich ebenfalls ein Schuldbekenntnis, bezogen auf die Nazizeit: "Ich finde, die Kirche sollte sich zu ihrem Anteil an der Verfolgung von Homosexuellen bekennen." Denn die Verfolgung habe sich auf das Sittengesetz bezogen, "also die Lehre der Kirchen, sie haben also die Grundlage geliefert."  

Dazu sagte die Kölner Juristin und Politikerin Marlis Bredehorst: "Ich wünsche mir nicht nur ein Schuldanerkenntnis, sondern auch Taten." Auf politischer Ebene gebe es Aktionspläne gegen Homo- und Transphobie. Von der Kirche als Institution wünsche sie sich, dass sie auch inen solchen Plan aufstellt. Homosexuelle Menschen müssten in der Kirche "als völlig gleichberechtigte Menschen gesehen werden", das sei sogar "unser Alleinstellungsmerkmal gegenüber der katholischen Kirche", sagte Bredehorst, die in eingetragener Lebenspartnerschaft lebt und in die evangelische Kirche wiedereingetreten ist.

Auf die Schuld von Eltern und Ärzten gegenüber intersexuellen Kindern wies der Berliner Kinder- und Jugendarzt Jörg Woweries hin. Er beschrieb verschiedene Chromosomenvarianten und die dadurch unterschiedlich entwickelten Geschlechtsorgane. Manche Kinder kommen mit Merkmalen beider Geschlechter auf die Welt. "Diese Menschen haben ein Stigma und werden unter 'Krankheit' gelistet", sagte Woweries, der weder von 'Krankheit' noch von 'Störungen' reden mag. Operationen zur eindeutigen Anpassung an ein Geschlecht seien nicht notwendig: "Mit diesen Operationen werden die Persönlichkeitsrechte der Säuglinge vergewaltigt", sagte Woweries.

Intersexuelle Menschen seien nicht krank, würden aber oft psychisch geschädigt, nicht zuletzt durch Tabuisierung. "Die meisten Kinder spüren es, dass mit ihnen etwas nicht stimmt", sagte er und beklagte mangelnde Aufklärung seitens der Eltern. "Wie soll ein intersexuelles Kind jemals wieder jemandem vertrauen, wenn nicht einmal die Eltern es geschützt haben?" Woweries forderte ein Verbot von Operationen an den Genitalien von Kindern und plädierte dafür, ihre Körper einfach so zu belassen und zu akzeptieren, wie sie sind: "Natur liebt Variation, Schöpfung ist Vielfalt."