Straßenmusik: "Drei Minuten Zeit, Leute 'einzufangen'"

Straßenmusik: "Drei Minuten Zeit, Leute 'einzufangen'"
Auch die "Kelly-Family" hat mal so angefangen! Das Freiburger Geschwister-Trio "Philadelphia" macht Musik auf der Straße. Ihr großer Traum: Ein Konzert "auf Schalke".
01.12.2009
Von Pascal Cames

Everly Brothers, Beach Boys, Bee Gees, Osmonds, Jackson 5. Jede Ära hat ihre "Geschwisterband". Der ganz große Erfolg ist beim Freiburger Geschwister-Trio Philadelphia zwar bislang ausgeblieben, aber immerhin leben sie ihren Traum von Musik - vor allem auf der Straße. Als Straßenmusiker treten die drei in halb Europa auf. Sie finden Zuhörer und hinterlassen Fans. Gesang und Charme von Lena, Lugi und Max Trommsdorff sind einfach unwiderstehlich, finden viele ihrer Zuhörer.

Mit einer Weltreise hat es angefangen, erzählt der älteste Bruder Max Trommsdorff (28). Im Winter 2005 machte sich Max auf, "die Welt zu erobern" – ohne Geld. Mit wenig Gepäck, vielen Songs und seiner Gitarre reiste er zunächst vom Elternhaus in Mittenwald durch Österreich, Italien und Griechenland. Und immer, wenn er Geld brauchte, stellte er sich an die Straße und spielte "Hotel California". So erfolgreich, dass er mit dem, was ihm Passanten in den Hut warfen, schließlich durch den Mittleren Osten, Australien und Mittelamerika reisen konnte. Anderthalb Jahre war er unterwegs.

Auf seinem Trip um die Welt wächst bei Max Trommsdorff der Wunsch, nicht alleine Musik machen zu müssen. "Alleine kann man die Erfahrungen nicht teilen", sagt er. Und auch die Mehrstimmigkeit von Simon & Garfunkel habe ihn schon immer fasziniert. "Solo lässt sich das natürlich nicht erreichen." Zu seinen Lieblingsbands zählt Max noch die "drei großen B's der Musikgeschichte": Beach Boys, Bee Gees und Beatles.

Geschwisterliebe

Zurück in der Heimat animiert er seinen Bruder Ludwig "Lugi" (26) und seine Schwester Magdalena "Lena" (22), mit ihm gemeinsam Straßenmusik zu machen. Es entsteht "Philadelphia", griechisch für geschwisterliche Liebe.

Den Trommsdorffs liegt Musik im Blut: Die Mutter ist Musiklehrerin, der Vater singt gut und gern. Zum guten Ton der Familie Trommsdorff gehört Hausmusik. Lena, Lugi und Max lernen schon als Kinder klassische Instrumente. Lena spielt Geige und Klavier, Lugi Klavier und Oboe und Max Geige. Zudem singen alle Brüder bei den Regensburger Domspatzen, mit dem Bruder des heutigen Papstes als Chorleiter. An den damaligen Kardinal Ratzinger und heutigen Papst Benedikt XVI. können sie sich noch gut erinnern. "Der brachte immer Schokolade mit."

Auf der Straße singen die Geschwister statt Kirchenlieder beseelten Folk-Pop, ihr Erkennungszeichen ist der dreistimmige Harmoniegesang. Kurioserweise spielt jeder ein Instrument, dass er sich selbst beigebracht hat. Max zupft Kontrabass, Lugi spielt Gitarre und Lena trommelt das tragbare, von Max gebastelte, Schlagzeug. "Müsste man patentieren lassen", sagt Lugi, der die meisten Lieder arrangiert und schreibt. Das erste Album "no bad people" klingt, als hätten es die Enkelkindern der The Mamas and the Papas ("California Dreamin'") eingesungen. "Man hätte schon gerne damals gelebt", bekennt Max seine Leidenscahft für die 60er Jahre. Unschwer lässt sich die Sehnsucht nach den Blumenkindern auch äußerlich erkennen. Sobald das Wetter es erlaubt, sieht man die drei Barfuß laufen. Es könnte keinen größeren Gegensatz geben zu aktuellen Stars wie beispielsweise Lady Gaga, Lily Allen und anderen.

