Nobelpreiskomitee prämiert die Hoffnung

Nobelpreiskomitee prämiert die Hoffnung
Das Nobelpreiskomitee hat die Hoffnung prämiert: Es hat den Friedensnobelpreis dieses Jahr dem US-Präsidenten Barack Obama verliehen. Damit löst es wieder einmal Verblüffung aus.
09.10.2009
Von Bernd Ludermann

In den vergangenen gut zehn Jahren hatte das Komitee eher Kritiker der Staatsmacht und soziale Aktivisten ausgezeichnet wie die iranische Rechtsanwältin Shirin Ebadi und die kenianische Umweltaktivistin Wangari Maathai. Der Friedensnobelpreis ging auch an erfolgreiche Vermittler wie Martti Ahtisaari oder an internationale Organisationen. Jetzt aber erhält ihn der Präsident des mächtigsten Staates der Welt und damit der Oberkommandierende der größten Armee. Etwas Vergleichbares ist seit dem Zweiten Weltkrieg nur einmal vorgekommen: 1990 erhielt Michail Gorbatschow, der Staatschef der UdSSR, den Preis für seine Verdiente um die friedliche Revolution im Ostblock.

Ist es kaum zehn Monate nach Obamas Amtsantritt nicht etwas früh, dessen Beitrag zur Förderung des Weltfriedens zu beurteilen? Nein, erklärt das Nobelpreiskomitee: Barack Obama habe bereits "außergewöhnliche Anstrengungen" unternommen, die Zusammenarbeit zwischen Völkern zu fördern. Er habe eine Rückkehr zur Diplomatie als Weg zur Lösung internationaler Konflikte eingeleitet, die Vereinten Nationen gestärkt und die USA zu einer "konstruktiveren Rolle" beim Klimaschutz geführt. Besonderes Gewicht misst das Komitee Obamas Einsatz für eine Welt ohne Atomwaffen bei.

In der Tat hat Obama in kurzer Zeit eine Reihe mutiger Initiativen unternommen. So hat er Mitte 2009 in einer Rede in Kairo der islamischen Welt den Respekt bezeugt, den sein Vorgänger hatte vermissen lassen, und die Hand zur Verständigung entgegengestreckt. Er hat dem Iran und Nordkorea Verhandlungen über ihre Atomprogramme angeboten, um die Verbreitung von Atomwaffen zu verhindern. Er hat auf neue Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern gedrängt. Er hat eine Kehrtwende in der Klimapolitik der USA eingeleitet und ist bereit, die USA international auf große Verminderungen der Treibhausgasemissionen zu verpflichten. Und er hat im April in Prag die Vision einer Welt ohne Atomwaffen ausgerufen. Erste kleine Schritte in diese Richtung hat er jüngst unternommen: Die Abkehr vom Plan eines Raketenabwehschildes in Osteuropa hat den Weg zu neuen Abrüstungsverhandlungen mit Moskau geebnet – und wenn die Großmächte abrüsten, steigen die Chancen, die Entstehung zusätzlicher Kernwaffenstaaten zu verhindern.

Doch hinter vielen dieser Initiativen steht zunächst einmal nur die Rückkehr zur außenpolitischen Vernunft, das heißt zur nüchternen Abschätzung der eigenen Interessen und Machtmittel. Zum Beispiel schaden sich die USA selbst, wenn sie die Entstehung neuer Kernwaffenstaaten provozieren, indem sie jede Verminderung ihres unnütz großen Atomwaffenarsenals verweigern. Diese Art Vernunft ist nach acht Jahren des machtpolitischen Deliriums in Washington leider kein kleiner Fortschritt, aber sie ist nicht unbedingt preiswürdig.

Allerdings sind Obamas Initiativen auch von einem Bekenntnis zur Zusammenarbeit statt zur Konkurrenz der Staaten getragen – hier hat das Nobelpreiskomitee ganz Recht. Nur: Viele sind noch nicht viel mehr als Ankündigungen. Im Nahen Osten hat seine Linie noch keine Fortschritte bringen können. Das Gefangenenlager in Guantánamo, das Obama zügig schließen wollte, besteht noch immer. Die Angebote der USA für den Klimaschutz sind noch unzureichend, und in Afghanistan ist die Weltmacht in einen Krieg verstrickt, aus dem auch unter Obama kein Ausweg zu erkennen ist.

Wichtiger noch: Innenpolitisch weht Obama neuerdings der Wind ins Gesicht. Er ist das Ziel übler Kampagnen, die – ausgehend vom Widerstand gegen eine Gesundheitsreform – alle seine Versuche, der US-Politik eine andere Richtung zu geben, unterminieren könnten. Hier liegt wohl ein Grund für die überraschende Entscheidung des Nobelkomitees: Es will Obama den Rücken stärken. Das hat das Komitee im Grunde selbst eingeräumt mit der Erläuterung, man habe auch schon früher noch unabgeschlossene Friedensprozesse stimulieren wollen, nämlich mit der Verleihung des Preises an Willy Brandt 1971 für seine Ostpolitik und eben an Gorbatschow. Doch wenn der Friedensnobelpreis zum Mittel der Politik wird, kann das seinen Ruf und den des Komitees beschädigen. Im Übrigen erhielt Gorbatschow den Preis erst, nachdem er die deutsche Einheit und die Demokratisierung der früheren sowjetischen Satellitenstaaten ermöglicht hatte. Und er bekam ihn kurz vor seinem Sturz. Das ist hoffentlich für Obama kein Präzedenzfall.


Über den Autor: Bernd Ludermann ist Chefredakteur von welt-sichten, dem Magazin für globale Entwicklung und ökumenische Zusammenarbeit.