Von Glaubens-Genen und Gedankenviren

Von Glaubens-Genen und Gedankenviren

"Erlöst genug?" lautet die provokante Frage zum Abschluss der Fastenaktion "Sieben Wochen ohne falschen Ehrgeiz". Erlösung hat, jedenfalls aus evangelischer Sicht, viel mit Glauben zu tun. Aber woran liegt es eigentlich, ob wir glauben (können)?

"So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben", schreibt der Apostel Paulus im 3. Kapitel des Römerbriefs. Eine zentrale Aussage für die christliche Rechtfertigungslehre: "Sola fide", wie Luther es nannte - nicht durch frommes Handeln also, sondern nur aufgrund des Glaubens - kann der Mensch vor Gott bestehen und Frieden mit ihm haben. Mit anderen Worten: Wer glaubt, ist schon erlöst (sollte sich jemand an der Gleichsetzung Rechtfertigung = Erlösung stören, gerne die Kommentarfunktion nutzen - ich bin kein Theologe!).

Dass mit "Glauben" dabei mehr und anderes gemeint ist, als bestimmte Dinge oder Dogmen für wahr zu halten, habe ich in meinem letzten Post thematisiert. Wie man nun zu diesem Glauben kommt, warum manche Menschen offenbar unerschütterlich in ihm ruhen, andere ihn suchen und wieder andere nichts davon wissen wollen, ist freilich noch mal eine ganz andere Frage. Eine, die prinzipiell wohl jeden Blogpost zu sprengen vermag. Hier soll es aber gemäß dem Oberthema des Blogs nur um eine bestimmte Facette gehen: Gibt es ein Glaubens-Gen? Liegt es also am biologischen Erbgut - oder etwas allgemeiner: an wissenschaftlich fassbaren Voraussetzungen - ob wir glauben können oder nicht?

Genom-Euphorie und Gedankenviren

Dass es ein solches Gen geben könnte, diese Idee ist wohl der allgemeinen Genom-Euphorie Anfang der Nullerjahre geschuldet, als das menschliche Genom vollständig "entschlüsselt" wurde (genaugenommen wurde es ja nur niedergeschrieben, an der Entschlüsselung beißen sich die Wissenschaftler die Zähne aus). Viele erwarteten damals, dass man nun für jede Eigenschaft individueller Menschen irgendwelche Entsprechungen vorfinden würde. Dieser Optimismus hat sich seither weitgehend gelegt: Man hat immer mehr erkannt, wie unglaublich komplex nicht nur die Gensequenz selbst ist, sondern auch ihre Verwendung im Körper: Welche Abschnitte überhaupt abgelesen werden und damit wirksam werden können, hängt von einer Vielzahl kaum verstandener Faktoren ab, für deren Erforschung sich eine eigene Disziplin entwickelt hat, die Epigenetik.

Speziell für die Idee vom Glaubens-Gen ist zudem relevant, dass 2004, noch vor der großen Ernüchterung, ein Buch mit dem Titel "The God Gene" erschien, verfasst von dem US-Genetiker Dean Hamer. Die deutsche Übersetzung kam 2006 heraus und heißt: "Das Gottes-Gen: Warum uns der Glaube im Blut liegt". Ein marketingtechnisch perfekter Titel: "Gottes-Gen" alliteriert, klingt gut, bleibt hängen und verfängt sofort. Man hat das Konzept schon verstanden (oder meint, es verstanden zu haben), wenn man nur dieses Schlagwort hört oder liest.

Derartige Wortschöpfungen können - ganz unabhängig etwa vom Inhalt des zugehörigen Buchs - ungeheuer wirkmächtig sein. Ich würde sie zugespitzt als Gedankenviren bezeichnen: Sobald wir so ein Wort nur aufnehmen, entfaltet es sich in unserem Kopf zu einer (weitgehend falschen) Idee, der ohne gründliche Auseinandersetzung kaum beizukommen ist. Wer andere Beispiele für solche Gedankenviren sucht, wird bei den Unworten des Jahres schnell fündig.

Ein Gen mit gewissem Einfluss

Der eigentliche Inhalt von "Das Gottes-Gen" ist wohl weit weniger spektakulär (ich habe das Buch selbst nicht gelesen, aber einiges darüber). Hamer hat eine Sequenz namens VMAT2 identifiziert, die Einfluss auf das Dopaminsystem hat. Dopamin ist ein Botenstoff im Gehirn, der daran beteiligt ist, dass uns bestimmte Dinge bedeutsamer als andere erscheinen, dass uns manches mehr motiviert als anderes. Letztlich hängt Dopamin somit sowohl mit Glücksempfindungen wie auch mit religiösen Erfahrungen zusammen - wobei man hinzufügen muss, dass dies eine sehr vereinfachte, schematische Darstellung ist und die genauen Vorgänge im Gehirn auch längst nicht verstanden sind.

