"Tat und Urteil sind absolute Ausnahmen"

Landgericht Hannover
© Julian Stratenschulte/dpa
Ein damals 14-Jähriger hat einen gleichaltrigen Jungen in Wunstorf nahe Hannover getötet. Er wurde nun zu zehn Jahren jugendhaft verurteilt - mit der Möglichkeit der anschließenden Sicherungsverwahrung. Mehr geht nicht, sagt die Juristin Theresia Höynck.
Verurteilter 15-Jähriger
"Tat und Urteil sind absolute Ausnahmen"
Das Landgericht Hannover hat einen 15-jährigen Jugendlichen zu zehn Jahren Jugendstrafe wegen Mordes an einem Mitschüler verurteilt und damit die höchstmögliche Strafe verhängt. Beide waren an der Evangelisch Integrierten Gesamtschule (IGS) in Wunstorf bei Hannover. Das sei eine "extrem harte Strafe", sagt die Rechtswissenschaftlerin Theresia Höynck im Gespräch - auch weil im Jugendstrafrecht der Erziehungsgedanke im Vordergrund stehe.

Frau Höynck, was sagen Sie zu dem Urteil?

Theresia Höynck: Tat wie Urteil sind absolute Ausnahmefälle ( hier mehr zum Thema). Jugendliche begehen Straftaten, zum Teil schlimme Taten. Aber gezielte Tötungsdelikte sind sehr, sehr selten. Das gilt auch für das Urteil. Man muss sich vor Augen führen, dass dieses Strafmaß ganz am Ende der zahlreichen Möglichkeiten ist, die das Jugendstrafrecht bietet. Zehn Jahre mit vorbehaltener Sicherungsverwahrung - mehr geht nicht.

Das Jugendstrafrecht ist auf Erziehung, auf Resozialisierung ausgerichtet. Freiheitsentzug möchte man eigentlich möglichst vermeiden. Eine Jugendstrafe von zehn Jahren läuft in gewisser Weise konträr zu diesem Erziehungsprinzip. Denn wir wissen, dass der erzieherische Mehrwert nach einigen Jahren abnimmt. Egal wie gut der Jugendstrafvollzug arbeitet - eine so lange Strafe hat automatisch eine desintegrierende Nebenwirkung.

Der Täter wird seine Strafe in einer sozialtherapeutischen Einrichtung verbüßen. Was bedeutet das?

Höynck: Man darf sich das nicht als Klinik im Sinne einer forensischen Psychiatrie vorstellen. Dorthin kommen psychisch kranke Täter, die schuldunfähig oder vermindert schuldfähig sind. Die sozialtherapeutische Abteilung ist Teil der ganz normalen Jugendvollzugsanstalt. In Niedersachsen haben wir eine zentrale Jugendanstalt in Hameln. Dass der Täter dort in der sozialtherapeutischen Abteilung untergebracht wird, bedeutet, dass dort mehr Psychologen, Pädagogen und Therapeuten zur Verfügung stehen als ohnehin im Jugendstrafvollzug.

Was bedeutet der Satz im Urteil: "Die Anordnung der Sicherungsverwahrung ist vorbehalten worden"?

Höynck: Da geht es um die Beurteilung der Gefährlichkeit des Täters für die Gesellschaft. Das Gericht behält sich - sozusagen zur Gefahrenabwehr - vor, im Laufe des Vollzuges zu prüfen, ob der Täter in Sicherungsverwahrung genommen werden muss. Dafür gibt es menschen- und verfassungsrechtlich sehr hohe Hürden. Denn eine Sicherungsverwahrung läuft auf unbestimmte Zeit. Betroffene kommen, ohne dass ihre nicht mehr bestehende Gefährlichkeit festgestellt wird, nicht mehr frei.

Die für Anordnung und Beendigung der Sicherungsverwahrung erforderlichen Prognosen sind bei jungen Menschen ganz besonders schwierig, denn die Entwicklung eines jungen Menschen verläuft bis zum Alter von mindestens Mitte 20 sehr dynamisch. Die Unterbringung in der Sozialtherapie ist daher insbesondere bei jungen Gefangenen quasi die Gegenmaßnahme zur vorbehaltenen Sicherungsverwahrung: Es ist der Versuch, alles, aber auch alles zu tun, damit diese rechtsstaatliche Ultima Ratio nicht eintritt.

Theresia Höynck ist Professorin für Kinder- und Jugendrecht an der Universität Kassel und Vorsitzende der Deutschen Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen mit Sitz in Hannover.