Was bedeutet Verzeihen, Achim Herrmann?

Paar umarmt sich im Freien
© Gus Moretta/Unsplash
Die Fähigkeit zu vergeben, muss regelmäßig trainiert werden.
Autoreninterview
Was bedeutet Verzeihen, Achim Herrmann?
Unter dem Pseudonym Isabella Anders hat Achim Herrmann einen Roman über Vergebung und Dankbarkeit geschrieben. Das Buch "Verzeihst du mir?" ist nun im Gmeiner-Verlag erschienen. evangelisch.de hat den Autor interviewt.

evangelisch.de: Lieber Herr Herrmann, wieso haben Sie diesen Roman unter einem Pseudonym geschrieben?

Achim Herrmann: Das war der Vorschlag des Buchverlages. Ich konnte damals nicht einschätzen, ob es falsch oder richtig ist, deshalb überließ ich die Entscheidung den Fachleuten. Da ich einiges von mir selbst in den Romanen verarbeite, sah ich sogar einen Vorteil. Dachte, es sei für mich leichter unter einem geschlossenen Pseudonym zu veröffentlichen. Allerdings sehe ich das inzwischen anders. Weshalb sollte ich mich verstecken. Im neuen Roman "Verzeihst du mir?" ist das Pseudonym geöffnet. Den Namen nun zu ändern, macht keinen Sinn, da ich eine fortlaufende Reihe schreibe. Es würde nur Verwirrung stiften. Jedoch steht nun mein voller Name im Roman, weil ich zu allen meinen Fehlern und Schwächen stehe.

In dem Roman geht es um Schicksalsschläge und Aufarbeitung von familiärer Vergangenheit. Ein zentraler Charakter ist Pfarrer Simon. Welche Rolle spielt er in der Dynamik der Geschichte?

Achim Herrmann: Pfarrer Simon gibt dem Suchenden Antworten - oder zumindest Anregungen und Anstöße den Blickwinkel zu verändern, um festgefahrene Positionen zu lösen und hilft konstruktiv mit der Herausforderung umzugehen, bestenfalls Lösungen zu finden. 

Alexander, dessen Mutter nach seiner Geburt gestorben ist, wächst im Heim auf und wird mit fünf Jahren von einer kinderlosen Familie adoptiert. Im Alter von 47 Jahren beschließt er, seinen leiblichen Vater zu suchen. Er fährt zu seinem Geburtsort Basel in der Schweiz und trifft auf Pfarrer Simon, der ihm zuerst das Thema Schuld und Vorwürfe erklärt. Simons Devise: Nicht nach Schuldigen suchen und an den Vorwürfen zugrunde gehen, sondern Situationen anzuerkennen und nutzbringend damit umzugehen.

Das gelingt Alexander zunächst nicht. Als Alexander seinen leiblichen Vater findet, vermutet er, sein Vater habe Schuld am frühen Tod seiner Mutter und überschüttet ihn mit Vorwürfen. Er setzt alles daran, ihn für seine Taten ins Gefängnis zu bringen. Alexander verliert sich in Verbitterung und setzt dabei sein Leben aufs Spiel. 

"Als Alexander Einsicht zeigt und auf seinen Vater zugeht, bekommt er endlich die ersehnten Antworten auf offene Fragen"

Der Pfarrer hört Alexander genau zu, betet mit ihm, beruhigt und spricht viel mit ihm. Pfarrer Simon hilft Alexander nach und nach die Sicht seines Vaters zu verstehen und ihm schlussendlich zu verzeihen. Als Alexander Einsicht zeigt und auf seinen Vater zugeht, bekommt er endlich die ersehnten Antworten auf offene Fragen. Er entdeckt Gemeinsamkeiten, erkennt die Schwierigkeiten und Entscheidungen seines Vaters an. Alexander wird glücklich, weil er endlich sein Schicksal verarbeiten kann und vor allem, weil er alles versteht und seinem Vater vergibt.

