300 Jahre Johannespassion von Bach

Deckblatt der Johannespassion liegt auf der Tastatur einer Orgel.
epd-bild / Jens Schulze
Vor 300 Jahren, am Karfreitag 1724, wurde die Johannespassion von Johann Sebastian Bach in Leipzig uraufgeführt.
Magische Wirkung
300 Jahre Johannespassion von Bach
Die biblische Passionsgeschichte in berührende Musik gegossen: Die Johannespassion von Johann Sebastian Bach ist auf der ganzen Welt bekannt. Das Stück des Leipziger Thomaskantors fasziniert bis heute.

"Das Stück ist völlig zeitlos, weil es so unglaublich gut gemacht ist", sagt der aktuelle Leipziger Thomaskantor Andreas Reize, Bachs 18. Nachfolger in diesem Amt. Es gebe eine enge Verbindung von Text und Musik und eine emotionale Gestaltung, die sehr berührend sei. Zum Beispiel bei der Kreuzigungsszene: "Nach dem Tod Jesu belässt uns Bach nicht in der Traurigkeit, sondern komponiert Zuversicht." Das sei "der ganz große Komponist und der ganz große Theologe auch".

Vor 300 Jahren, am Karfreitag 1724, führte Johann Sebastian Bach (1685-1750) in der Leipziger Nikolaikirche seine Johannespassion erstmals auf: den Bericht des Evangelisten Johannes von Gefangennahme, Verhör und Kreuzigung Jesu, verwandelt in Musik voller musikalischer Dramatik und Leidenschaft. Die Art der Komposition war etwas Neues, das zweistündige Werk wurde damals sogar als zu opernhaft kritisiert. Bis heute sprechen manche von einer fast magischen Wirkung, der sich kaum eine Hörerin oder ein Hörer entziehen kann.

In Leipzig erinnern in diesem Jahr das Gewandhausorchester und der Thomanerchor an die Uraufführung vor 300 Jahren und interpretieren unter der Leitung von Reize die Johannespassion am Gründonnerstag (28. März) in der Thomaskirche sowie in der Nikolaikirche am Karfreitag (29. März). Gespielt wird die erste Fassung von 1724. "Es geht darum, das zu zeigen, was Bach vor 300 Jahren geschrieben hat", sagt Reize. Zu dieser Urfassung gebe es zwar keine edierten Noten. Aber für den Thomanerchor hat Reize gemeinsam mit dem Leipziger Musikverleger Martin Krämer und Bach-Archiv-Direktor Peter Wollny das notwendige Aufführungsmaterial erstellt. Insgesamt gibt es vier Fassungen der Johannespassion von Bach und eine fünfte, die diese miteinander vermixt.

Der Erzählung aus dem Johannes-Evangelium stehen in den Arien persönlichen Reaktionen auf das Geschehen gegenüber. Die Choräle spiegeln die Gefühle der Gruppe, der Gemeinde. Bachs Amtsvorgänger als Thomaskantor, Johann Kuhnau, hatte diese musikalisch angereicherten Passionsaufführungen eingeführt. Bach, seit 1723 Thomaskantor, nutzte ein Jahr nach seinem Dienstantritt die erste Gelegenheit, daraus etwas ganz Besonderes zu machen.
Reize würde "gern mal in die Gesichter der Menschen von damals schauen", sagt er: "Ich stelle mir immer vor, wie das gewirkt hat, das muss völlig verrückt gewesen sein." Der Eingangschor mit "dieser Wellenbewegung, dem Suchenden, das hat es zuvor in dieser Art noch nie gegeben".

Für den Komponisten Hans Werner Henze (1926-2012) kommen in Bachs Johannespassion "Dinge zur Sprache, die bis dahin mit Tönen zu sagen niemand gewagt, niemand vermocht oder auch nur versucht hatte". Der Dirigent John Eliot Gardiner sprach einmal von einer "unerreichten Bildhaftigkeit" der Komposition, mit bis ins Mark gehenden Dissonanzen. "Die Qualität liegt erstmal darin, dass kein Ton zu viel drinsteht", sagt der Chordirektor der Dresdner Kapellknaben, Christian Bonath. Bach schaffe "eine enorme Nähe zum Affekt" und ermögliche damit das unmittelbare Wahrnehmen. Er habe so "unglaublich gute Musik geschrieben, dass man nur davon profitieren kann, wenn man sich damit beschäftigt".

Nicht zuletzt deshalb haben die Kapellknaben jetzt zum ersten Mal in ihrer rund 350-jährigen Geschichte die Johannespassion aufgeführt. Regulär gestaltet der Chor, der einst für den zum Katholizismus konvertierten Dresdner Hof gegründet wurde, die Messen in der Dresdner Hofkirche. Dass die Bach'sche Passion bisher nicht aufgeführt wurde, liegt an der Geschichte des katholischen Chores, der für die Liturgie, nicht aber für Konzerte zuständig ist. Bonath hält die Aufführungen außerhalb der Gottesdienste für wichtig. Er will damit auch Menschen ansprechen, die keine Messe besuchen würden: "Unsere Aufgabe ist es, alle zu erreichen, nicht nur die vier Prozent Katholiken, die wir hier noch sind."