"Aus seiner Haut kommt man nicht raus"

"Aus seiner Haut kommt man nicht raus"
Zwei Klischees mit wahrem Kern: Journalisten hängen nur mit Journalisten rum – und stammen alle aus der Mittelschicht. Beeinflusst das ihre Berichterstattung? Kommunikationswissenschaftler Armin Scholl glaubt, dass vor allem der Umgang mit Themen einheitlicher wird – und kritischer Journalismus immer unbeliebter.
20.01.2010
Von Daniel Drepper

evangelisch.de: Herr Scholl, was sind Ihre Eltern von Beruf?

Armin Scholl: Meine Eltern sind Landwirt und Winzer. Und beide haben kein Abitur.

evangelisch.de: 47 Jahre alt, männlich, studiert: Sie wären der typische Journalist gewesen, kämen Ihre Eltern nicht aus der Arbeiterschicht. Gibt es Erklärungen dafür, warum so wenige Journalisten aus dem Arbeitermilieu stammen?

Scholl: Das hat wahrscheinlich etwas damit zu tun, dass diese Schichten bildungsnäher sind. Die meisten kommen in der Tat aus Beamten- und Angestelltenverhältnissen.

evangelisch.de: Inwieweit beeinflusst das die Berichterstattung der Journalisten?

Scholl: Wenn Sie im normalen Nachrichtenbetrieb arbeiten, dürfte der Einfluss der eigenen Bildung und des Herkunftsmilieus geringer sein, als wenn Journalisten nicht tagesaktuell arbeiten. Etwa in der Hintergrund-Berichterstattung. Da wo die Freiheiten im Journalismus groß sind, da wo selbst Themen gestaltet und ausgewählt werden, dort können Herkunft und eigene Ausbildung eine Rolle spielen.

Journalisten für den Mainstream

evangelisch.de: Journalisten hängen nur mit Journalisten rum. Stimmt das?

Scholl: Ganz klar. Wenn man Journalisten fragt, was ihre drei wichtigsten Freunde sind, dann ist der Anteil an Journalisten sehr groß. Man ist nicht nur beruflich ständig zusammen, sondern auch noch privat. Und selbst wenn das nicht so ist, dann sind die Redaktionen – als Organisation und Arbeitsgemeinschaft – dermaßen prägend, dass eine ganze Menge Selbstbezüglichkeit entsteht.

evangelisch.de: Journalistenschulen fordern das Netzwerken geradezu, die Lehrmeister wollen ihre Schützlinge nach oben bringen. Fördert das den Mainstream-Journalismus?

Scholl: Auf der einen Seite befördert das sicherlich eine Art Mainstreaming. Auf der anderen Seite ist die Ausbildung in Journalistenschulen eigentlich genau das, was man sich mal unter Professionalisierung des Berufes vorgestellt hat. Dass es nicht mehr diesen Wildwuchs gibt. Und nicht mehr so viele Quereinsteiger, die vielleicht auch keine richtige Ausbildung haben oder ethische Defizite.

evangelisch.de: Wenn aber nicht über die eigene Berichterstattung reflektiert wird: Sehen Sie dann die Gefahr, dass blinde Flecken entstehen?

Scholl: Definitiv. Aber selbst wenn es diese Reflexionsinstanzen oder -momente gäbe, dann hört die gemeinsame Sozialisation ja nie auf. Je länger man in diesem Geschäft drin ist, desto tiefer wird sie. Da kann man noch so viel drüber reflektieren, das würde auch nichts nutzen. Aus seiner Haut kommt man auch dann nicht richtig raus. Und es gibt ohnehin schon so wenig Anlässe zur Reflexion, da die meisten Journalisten zu wenig Zeit dazu haben.

Keine Vorstellung von Hartz IV

evangelisch.de: Also ist die Gefahr groß, dass manche Randgruppen oder Themen in den Medien außen vor bleiben?

Scholl: Ich vermute eher, dass die Themenbehandlung das Hauptproblem ist. Wenn man selber jahrelang einen Job hatte, in dem man gut verdient hat – dann hat man vermutlich nicht mehr so die Vorstellung davon, wie etwa ein Hartz IV-Empfänger leben muss.

evangelisch.de: Ist durch diese systembedingte Vorauswahl auch die Kontrollfunktion des Journalismus, seine Rolle als vierte Gewalt gefährdet?

Scholl: Unsere Umfragen zeigen, dass dieser engagierte Journalismus, den man in Richtung vierter Gewalt interpretieren kann, weniger Zustimmung als Rollenverständnis findet. Aber ich würde sagen, dass dies kein Spezifikum des Journalismus ist. Auch im Parlament sind bestimmte Berufsgruppen extrem über- und andere extrem unterrepräsentiert. Und dann könnte man mit gleichem Grund sagen: Auch das Parlament schafft es nicht, die Gesellschaft in irgendeiner Form abzubilden. Oder gesellschaftliche Gruppen, die es gerade nötig hätten, in seiner Gesetzgebung zu berücksichtigen. Wir haben hier quasi parallele Phänomene, die vielleicht sogar im Zusammenhang stehen. Dementsprechend sollte man die kritischen Journalisten fördern oder zumindest nicht dafür kritisieren, dass sie kritischen Journalismus nach wie vor ausüben.


Daniel Drepper ist freier Journalist in Dortmund.