Berlin (epd). Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Suizidassistenz ist die Zahl der Fälle, in denen diese Form der Sterbehilfe über Organisationen in Anspruch genommen wird, deutlich gestiegen. Wie die „Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben“, am Dienstag in Berlin mitteilte, haben von diesem Verein vermittelte Ärzte im vergangenen Jahr 419 Menschen bei der Selbsttötung geholfen. 2022 waren es 227 Fälle, im Jahr davor 120.
Der Präsident der Organisation, Robert Roßbruch, sagte, die meisten Betroffenen seien zwischen 80 und 89 Jahren alt gewesen. Gründe für den Suizid seien in der Mehrzahl der Fälle Lebenssattheit, Multimorbidität oder eine Krebserkrankung. Zwölfmal haben Roßbruch zufolge Ärzte Paaren beim Suizid geholfen.
In 14 Fällen sei Menschen in stationären Pflegeinrichtungen beim Suizid geholfen worden, sagte Roßbruch. Dabei handelte es sich nach seinen Angaben um private und evangelische Einrichtungen. In Einrichtungen der katholischen Caritas sei es nicht möglich gewesen, Hilfe bei der Selbsttötung zu leisten. Roßbruch zufolge nehmen die Sterbehelfer der Organisation Kontakt zu Heimleitungen auf, wenn sie von Bewohnern angefragt werden. In katholischen Einrichtungen seien sie dort „abgeblockt“ worden. Roßbruch zufolge erwägt die Organisation, dagegen juristisch vorzugehen.
Das Bundesverfassungsgericht hatte 2020 entschieden, dass das Recht auf selbstbestimmtes Sterben auch das Recht umfasst, sich das Leben und dabei Hilfe Dritter in Anspruch zu nehmen. Es kippte damit ein pauschales Verbot organisierter Suizidassistenz. Bei der Hilfe zur Selbsttötung wird Sterbewilligen ein tödlich wirkendes Medikament überlassen, jedoch nicht verabreicht. Letzteres wäre eine Tötung auf Verlangen, die in Deutschland verboten ist.
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts wurde über eine neue Regelung debattiert, die diese Form der Sterbehilfe rechtssicher ermöglicht, gleichzeitig aber vor Missbrauch schützt. Im vergangenen Jahr scheiterten zwei Vorschläge dazu im Bundestag. Die Suizidassistenz bleibt damit ein rechtlicher Graubereich, weil etwa das Betäubungsmittelgesetz nicht vorsieht, dass Medikamente zum Zweck der Selbsttötung abgegeben werden.
Die „Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben“, zuvor vorrangig ein Interessenverein, vermittelt seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts selbst Suizidbeihilfe. 2020 gab es nach eigenen Angaben 19 Fälle. Voraussetzung für die Vermittlung einer Suizidassistenz durch den Verein ist nach dessen Angaben eine mindestens sechsmonatige Mitgliedschaft. Neben den Kosten dafür berechnet der Verein laut Internetseite für die Hilfe bei der Selbsttötung eine Pauschale in Höhe von 4.000 Euro, bei Paaren, die sich gemeinsam das Leben nehmen wollen, 6.000 Euro.