Überall Zuhörer

"Der Vorteil bei der Straßenmusik ist, dass man überall Zuhörer finden kann", sagt Lena. "Wir haben drei Minuten um die Leute zu catchen - sie einzufangen mit unserer Musik" Während dieser Zeitspanne wollen sie aus Passanten Zuhörer machen. Manchmal sind es wenige, oft aber sehr viele. In Freiburg wohnen sie, weil sie hier die meisten Fans haben. Hier drängte sich einmal eine so große Menschenmenge um die Geschwister, dass selbst die Straßenbahn nicht mehr durchkam. Auf dem Berliner Alexanderplatz hingegen war es eher mau. "Wir sind aber noch nie richtig enttäuscht worden", sagt Lena. Sogar das Wetter spielt meistens mit und Fahr- und Übernachtungsmöglichkeiten tun sich auch immer auf. Das nennen sie "das philadelphische Glück." Die drei stecken selten Geld ein, wenn sie aus dem Haus gehen.

Mittlerweile spielen Philadelphia nicht nur in Fußgängerzonen, sondern auch auf Konzertbühnen. In Freiburg gewannen sie einen Bandwettbewerb und waren diesen Sommer die offizielle Tourband des Zeltmusik Festivals. Mit ihrem aktuellen Album "StrassenMusikSafariOdysee" haben sie einen kleinen Stilwechsel gewagt; sie haben neue Rhythmen aus Südamerika entdeckt und singen fast ausnahmslos deutsch. "Wir möchten auch verstanden werden." Die Songs handeln von Max' Weltreise, von der Schönheit der Musik, vom Erwachsen werden und Reinhard Mey, dem großen Vorbild von Songwriter Lugi.

Lieder aus dem Herzen

"Die Lieder kommen direkt aus dem Herzen, die sind so freundlich, die schauen ihr Publikum an – das merkt man, dass sie von der Straßenmusik kommen", sagt ein Zuhörer, der die Geschwister bei einem Auftritt in Emmendingen bei Freiburg erlebt. "Die kommen von ganz unten", sagt ein anderer. Es soll ein Lob sein. Von ganz unten? Max überlegt eine Weile. "Ein bisschen stimmt es schon", sagt er, "wenn wir in einer neuen Stadt sind, dann kennt uns niemand. Dann sind wir ganz unten. Und sobald einer stehen bleibt, sind wir schon nicht mehr so ganz unten."

Die Straßenauftritte werden aktuell seltener, Max ist Papa eines kleinen Sohnes, Lugi beendet sein Lehramtsstudium und Lena ihre Ausbildung zur Ergotherapeutin. Aber fürs nächste Jahr planen sie schon die dritte CD und träumen von Festivalauftritten. Und eine Karriere wie bei der Kelly-Familie? Lugi sagt frei raus, dass er sich das gut vorstellen kann. Sein Traum ist ein ausverkauftes Konzert "auf Schalke". Auch für Max ist eine Karriere à la Kelly im Bereich des Möglichen, bleibt aber skeptisch. "Wir sind so realistisch, dass wir es nicht einschätzen können. Wir haben es nicht in der Hand. Wenn wir davon ausgehen würden, wäre das der falsche Ansatz." Und eigentlich ist für ihn die Karriere nur ein schöner Nebeneffekt.  "Das Publikum spürt was rüberkommt. Wir wollen Spaß an der Musik, Freude und Freundschaft."


Internet: www.philadelphia-band.com


Pascal Cames ist freier Journalist und lebt in Offenburg.