Geistlicher Beistand während der Hinrichtung

Eine Hinrichtungszelle, aufgenommen in Huntsville, Texas, (USA)†im Jahre 2000.
© Paul_Buck/EPA/dpa
Eine Hinrichtungszelle, aufgenommen in Huntsville, Texas, (USA) im Jahre 2000. (Archivbild)
Gottvertrauen trotz Todesstrafe
Geistlicher Beistand während der Hinrichtung
Bei den Exekutionen in den USA gehört es meist dazu: Während Henker todbringende Mittel vorbereiten und einspritzen, beten Seelsorgerinnen oder Seelsorger für die auf der Liege festgezurrten Verurteilten. Für manche Geistliche ein ethisches Dilemma.

Das staatlich verordnete Töten in den USA soll medizinisch und irgendwie human erscheinen: Kein grausiger elektrischer Stuhl, eine Injektion wie beim Arzt - und es gibt eine pastorale Betreuung, wenn der oder die Verurteilte es wünscht. Der geistliche Beistand geht zurück auf das Mittelalter. Die Todgeweihten sollen mit Gott ins Reine kommen.

Die presbyterianische Pastorin Melissa Potts Bowers (61) hatte andere Beweggründe für ihren Beistand. Bowers hat im Juni im Gefängnis von Bonne Terre in Missouri den 42-jährigen Michael Tisius bei der Hinrichtung begleitet. Sie sei viele Jahre mit Tisius in Kontakt gewesen und habe ihm helfen wollen, friedvoll aus dem Leben zu gehen. Im "normalen Leben" arbeitet Bowers in der Seelsorge in einem Hospiz. Sie denke noch heute jeden Tag an die Hinrichtung, sagte Bowers dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Es sei ein schrecklicher Vorgang. Man habe ihr gesagt, dass sie Michael nur an der Schulter berühren dürfe, sagte Bowers. Das habe sie getan und bei der gesamten Exekution mit ihm gesprochen. "Ich war ihm körperlich sehr nahe und konnte direkt in sein Ohr sprechen". Sie habe seine Hand nicht halten dürfen, "möglicherweise um auszuschließen, dass ich bei den Infusionen eingreife".

Das staatliche Töten sei inszeniert, so Bowers. Der Verurteilte werde zur Schau gestellt. Mehrere Zeugen blicken durchs Fenster in den Hinrichtungsraum. Die Schläuche, die das Gift in den Körper des Verurteilten bringen, führen durch eine Wand zum Henker, der unsichtbar in einem Nebenraum sitzt und den Fluss der todbringenden Mittel auslöst.

Vorbereitung auf den Tod

Sie habe Michael Tisius in den letzten Tagen lange besuchen dürfen, erzählt Bowers. Er sei ein gläubiger Mensch gewesen. Sie hätten über sein Leben gesprochen, worauf er stolz sei, was er außer seiner Tat bereue, wen er auf der anderen Seite sehen werde, wie er sich vorbereiten könne auf den Tod. Tisius habe Angst gehabt. Sie wollte einfach da sein.

Freilich wolle sie "tausend Mal betonen, dass ich auch auf Seiten der Opfer stehe". Es sei irrsinnig zu glauben, dass man die Verbrechensopfer ehrt, "indem man mehr Blut vergießt". Es schockiere sie, dass selbst manche Pastoren bei der Todesstrafe auf Rache aus seien. Tisius hatte 2000 im Alter von 19 Jahren beim Ausbruchsversuch eines Inhaftierten die Gefängniswärter Leon Egley und Jason Acton erschossen.

Freie Religionsausübung trotz Todesstrafe

Rechtlich ist die geistliche Präsenz bei der Hinrichtung gesichert, erläuterte die Exekutivdirektorin des Todesstrafen-Informationszentrums in Washington, Robin Maher. Im März 2022 urteilte das Oberste Gericht der USA, der Todeshäftling John Ramirez im Bundesstaat Texas habe aufgrund des Verfassungsgebots der freien Religionsausübung das Recht, einen Pastor bei sich zu haben. Dieser dürfe laut beten und den Todeshäftling berühren.

Texas hatte das zuvor untersagt, angeblich um den Ablauf nicht zu stören. Ramirez' Seelsorger, der baptistische Pastor Dana Moore aus Corpus Christi in Texas, protestierte gegen die Restriktionen. Bei Baptisten gehöre Berühren zum Segnen und zum Gebet.

Ethisches Dilemma

Sie habe eine Erklärung unterzeichnen müssen, sagte Bowers, dass sie nichts über bestimmte Umstände der Hinrichtung öffentlich machen werde. Sie sei bei der Exekution vom Personal geradezu mitfühlend behandelt worden. Die Hinrichtenden selbst würden beim Vollzug traumatisiert; es könne gar nicht anders sein, wenn man bei Morden dabei sei. Die Hinrichtenden hätten Zugang zu psychologischem Beistand.

Bei einer Zusammenkunft des Anti-Todesstrafenverbandes von Missouri im Juni diskutierten Geistliche darüber, ob sie im Hinrichtungsraum mitverantwortlich sind. Er habe das Gefühl, dass er mitmache, sagte der altkatholische Pfarrer Jeff Hood, der mehr als zehn Todeshäftlinge betreut hat. Es sei ein ethisches Dilemma, denn sein Job sei es auch, den Verurteilten zu beruhigen. Doch letztendlich glaube er an die Bedeutung der Seelsorge durch Präsenz.

Der baptistische Pastor Darryl Gray aus St. Louis sagte nach der Begleitung einer Exekution im November 2022, der Verurteilte sollte doch nicht alleine sterben. Zugegen sein "ist nicht etwas, was Du tust und dann in der Todeskammer zurücklässt".

Im Jahr 2023 sind in den USA bislang 17 Menschen hingerichtet worden, in den Bundesstaaten Texas, Missouri, Florida, Alabama und Oklahoma. 27 der 50 Bundesstaaten sehen gegenwärtig bei schweren Mordfällen die Todesstrafe vor. Die Hinrichtungszahlen gehen zurück. Das Jahr 1999 war ein Höhepunkt mit 98 Exekutionen. Die Regierung von Präsident Joe Biden hatte 2021 ein Moratorium für Hinrichtungen auf nationaler Ebene beschlossen.