Buchcover "Verzeihst du mir" von Isabella Anders (Achim Herrmann)

Welchen Stellenwert haben Vergebung und Dankbarkeit im Buch? Und welche im Leben?

Herrmann: Sobald wir das Leben und dessen Herausforderungen als Chancen begreifen, können wir uns frei machen. Frei von Vorwürfen, Schuld und einem Groll, der sich mit der Zeit immer tiefer in die eigene Seele gräbt. Die befreiende Kraft der Vergebung kann man schlecht beschreiben, man muss es einmal im Leben spüren. Ich habe sehr dafür kämpfen müssen. Es war mein schwerster Kampf mit meinem Ego, das sich lieber beleidigt in die Schmollecke zurückgezogen oder zurückgeschlagen hätte. Ich fühlte mich früher ungerecht behandelt, ich war gekränkt und nachtragend.

Heute fühle ich die Stärke der Vergebung. Dafür bin ich dankbar und über vieles mehr. Ich bin auch dankbar für alle, die mir geholfen haben, den Weg  zu mir zu erkennen. Denn ich weiß, das schafft man nicht allein und man darf niemals nachlassen. Man muss immer weiter die Fähigkeit der Vergebung trainieren. Ich übe jeden Tag mit Kleinigkeiten. Wenn mir jemand im Straßenverkehr die Vorfahrt nimmt, dann bremse ich ab und denke, er hat es eilig. Ich bin dankbar, dass ich es heute nicht eilig habe. Ich schaue bewusst auf alles was mir begegnet und versuche das Positive zu sehen.

Denn wir können auf den ersten Blick nicht immer eindeutig erkennen, was gut oder schlecht ist. Besser, wir stellen uns Herausforderungen, sehen das Positive und sind dem lieben Gott dafür dankbar, dass er uns jeden Tag hilft, diese Herausforderungen zu meistern und dabei unser eigenes Ego zu überwinden. 

"Ich spürte auf einmal die Kraft in meinem Leben, wie sich ein neues Kapitel öffnete. Eines, das mir den Weg zu mir selbst zeigte"

Ihr Vater war Pfarrer. Welchen Einfluss hatte seine Arbeit auf die Geschichte?

Herrmann: Eine Predigt meines Vaters, deren Bedeutung mir erst kurz vor seinem Tod wirklich bewusst wurde, war entscheidend für mich. Mir wurde klar, dass ich meinem Vater unvoreingenommen zuhören musste, um seine Sicht der Dinge verstehen zu können. Seine Beweggründe, seine Motivation verstehen konnte.

Nachdem ich ihn verstanden hatte, war der nächste Schritt, ihm zu verzeihen. Es war nicht so einfach, wie ich das hier schreibe. Dabei half mir die Predigt: "Die Erklärung von siebzigmal siebenmal sollen wir vergeben (Matthäus 18,22)". Mir wurde bewusst, ein halbherziges Vergeben würde mir nichts bringen. Ich wollte mich mit ihm vollkommen versöhnen, für immer. Sonst stünde diese Anklage immer zwischen uns, sie würde auch mein künftiges Leben negativ beeinflussen.

Erst mit dieser Erkenntnis wurde ich in mir frei. Ich spürte auf einmal die Kraft in meinem Leben, wie sich ein neues Kapitel öffnete. Eines, das mir den Weg zu mir selbst zeigte. Seitdem schreibe ich Bücher über mein Leben, ich will anderen damit auf unterhaltsame Weise Nutzen bringen.  

Die Predigt meines Vaters und mein eigenes Erlebnis mit ihm, haben mich zu der Geschichte inspiriert.

Vielen Dank für das Interview!

Der Roman "Verzeihst du mir?" von Isabella Anders (Achim Herrmann), erschienen im Gmeiner-Verlag (ISBN 978-3-8392-0423-8, 18 Euro) ist ab sofort erhältlich.