Frankfurt a.M., Tunis (epd). Tunesien missbraucht im Einsatz gegen kritische Stimmen laut Menschenrechtlern ein Gesetz gegen Internetkriminalität. Erst in der vergangenen Woche seien zwei Oppositionelle auf Grundlage des Dekrets von 2022 zu Haftstrafen verurteilt worden, erklärte „Human Rights Watch“ (HRW) am Dienstag in der Hauptstadt Tunis.
Dabei seien die Autorin und prominente Oppositionspolitikerin Chaima Issa und der Angehörige der Ennahda-Partei, Sofiane Zneidi, vermutlich die Ersten, die mithilfe des Gesetzesdekrets 54 verurteilt wurden. Gegen mindestens 20 Journalisten, Anwälte, Studenten und andere Kritikerinnen und Kritiker werde ermittelt.
Präsident Kais Saied erließ das laut Menschenrechtlern drakonische Dekret im September 2022. Die Behörden werden damit mit umfassenden Befugnissen zur Einschränkung der freien Meinungsäußerung ausgestattet. Verurteilte können mit bis zu fünf Jahren Haft und 50.000 Dinar (rund 14.700 Euro) bestraft werden.
Laut „Human Rights Watch“ wurde die prominente Menschenrechtsaktivistin und Publizistin Chaima Issa, die zugleich ein hochrangiges Mitglied des Parteienbündnisses „Nationale Heilsfront“ ist, am 13. Dezember von einem Militärgericht zu einem Jahr Haft auf Bewährung verurteilt, darunter zu zwei Monaten auf Grundlage des Gesetzdekrets 54. Sie hatte sich ihrer Anwältin zufolge in einem Interview zur Rolle des Militärs unter Präsident Saied geäußert.
Sofiane Zneidi von der oppositionellen Ennahda-Partei wurde demnach am 11. Dezember ebenfalls auf Grundlage des Internetkriminalitäts-Dekrets erstinstanzlich zu acht Monaten Haft und einer Geldstrafe von 5.000 Dinar (etwa 1.470 Euro) verurteilt. Laut HRW hatte er im April auf Facebook seine Unterstützung mit dem festgenommenen Ennahda-Präsidenten Rached Ghannouchi bekundet.