Was sagt man dazu? Kinder in Regenbogenfamilien!

Was sagt man dazu? Kinder in Regenbogenfamilien!
Vor zehn Jahren wurden für das Buch „Und was sagen die Kinder dazu?“ Töchter und Söhne homosexueller Eltern befragt. Jetzt haben die beiden Autorinnen nachgehakt. Was hat sich im Leben der Befragten getan? Wie sehen sie ihr Leben in einer Regenbogenfamilie heute? Ein wichtiges Buch zu einer noch nicht ganz normalen Sache.

Als 2005 "Und was sagen die Kinder dazu?" erschien, war es das erste Buch im deutschsprachigen Raum, in dem die Kinder schwuler Väter, lesbischer Mütter ihre Sicht der Dinge schilderten: von ihrem Alltag und wie sie sich im Freundeskreis, an der Schule als Teil "besonderer" Familien zurechtfinden. 2015 erscheint die Sammlung von Porträts nun als Neuausgabe mit dem Zusatz "Zehn Jahre später!". Die Autorinnen Uli Streib-Brzic und Stephanie Gerlach haben die Befragten nochmals besucht und lassen sie erneut zu Wort kommen. Die meisten der Kinder sind nun erwachsen, haben das Elternhaus verlassen oder sind gerade dabei, auf eigenen Füßen zu stehen. Da zu den aktuellen Aussagen auch der Text der ersten Auflage abgedruckt ist, lassen sich Entwicklungen gut erkennen. Hinzugefügt wurden noch acht neue Porträts von Kindern bzw. Jugendlichen, die heute zwischen sechs und 16 Jahren sind und derzeit in Regenbogenfamilien aufwachsen. Erstmals wird, in zwei Berichten, thematisiert, dass ein Elternteil ein Trans-Mann bzw. eine Trans-Frau ist.

Mitautorin Uli Streib-Brzic ist diplomierte Soziologin und arbeitet als Systemische Therapeutin. Sie lebt mit ihrer Frau in Berlin, hat eine erwachsene Tochter und zwei Enkelkinder. Wir kennen uns über den Verlag und haben auch schon gemeinsam Lesungen bestritten. Gefragt nach den Reaktionen auf die Veröffentlichung von "Und was sagen die Kinder dazu?" 2005, betont sie die mehrheitlich positive Resonanz. "Für viele homosexuelle Paare war es eine Erleichterung, über Kinder anderer Familien lesen zu können. Es war auch für viele in der Familienplanung wichtig, denn die meisten Paare reflektieren im Vorfeld sehr genau, was es für ein Kind bedeuten kann, in einer Regenbogenfamilie aufzuwachsen."

"Und was sagen die Kinder dazu? Zehn Jahre später!" gewährt einen ausführlichen Einblick, welche Strategien Kinder und Jugendliche benutzen, um mit der speziellen Situation Regenbogenfamilie zurechtzukommen. Sie taten und tun dies mit einem teils verblüffenden Selbstbewusstsein. Die Mehrheit der Befragten steht zu den Eltern. So sagt die heute 26-jährige Ajin, die mit ihrem Mann Abdel in den USA lebt, dass ihre leibliche Mutter Suhela und Jule für sie ein großes Vorbild sind. "Die Liebe und die Herzensverbundenheit zwischen den beiden zu erleben, sind Dinge, die mich tief geprägt haben. Von ihrer Beziehung habe ich gelernt, was Liebe zwischen zwei Menschen sein kann." Den Kontakt abgebrochen hat Ajin aber zur streng gläubigen Schwiegermutter, die es nicht akzeptieren kann, dass Ajins Mütter lesbisch sind, und die ihr per SMS Bibelsprüche schickt, wie eine gottgefällige Frau zu sein hat.

Von einer ähnlichen Reaktion berichtet auch der 21-jährige Till. Als er Anja, einer Freundin, von seinen vier Eltern - nämlich seinen zwei Müttern, seinem Vater und dessen Frau - erzählt, distanziert sie sich. Sie gehört einer evangelikalen Gemeinde an und schickt ihm deren Positionspapier, in dem von "Verdammnis" zu lesen ist. Das kennt Till auch anders, den auch sein Patenonkel ist in evangelikalen Kreisen aktiv. Er ist schon lange mit Tills Müttern befreundet. Tills Vermutung: Der Patenonkel ist "in seinem Glauben einfach gefestigter und kann deshalb unterschiedliche Werte, Haltungen oder auch Lebensformen eher nebeneinander stehen lassen".

