Filmkritik: "Still Alice"

Foto: epd/Jojo Whilden/Polyband
Filmkritik: "Still Alice"
Die, die ich einmal war: Alice Howland ist eine renommierte Sprachwissenschaftlerin. Als sie anfängt, Worte zu vergessen, will es zunächst keiner glauben: Alzheimer. Für ihre bewegende Vorstellung in "Still Alice" hat Julianne Moore gerade den Oscar bekommen.
04.03.2015
epd
Anke Sterneborg

Wenn Dustin Hoffman in "Rainman" einen Autisten spielt, Daniel Day-Lewis in "Mein linker Fuß" einen an zerebraler Kinderlähmung Leidenden oder Javier Bardem in "Das Meer in mir" einen Querschnittsgelähmten, dann gibt es für diese Anstrengungen zumindest Oscar-Nominierungen, meist auch Preise. Weshalb den Schauspielern leicht ein wenig Berechnung unterstellt wird. Auch in diesem Jahr waren unter den Nominierungen für die besten Darsteller zwei Rollen, die in diese Kategorie fallen: Eddie Redmaynes Stephen Hawking in "Die Entdeckung der Unendlichkeit" und Julianne Moore in "Still Alice - Mein Leben ohne Gestern". "Still Alice" kommt am Donnerstag in die Kinos.

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Beide Schauspieler versetzen sich so demütig in die besondere Erfahrungswelt ihrer Figuren, dass sie die Anstrengung, die das kostet, völlig vergessen lassen. Näher ist man der Erfahrung dieser Krankheitsbilder als Gesunder noch nie zuvorgekommen, als es Redmayne und Moore ermöglichen. Wie gut, dass sie als Mann und Frau nicht in Konkurrenz um den Preis standen und beide einen Oscar mit nach Hause nehmen konnten.

Während Eddie Redmayne von Hawkings kristallklarem Geist in einem zunehmend versagenden Körper erzählt, geht es für Julianne Moores Alice um die Zersetzung des Geistes in einem voll funktionierenden Körper. Es sind kleine Anzeichen, hier ein Wort, um das sie im Vortrag ringt, dort ein Termin, den sie vergisst oder eine Formulierung, die ihr entfallen ist. Als sie ihrem Mann (Alec Baldwin) nach mehreren Besuchen beim Neurologen eröffnet, dass sie unter einer früh einsetzenden Form von Alzheimer leidet, will er es zunächst gar nicht glauben. Alice ist eine Frau, die mit gerade mal 50 mitten im Leben steht, auf der Höhe ihrer Fähigkeiten als Professorin, ausgerechnet für Linguistik, für Sprachwissenschaft. Sie soll so früh schon abbauen?

Wahrhaftigkeit von Krankheitserfahrung

Lisa Genova, die Autorin der Romanvorlage, ist Neurowissenschaftlerin und hat die fiktive Geschichte aus ihrem Fachwissen destilliert. Den Regisseuren Wash Westmoreland und Richard Glatzer geht es in ihrer Verfilmung des Bestsellers vor allem um die Wahrhaftigkeit der Krankheitserfahrung - sowohl für die Betroffene wie für ihre Angehörigen, die mit ansehen müssen, wie Alice langsam verschwindet. Die beiden sind in besonderer Weise für die Tragödie des vorzeitigen Verlusts von Lebensenergien sensibilisiert, weil Glatzer an ALS erkrankt ist und bei Drehbeginn schon massiv eingeschränkt war. Auf dezente Weise vermitteln sie den zunehmenden Kontrollverlust und die schubweise hereinbrechende Orientierungslosigkeit durch Unschärfen und eine an den Rändern ausfransende Wahrnehmung.

Vor allem aber ist es das berührende, subtile Spiel von Julianne Moore, das diesen Film zum Ereignis macht. Man ist so nah dran, dass es wohl keinen Zuschauer geben wird, den nicht früher oder später die Panik befällt beim Gedanken daran, wie es wäre, wenn es ihn selbst oder seine Liebsten träfe.

USA/Frankreich 2014. Regie und Buch: Richard Glatzer, Wash Westmoreland. Mit: Julianne Moore, Kristen Stewart, Alec Baldwin, Kate Bosworth. Länge: 101 Minuten. FSK: ohne Altersbeschränkung