Unterm Strich scheint es eine leichte (!) Korrelation zu geben zwischen der Spiritualität bzw. Religiosität eines Menschen und der Frage, ob dieser Mensch das Gen VMAT2 aufweist. Wer das Ganze genauer und kompetenter erklärt haben möchte, dem sei das viertelstündige Video "Gene für Gott?" des Hirnforschers Manfred Spitzer empfohlen, auf das ich dank meinem Bloggerkollegen Michael Blume aufmerksam wurde.

VMAT2 sollte also nicht "das Gottes-Gen" heißen, sondern "das Gen, das einen gewissen, wenn auch geringen Einfluss auf die Intensität unseres religiösen Erlebens zu haben scheint".

Aus (natur-)wissenschaftlicher Sicht ist der Befund letztlich reichlich unspektakulär: Es bedeutet, dass Spiritualität eben einem gewissen genetischen Einfluss unterliegt. Dass auch noch andere Gene als VMAT2 beteiligt sind, davon ist auszugehen; dass die tatsächliche Ausprägung individueller Religiosität letztlich aber von einem komplexes Wechselspiel von Genen, epigenetischen Faktoren und Umwelteinflüssen abhängt, darf als sicher gelten. Genau wie bei Intelligenz, Charakter und sonstigen Fähigkeiten eines Menschen.

Religiosität als Evolutions-Vorteil?

Mancher mag sich freilich daran stoßen, dass es überhaupt einen Zusammenhang zwischen Religiosität und stammesgeschichtlich herausgebildeten Eigenschaften der Spezies homo sapiens geben soll - sei es, weil er jegliche Religion für einen gefährlichen Irrweg hält, oder sei es, weil er eine biologische Grundlage als viel zu niedrig und profan empfindet, um mit einem so hohen und geistigen Gut wie dem Glauben zu tun zu haben. Dem ersten würde ich entgegenhalten, dass die Religiosität des Menschen ein empirischer Fakt ist, also evolutionäre Vorteile gebracht haben muss, ergo nicht nur schlecht sein kann.

Dem zweiten Bedenken liegt ein völlig unrealistischer Dualismus zugrunde, als seien Geist und Körper weitgehend getrennte Wesen in unverbundenen Welten. Schon der Bibel gilt der Mensch aber als Einheit, als ein Wesen, das gleichermaßen Leib und Seele umfasst - in Übereinstimmung mit dem heutigen Kenntnisstand, demzufolge eins ohne das andere undenkbar ist (siehe dazu meinen früheren Post "Die Sache mit der Seele"). Und selbst wenn der Mensch genetisch geradezu dazu programmiert wäre, einen Gottesglauben zu entwickeln, würde dies ja nichts darüber aussagen, ob es Gott gibt.

Dass komplexe Faktoren dabei eine Rolle spielen, ob der einzelne Mensch glauben und Erlösung finden kann, dass dies durchaus auch von profanen Dingen und von Einflüssen jenseits seines persönlichen Verantwortungsbereichs mit beeinflusst wird, dieser Gedanke ist übrigens der Bibel nicht fremd. So weist ja etwa Jesus deutlich darauf hin, dass materieller Reichtum ein schwerwiegendes Hindernis sein kann ("Eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr …"). Und im Alten Testament ist wiederholt die Rede davon, dass Gott Missetaten bis in die dritte oder vierte Generation ahnden will, denen die ihn lieben aber bis ins tausendste Glied Barmherzigkeit und Segen zusagt.

Mehr, als der Verstand fassen kann

Aber zurück zur Ausgangsfrage: Liegt es nun an empirisch fassbaren Voraussetzungen, wenn manche Menschen glauben, andere es dagegen nicht können oder wollen? Dass es verschiedenste Faktoren gibt, die das mit beeinflussen, ist wohl unbestreitbar. Dass sich aus Genen, Umwelteinflüssen oder beidem aber ein festgelegtes "Glaubens-Schicksal" gibt, dem der einzelne nicht entrinnen kann, dafür gibt es keinerlei Beleg. Letztlich bleibt es keinem erspart, sich auf seine persönliche Sinnsuche zu begeben. Und ob er dabei fündig wird, das liegt ohnehin jenseits rationaler Kausalitäten. So tritt ja nach evangelischer Grundüberzeugung bei der Frage nach Rechtfertigung und Erlösung neben das "sola fide" des Glaubens bei allem logischen Widerspruch das "sola gratia": allein an Gottes Gnade liegt es.

Erlösung ist also nichts, womit der Verstand abschließend fertig werden könnte - aber wohl gerade darum kraftvoll genug, um Leben zu verändern.

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