Späte Pfarrer: die zweite Karriere in der Kirche

Foto: epd-bild/Carola Fritzsche
Späte Pfarrer: die zweite Karriere in der Kirche
Noch mal ganz was anderes machen: Viele Menschen entdecken erst spät ihre Berufung. Einige wollen nach einer ersten Karriere evangelische Pfarrer werden. Das geht.

Hartmut Eglinsky hatte es schon ganz nach oben geschafft. Nach dem BWL-Studium fing er bei einer Bank an, erst in Frankfurt, dann in London. Sein Traumberuf, Millionensummen, zu Weihnachten Pakete mit teurem Rotwein und doch die Frage: "Das soll's schon gewesen sein?" Jetzt sitzt er im Speisesaal des Herborner Schlosses und schaut hinunter auf die beschauliche Fachwerkstadt. Eglinsky macht noch mal eine Ausbildung - zum Pfarrer. "Ich predige gerne, ich bin gerne auf dem Friedhof. Ich will Pfarrer werden", sagt er.

Früher kamen evangelische Theologen meist selbst aus einem Pfarrhaus. Das ist schon lange nicht mehr so, aber es gibt inzwischen noch einen anderen Trend: Leute, die sich nach einer ersten Karriere oder nach der Familienphase für den Pfarrberuf entscheiden. "Es gibt zwei Zugänge", erklärt Stefan Claaß, am Theologischen Seminar in Herborn zuständig für die Ausbildung des Pfarrernachwuchses: das klassische Theologie-Studium an der Uni, was auch nach einer Berufsausbildung möglich ist. Oder ein berufsbegleitender Master-Studiengang Evangelische Theologie in Marburg.

Das hat Petra Dobrzinski gemacht. Die 48-Jährige arbeitete viele Jahre für die Kirche als Gemeindepädagogin. "Zu Beginn faszinierte mich die Pädagogik", erzählt sie. "Aber irgendwann habe ich gemerkt, das passt nicht mehr so ganz, nur die Praxis." 2010 begann sie den Masterstudiengang in Marburg, im vergangenen September startete die praktische Ausbildung in einer Gemeinde mit Präsenzphasen in Herborn. Das führt zu einer kuriosen Situation: "Mein Lehrpfarrer ist jünger als ich, mit einer kürzeren Zeit im kirchlichen Dienst."

"Genau die bunte Mischung, die wir wollten"

Alrun Kopelke, die ebenfalls 2010 in Marburg das Masterstudium anfing, ist seit 1. September 2013 im Pfarrvikariat in Frankfurt-Nied. Der früheren Nachrichtenmoderatorin des Hessenfernsehens bereitet es nach eigener Aussage besonders viel Freude, Gottesdienste zu gestalten und Menschen "in Kontakt mit Gott zu bringen". Die Theologenausbildung in Marburg krempelte auch ihr Privatleben komplett um, denn die 44-Jährige lernte im Studium ihren Mann fürs Leben kennen.

(v.l.) Die Vikarinnen und Vikare Alrun Kopelke, Hartmut Eglinski, Petra Dobrzinski, Michael Herrmann und Joachim Sylla mit Prof. Stefan Claaß (3.v.r.) im Hof des Herborner Schlosses

2007 startete das kostenpflichtige Angebot an der Marburger Uni. Alle drei Jahre beginnt ein Kurs mit 25 Leuten. "Wir haben genau die bunte Mischung, die wir wollten", sagt Annegret Schnath vom Fachbereich Evangelische Theologie: Mediziner, Juristen, Journalisten, Lehrer, Ökotrophologen, zwischen dreißig und siebzig Jahre alt. Einige bessern für die eigene Reputation ihr Wissen auf. Etwa ein Fünftel will tatsächlich Pfarrer werden. Viele Landeskirchen hatten bisher Vorbehalte, die "späten Pfarrer" einzustellen. Aber vielen "bricht der Pfarrernachwuchs weg", wie Schnath erklärt.

Joachim Sylla merkte erst während des Masterstudiengangs in Marburg, dass das Pfarramt für ihn das Richtige ist. Auch er hat bereits eine steile Karriere hinter sich: Kaufmann im Einzelhandel, mit 19 schon stellvertretender Marktleiter. Dann BWL-Studium, sein Professor vermittelte Kontakte zu einer Diakoniestation, Diplom-Arbeit, wirtschaftliche Beratung von Pflegediensten, schließlich persönlicher Referent des hessischen Diakoniechefs. Seine Erfahrungen werden ihm in seiner zukünftigen Gemeinde nützen, glaubt er: Faktisch sei es so, dass die Kirche aufs Geld schauen müsse. Da sei es nicht schlecht, "wenn man ein paar Werkzeuge hat".

"Man muss das machen, hinter dem man voll steht"

Stefan Claaß ist sich sicher, dass die Kirche von den "späten Pfarrern" profitiert. Er schätzt "Lebenserfahrung und Fachkompetenz". Früher hatten Pfarrer gegenüber ihren Gemeindemitgliedern einen Bildungsvorsprung, heute "müssen sie einen Dialog führen".

Die beiden hessischen Landeskirchen übernehmen deshalb Leute, die den Studiengang in Marburg absolviert haben. Möglicherweise setzt sich das Modell durch: Auch die Uni Heidelberg bietet seit vorigem Jahr ein ähnliches, berufsbegleitendes Theologie-Studium an.

Michael Herrmann ist gelernter Einzelhandelskaufmann, mit 23 Jahren holte er das Abi nach, entdeckte sein Interesse für Literatur, Philosophie, Gott und die Welt. Er studierte Theologie, sieben oder acht Jahre lang, nebenbei half er Langzeitarbeitslosen. Jetzt, mit 35 Jahren, sagt er: "Ich bin früher als andere an den Punkt gelangt: Man muss das machen, hinter dem man voll steht."