Regenbogenfamilien sind längst kein Tabu-Thema mehr. Von einer Normalisierung möchte Uli Streib-Brzic trotzdem nicht sprechen. "Das wäre zu viel gesagt. Allerdings hat sich in den letzten zehn Jahren durchaus etwas getan. Es ist selbstverständlicher geworden, es gibt rechtliche Verbesserungen, es bilden sich Netzwerke und Initiativen, die beraten und helfen." Noch immer sei es eine wichtige Erfahrung für Regenbogenfamilien, für die Eltern wie die Kinder, "nicht die einzigen zu sein". Aber auch heute gelte noch: "Regenbogenfamilien stehen nach wie unter enormen Beobachtungsdruck. Sie müssten sich nicht selten als bessere Eltern beweisen. Bei Problemen, die in jeder Familie vorkommen, würden die Ursachen oft vorschnell in der sexuellen Orientierung der Eltern gesehen." Darum sei es wichtig, verschiedene Familienformen in Kitas und Schulen zu kommunizieren. "Das Thema ist für Lehrerinnen und Lehrer heutzutage zum Glück oft nicht mehr völlig neu. Sie können besser auf die Situation von Kindern aus Regenbogenfamilien reagieren bzw. können sich schneller Rat holen, weil mehr Informationen und Beratungsangebote verfügbar sind."

Ein Vorwurf an "Und was sagen die Kinder dazu?" lautete, die Situation von Kindern würde schöngeredet. Dabei war das Verhalten der Mitschüler fast immer Thema für die Befragten, wie auch das Missbehagen, sich für die familiäre Situation "erklären" zu müssen. Jedes Kind sucht aber nach eigener Identität, daran hat sich nichts geändert: "Kinder aus Regenbogenfamilien spüren natürlich, dass sie als etwas Besonderes angesehen werden", sagt Uli Streib-Brzic. "Doch sie wollen sich nicht allein über ihre Eltern definiert sehen. ‚Regenbogenkind‘ soll nicht ihr einziges Identitätsmerkmal sein."

Unter vielen ermutigenden Beispielen findet sich in der jetzigen Neuausgabe allerdings auch ein sehr drastisches Beispiel von radikaler Ablehnung. Jane, mittlerweile 23 Jahre alt, schloss sich rechtsradikalen Kreisen an. Zwar hat sie sich mittlerweile davon wieder distanziert, aber ihre Meinung ist klar. Sie habe nichts gegen Homosexuelle, aber für ein Kind sei das nicht der richtige Ort. Sie will, sagt sie im Interview mit den Autorinnen, "nicht noch mal die Sonne rosa malen! Es war einfach nicht alles easy und toll". Ihre vier Jahre ältere Schwester Ariane hält dagegen: "Nur weil es bei uns Schwierigkeiten gab, kann es doch woanders problemlos klappen."

Die "Nachbefragungen" erweisen sich als große Stärke von "Und was sagen die Kinder dazu? Zehn Jahre später!" Sie "erden" das große Thema mit seinen vielen Facetten und Einzelschicksalen. Aus Momentaufnahmen werden Entwicklungen. Da stehen Glücksmomente über gelungenes Leben mit den Eltern neben persönlichen Enttäuschungen. Auch manche Verunsicherung ist geblieben. Selten aber überwiegen Resignation oder Angst, sondern Zuversicht und Selbstbewusstsein. Statt pauschaler Unterstellungen, statt dogmatischer Forderungen, wie es zu sein habe, sollte in der Diskussion der Blick auf das tatsächliche Leben und Empfinden gerichtet werden. Das Buch von Uli Streib-Brzic und Stephanie Gerlach gewährt ihn auf vielfältige und unaufgeregte Weise. Viele der befragten Kinder und Jugendlichen betonen, wie wichtig es für sie noch heute ist, von ihren Eltern Offenheit und Toleranz als Werte vermittelt bekommen zu haben. Dass es dabei nicht immer rund läuft, ist keine Erkenntnis von Regenbogenfamilien allein. Das gehört einfach zur Normalität dazu.

Angaben zum Buch: Uli Streib-Brzic / Stephanie Gerlach: Und was sagen die Kinder dazu? Zehn Jahre später! Neue Gespräche mit Töchtern und Söhnen lesbischer, schwuler und trans* Eltern. Mit einem Vorwort von Patrick Lindner. Querverlag, 296 Seiten, 19,90 €.

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