Wahlversprechen: Letzte Ausfahrt Kabarett

Wahlversprechen: Letzte Ausfahrt Kabarett
Unser Kommentator plädiert dafür, dass wir unseren Politikern auch nach gebrochenen Wahlversprechen weiter zuhören sollten. Denn jeder weiß um den Moment der Wahrheit.
07.10.2009
Von Christian Fähndrich

Jede neue Regierung muss zu Beginn erklären, warum sie manche Wahlversprechen nicht einhalten kann. Wäre das nicht auch diesmal so, es gäbe keinen Grund, die Koalionsverhandlungen von Union und FDP gespannt zu verfolgen. Jedem ist klar, dass der Moment kommen wird und mit ihm die Behauptung, der Kurswechsel ziehe einen Vertrauensverlust in der Öffentlichkeit nach sich. Es ist diese Interpretation, durch die sich das Wahlvolk beleidigt fühlen muss, so als habe es die im Wahlkampf erklungene Zukunftsmusik nicht als solche erkannt.

Tatsächlich steckt im Vorwurf der Wahllüge eine gute Portion Demokratiefeindlichkeit. Im 19. Jahrhundert waren es vor allem Konservative, die den Wettstreit der politischen Talente zu verunglimpfen versuchten und stattdessen das Konzept des treuen und grundehrlichen Landesvaters anboten, des Monarchen also, der häufig zugleich Kirchenoberhaupt war und dem man bitteschön zu vertrauen hatte - und zwar ohne vorheriges Kennenlernen auf Wahlkampfveranstaltungen. Vom Privileg, sich mit einer großen Bandbreite politischer Ideen auseinanderzusetzen, machten in diesem Jahr fast sieben Millionen Mal die Nutzer der Internet-Seite "Wahl-O-Mat" Gebrauch. Der ironisch gemeinte Titel des Projekts verdeutlicht, dass die Wahlentscheidung ein komplexer Vorgang ist und eben nicht auf einem einzelnen Zitat fußt.

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Politiker, denen man eine Wahllüge vorwirft, wechseln mitunter ins Kabarett, um sich erneut Gehör zu verschaffen. Das tat zumindest der frühere Arbeitsminister Norbert "Die Rente ist sicher" Blüm nach seinem Abschied aus Regierungs- und Parteiämtern. Daraus spricht zumindest eines: politische Leidenschaft, die über einen konkreten Wahlkampfzweck weit hinaus geht. Blüm will sich auch heute noch nicht vorstellen, wie Altersversorgung auf lange Sicht anders organisiert werden kann als durch einen Generationenvertrag. Mag hier Wunschdenken des Anhängers der katholischen Soziallehre eine Rolle spielen – das allein wäre nicht verwerflich.

Vertrauen geht erst dann verloren, wenn Politiker nicht nach Tagesnotwendigkeit handeln, sondern sich über die vier Jahre der Legislaturperiode hinweg an zementierte Interessen halten, komme, was wolle. Lobbyisten wäre das sicher das Liebste und nicht wenige von ihnen legen Politikern im Wahlkampf die Versprechen in den Mund. Auf dass möglichst alles beim Alten bleibe: Subventionen für die Landwirtschaft genauso wie die Höhe der Rentenzahlungen für die jetzige Senioren-Generation. Angesichts der überhand nehmenden Verschuldung wäre es geradezu ein Horror-Szenario, würde sich die neue Regierung an alle gut gemeinten Versprechen halten.

In Wahlkämpfen gibt es ohnehin Schlimmeres als vermeintliche Lügen: Wahlgeschenke. Und davon gab es in diesem Jahr wieder genug. Wo Stimmungsaufheller wie die Abwrackprämie auf Pump finanziert werden, ist damit eine ebenfalls unbelegbare Annahme verbunden: Dass irgendwann eine Generation bereit und in der Lage sein wird, für einen Kredit einzustehen, von dem sie nicht profitiert haben wird. Wie der Schuldenberg abgetragen werden soll, dazu existieren noch nicht einmal Wahlkampf-Fantasien. Und das ist der eigentliche Skandal.