Klimaproteste, die wachrütteln?

Foto: Getty Images/iStockphoto/NikolayPeev
Zu sehen ist Manhatten im Nebel, mit einer Möwe im Vordergrund.
Klimaproteste, die wachrütteln?
Für den Sonntag haben sich Klimaaktivisten in New York einiges vorgenommen. Die "größten Klimaproteste der Geschichte" sollen die Grundlage bilden für eine "historische Bewegug zur Rettung unseres Planeten". Ob sich die Umweltminister und Staatschefs auf der zwei Tage später stattfindenden UN-Klimakonferenz davon beeindrucken lassen?

Seit Monaten wird in einer dreistöckigen Lagerhalle im New Yorker Stadtteil Brooklyn gesägt, gehämmert und gemalt. Als Anfang des Jahres die Idee aufkam, im Sommer laute und bunte Klimaproteste auf die Beine zu stellen, machten sich etablierte Künstler, Kunststudenten und Handwerker an die Arbeit. Das "visuelle Spektakel", wie die Projektkoordinatorin Rachel Schragis das Ergebnis nennt, wird am Sonntag auf den Straßen von Midtown Manhattan zu bestaunen sein. Es handelt sich um weithin sichtbare Skulpturen und bewegliche Gestelle aus Pappmaché, Draht, Schnur und Holz - zum Beispiel ein gigantischer rot-weißer Rettungsring, ein lebensgroßer Baum, in dem Äxte stecken oder eine Arche Noah.

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Ihre Teilnahme am "People´s Climate March" haben neben den kreativen Bastlern aus Brooklyn 1.500 Initiativen und Organisationen angekündigt. Erwartet werden gut 500 Busse, eine "Klima-Eisenbahn" voller Aktivisten aus dem westlichen und mittleren Teil des Landes ist bereits eingetroffen. Über die Zahl der Teilnehmer möchte sich keiner der Organisatoren genau äußern. Aber "über den Daumen gepeilt" wären über 100.000 Menschen als Erfolg zu werten, meint eine freiwillige Demokoordinatorin. Denn als quantitativer Maßtab gilt dafür die letzte grosse Klimademonstration in Kopenhagen im Winter 2009, an der sich so viele Menschen beteiligten.

War die beachtliche Mobilisierung in Kopenhagen auf das linke Spektrum zurückzuführen, so überlegten in New York Anfang dieses Jahres Umweltschutzorganisationen der politischen Mitte, wie die Bewegung zu verbreitern sei. Neben dem altehrwürdigen Sierra Club, der jungen internationalen Organisation 350.org um den Autor Bill McKibben und mehreren Mainstream-Umweltinitiativen beteiligten sich erstmals auch New Yorker Gewerkschafter an der Demonstrationsvorbereitung. Das Ergebnis lässt aufhorchen. Denn bisher hatten die Gewerkschaften das Thema Umwelt und globale Erderwärmung ausgespart. Offensichtlich erfolgt aber ein Bewusstseinswandel. Denn die größte New Yorker Gewerkschaft, die International Brotherhood of Electrical Workers, ruft erstmals zum Demonstrieren am Sonntag auf. Dazu kommen große nationale Branchengewerkschaften SEIU der Dienstleistungsangestellten sowie die Lehrergewerkschaft National Teachers Association.

Gewerkschaftsverband weiterhin bedeckt

Der nationale Gewerkschaftsdachverband AFL-CIO hält sich allerdings weiter bedeckt. Der Grund liegt wie schon seit Jahren am Gegendruck, den Einzelgewerkschaften aus der Bau- und Minenindustrie und andere aus der herkömmlichen fossilen Energiegewinnung aufbauen. Sie sehen ihre Hauptaufgabe in der Erhaltung der Arbeitsplätzen. Dagegen sehen sie ein regulierende Umweltschutzpolitik als Bedrohung an – teilweise zurecht, jedenfalls in der Vergangenheit. Denn wer vor die Wahl "umweltzerstörender Arbeitsplatz oder kein Arbeitsplatz" gestellt ist, wird ersteres als kleineres Übel ansehen. Inzwischen haben sozial orientierte Umweltschützer und umweltbewusste Gewerkschafter immerhin das Konzept "Green Jobs" entwickelt. Dass der Klimawandel in den Bereichen Alternativenergien, grünes Bauen und im öffentlichen Nah- und Fernverkehr in grossem Ausmass neue Arbeitsplätze schaffen kann, hat sich jedoch noch nicht überall hin durchgesprochen.

Neben der Teilnahme von Gewerkschaftern weist der "People´s Climate March" auch formal und organisatorisch im Vergleich zu Großdemonstrationen Neuerungen auf. So wird dieses Mal bewusst auf Redebeiträge von prominenten Hollywoodschauspielern oder Politikern verzichtet. Stattdessen sollen "die Menschen" und "wir alle" im Vordergrund stehen. Symbolisiert wird dieser Ansatz durch die Spitze der Demonstration, die sich über mehrere Kilometer quer durch die Hochhausschluchten von Midtown Manhattan hinziehen wird. Denn sie wird medienwirksam von direkt Betroffenen und Opfern des Klimawandels angeführt – von Vertretern indigener Völker und Opfern des Orkans "Sandy", der vor zwei Jahren über New York wütete.

Akustischer Höhepunkt um 13 Uhr

Dahinter werden sich nach Themenbereichen gegliederte Demonstrationsgruppen aufstellen. Sie heißen der Reihenfolge nach "We can build the future" für Gewerkschaften und Familien mit Kindern und "We have solutions". Dort werden Initiativen und Firmen ihre "grünen" Lösungen vorstellen, von erneuerbaren Energien bis zu Vorschlägen im Wasser- und Nahrungsmittelbereich. Dahinter wird das linke Spektrum unter dem Motto "We know who is responsible" auf die Hauptverursacher und Profiteure des Klimawandels aufmerksam machen. Den Demonstrationsschluss sollen Wissenschaftler und religiöse Vereinigungen bilden. Als zeitlicher und akustischer Höhepunkt ist 13 Uhr vorgesehen, wenn "die Alarmglocke losgeht", wie der Demonstrationsorganisator Paul Getsos sagt. Dann werden gleichzeitig zwei Dutzend Blasorchester Lärm machen. Jeder Demonstationsteilnehmer ist außerdem aufgefordert, mithilfe von Handyklängen, mitgebrachten Rasseln und schlichtweg lautem Schreien den "Diebstahlalarm" auszulösen.

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Ob "die Diebe" – umweltverschmutzende Konzerne, tatenlose Politiker und fanatische Wachstumsideologen – davon jedoch erschrecken, ist zu bezweifeln. Denn wenn sich die Staats- und Regierungsschefs zwei Tage nach dem "People´s Climate March" an der UN mit dem Thema beschäftigen, sind erfahrungsgemäss nicht mehr als Lippenbekennisse zu erwarten. Der letzte Gipfel in Kopenhagen vor fünf Jahren war sogar gescheitert. Vielleicht wirkt die Demonstration ja aber doch bei dem einen oder anderen Diplomaten als Weckruf.